Einzelhandel in der Corona-Krise

Keine Planungssicherheit, kein Licht am Ende des Tunnels

Sind unsere Innenstädte künftig so leer? Foto: Vierbuchen

 

Nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 10. Februar, die außer der geplanten Öffnung der Frisöre zum 1. März vorerst keine Perspektive für die Branchen im Shutdown aufgezeigt hat, ist die Sorge der 200 000 betroffenen Nonfood-Händler über ihre weitere Zukunft groß. Und auch der Wirtschaftsgipfel, zu dem das Wirtschaftsministerium 40 Verbände eingeladen hatte, brachte nur geringe Nachbesserungen. Offen ist weiterhin die Frage nach einer transparenten Öffnungsperspektive.

Den deutschen Nonfood-Händlern und allen voran dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, fiel es angesichts der mageren Ergebnisse bei der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit der Bundeskanzlerin schwer, noch die Contenance zu wahren. „Das ist ein Schließungsszenario, kein Öffnungsszenario“, kritisierte er bei der Pressekonferenz. Erst zum 10. Februar wurde beschlossen, eine Öffnungsstrategie auszuarbeiten, die auch den seit über acht Wochen geschlossenen innerstädtischen Einