In Deutschland gibt es etwa 8 000 Gebiete, in denen die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs nicht gesichert ist. Gleichzeitig sind im Grundgesetz und im Raumordnungsgesetz als Ziel gleichwertige Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingen in allen Teilräumen Deutschlands festgelegt. Mit Blick auf die Versorgung in ländlichen Gemeinden, in denen eine Lebensmittel-Filiale nicht rentabel arbeiten kann, rücken die kleinen „Smart Stores“, die ohne Personal im „Automated Self Service“ rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche betrieben werden können, in den Fokus.
Denn diese Smart Stores werden oft in einem „Low Cost Ansatz“ für niedrige Investitionssummen und niedrige Betreiberkosten konzipiert, wie Professor Stephan Rüschen von der DHWB Heilbronn (Duale Hochschule Baden-Württemberg) beim ECC Web Talk zum Thema Smart Stores 24/7 – Wie ernst meint es der Handel? erläuterte. Und überschaubare Kosten und wenig Personaleinsatz sind bei der Nahversorgung auf dem „platten Land“ mit einem überschaubaren Einzugsgebiet sehr gefragt.
Gemeinsam ist diesen „unbemannten“ Convenience-Stores laut Rüschen die ausgesprochen kleine Fläche (Tiny), der bargeldlose Einkauf (Cashless) und natürlich die Notwendigkeit, sich beim Betreten/Einkaufen zu registrieren (Identification). Dabei gibt es in Deutschland zum einen das Walk-In-Konzept und zum anderen die Automated Boxes. Bei den Boxes bestellt der Kunde laut Rüschen via App oder Terminal seine Produkte, die anschließend von einem Automaten ausgegeben werden. Die automatische Kommissionierung der Ware erfolgt über Roboter- bzw. Roboter-ähnliche Technologien in einem rückwärtigen Lager.
Beim sogenannten Automaten Grab & Go, dem „Greifen & Gehen“, kann der Kunde aus einem mit Tür verschlossenen Automaten den gewünschten Artikel entnehmen, der über KI erkannt und dem Kunden zugeordnet werden kann. Des Weiteren gibt es beim Format Automated Boxes den „Automatenshop“, bei dem schlicht mehrere Automaten zu einem „Shop-Konzept“ zusammengefasst werden. Und schließlich fallen auch die herkömmlichen Automaten in diese Kategorie des Einkaufs.
Beim „Walk-In“ kann der Kunde – wie der Name schon sagt – den Laden persönlich betreten und wie im Supermarkt die Produkte aus den Regalen nehmen. Auch hier gibt es die Möglichkeit des „Grab & Go“, indem die entnommenen Produkte durch KI erfasst und dem Kunden berechnet werden. Eine andere – bereits in vielen Lebensmittelmärkten praktizierte Variante – ist der Selfcheckout oder das Smartphone Scanning, bei dem der Kunde während des Einkaufs oder an dessen Ende die Produkte selbst scannt und dann bezahlt. Und bei der hybriden Lösung bieten die Smart Stores teilweise neben den umfassenden Öffnungszeiten vor Ort auch noch Personal. In der Regel gibt es pro Gemeinde nur einen Smart Store.
Die Herausforderung bei diesen meist ohne Personal betriebenen kleinen Nahversorgern oder Convenience-Stores ist nach Erfahrung von Professor Rüschen, dass die Kunden erst einmal begreifen müssen, dass meist niemand da ist, den sie fragen können. Hinzu kommen die hohen Anforderungen an die technische Ausstattung der Kunden und an ihr technisches Know-how. Doch gerade im ländlichen Raum dürfte es beispielsweise bei den älteren Kunden, die auf diese Nahversorgung besonders angewiesen sind, weil sie kein Auto haben, in diesem Punkt deutliche technische Defizite geben.
Andere Herausforderungen beim Betrieb dieser automatisierten Einkaufs-Boxen sind die Logistik und die Warenwirtschaft, das Finden des für den jeweiligen Standort richtigen Sortiments, die Behördenauflagen und präventive Maßnahmen gegen Diebstahl, denn solche unbeaufsichtigten Verkaufsstellen dürften zweifellos das Interesse von Dieben wecken.
Zum Stand August 2024 gab es nach Feststellung von Professor Rüschen deutschlandweit 450 solcher Smart Stores mit Rund-um-die-Uhr-Öffnung, wobei der Experte beim Blick in die Zukunft davon ausgeht, dass die Zahl der hybriden Nahversorger mit und ohne Personal deutlich zunehmen wird. Zu den Betreibern, die sich bislang an hybriden Lösungen versuchen, gehören Combi in Emden, Edeka Jäger im Flughafen in Stuttgart oder Edeka Alpen in Schönberg.
Zu den Betreibern von üblichen Smart Stores gehören Tante M aus Urach, deren Filialen mit über 1 000 Artikeln zwischen 5.00 und 23.00 Uhr geöffnet sind und die für nicht so Technik-affine ältere Menschen besondere Service-Zeitenzum Lernen des digitalen Einkaufs anbietet. Die Kette betreibt bislang 55 Tante-M-Läden. Tante Enso aus Bremen wirbt mit dem Slogan „Einkaufen wann, wie und wo Du willst“ und weist so darauf hin, dass sie neben den 50 bundesweiten Smart Stores auch noch einen Online-Shop bietet. Darüber hinaus können die Kunden der Genossenschaft auch als Mitglieder beitreten, sich dadurch Einkaufsvorteile sichern und die Geschäftspolitik mitgestalten.
Den Tiny-Shop Tegut…Teo (Foto: Tegut) von der Lebensmittelhandels-Kette Tegut gibt es 40mal in Deutschland. Das Geschäftsmodell ist schnell erzählt: „Du findest mich an den Orten, an denen Du im Vorbeigehen und ohne großen Zeitverlust einkaufen kannst“, heißt es hier auf der Homepage: „Das kann in der Stadt, am Bahnhof, an einer Klinik, in der Nähe Deines Büros oder auf dem Land sein.“ Auf jeden Fall will die Teo-Box nah bei den Kunden sein. Im Angebot sind 950 Artikel des täglichen Bedarfs.
Versorgungslücken im ländlichen Raum füllen
Und die Nahkauf Box von Rewe gibt es seit März 2022. Primäres Ziel dieser kleinen Läden ist es vor allem, die Versorgungslücken im ländlichen Raum zu füllen. Vor diesem Hintergrund gibt es hier Rund-um-die-Uhr 700 Artikel zu kaufen – vom Apfel bis zur Zahnbürste. Der Zugang und die Zahlung erfolgen über die Bank- oder Kreditkarte. Laut Professor Rüschen gibt es bislang acht Nahkauf Boxes, die verstreut über Deutschland von selbstständigen Rewe-Kaufleuten betrieben werden.
Besonders aktiv in diesem Feld sind hierzulande bislang die „großen Drei“ Tante M, Tante Enso und Tegut…Teo, die weiter expandieren. Daneben gibt es noch andere Konzepte. Insgesamt sieht Professor Rüschen die Smart Stores 24/7 im Rollout-Modus, woraus zu schließen ist, dass die Branche es durchaus ernst meint.
Dagegen ist das bereits erwähnte „Grab & Go“ nach seiner Beobachtung erst noch in der Testphase. So wurden mit diesem Konzept bisher 16 Tests durchgeführt und weitere zwei wurden angekündigt. Dazu gehört die Kölner Rewe, die ihr Konzept Pick & Go (Foto: Rewe) bereits an fünf Standorten testet und einen weiteren Teststandort plant. Netto MD testet an zwei Standorten, darunter in Regensburg, die Nutzung der Pick & Go-Technologie ohne App und Vorabregistrierung – allerdings nicht im 24/7-Modus. Auch Tegut…Teo testet dieses Konzept gerade an der TU Darmstadt.
Andere Namen sind Shop.Box, Hoody, Q1 mit „Grab & Go“ an einer Tankstelle und die Bäckerei Raffelhüschen, die ihren Shop auf Sylt mit einer 24/7-Lösung betreibt. Andernfalls würde es an dem Standort gar keine Bäckerei geben. Der polnische Convenience Händler Zabka, der in seinem Heimatland bereits 50 Smart Stores 24/7 betreibt, testet derzeit vier Grab & Go Konzepte im Tesla-Werk Grünheide bei Berlin.
Über die ländliche Versorgung hinaus gehören laut Professor Rüschen zu den klassischen Standorten der typischen Smart Stores 24/7 Tankstellen, Gewerbegebiete, Freizeitparks, Hotels und Krankenhäuser, Campus, Hochschulen und Berufsschulen aber auch typische Lagen für die Betriebsverpflegung und als Ergänzung für den stationären Einzelhandel außerhalb der Öffnungszeiten.
Die Automated Boxes gibt es mit 42 Standorten in Deutschland noch deutlich weniger als Smart Stores. Zu nennen sind hier die 22 Non Stop Shops der Marke Westermann, drei Latebird-Boxes, zwei Rewe Ready, zweimal Edeka 24/7, einmal Collect Box, fünf Bertie Goods und sieben VPS Roberta. Wie das Beispiel Raffelhüschen zeigt, sind diese Konzepte auch gut für die Vermarktung von Backwaren geeignet. Potenzial für den Ausbau des Automated-Boxes-Netzes bieten noch Standorte wie Tankstellen und Branchen wie Bäckereien und Metzgereien. In seinem Fazit kommt Professor Rüschen zu dem Ergebnis, dass der Einzelhandel es ernst meint mit dem Smart-Store-24/7-Konzept – „aber wir sprechen hier von einer Nische“.
Kein Freibrief bei der Sonntagsöffnung
Da die meisten Smart Stores und Boxes ohne Personal auskommen, sollte die Ladenöffnung rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche mit Blick auf das deutsche Ladenschlussgesetz und insbesondere die Sonntagsöffnung eigentlich kein Problem sein. Tatsächlich bewegen sich die Einzelhändler mit diesen Konzepten laut Rüschen jedoch in einer rechtlichen Grauzone und profitieren von einer rechtlichen Duldung.
Denn beim Verbot der Sonntagsöffnung geht es nicht nur darum, dass die Sonntage der Arbeitsruhe dienen sollen, sondern auch der seelischen Entspannung. So argumentierten etwa die Richter des Verwaltungsgerichts Hamburg im Fall eines Automatenkiosks, dass es sich hier – anders als bei einem Warenautomaten – um ein Ladengeschäft mit einem größeren Sortiment handelt, wodurch die seelische Entspannung gestört werde.
Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel urteilte, dass das hessische Ladenöffnungsgesetz nicht nur dem Arbeitsschutz diene, sondern auch dem Ziel, Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zu schützen. Hoffnung für die Smart Stores könnte jedoch vom Vorstoß der Bayerischen Landesregierung ausgehen, die das Ladeschlussgesetz liberalisieren möchte und vom Vorstoß des Landes Mecklenburg-Vorpommerns, das Sonntagsöffnungen für vollautomatisierte Verkaufsstellen erlauben will.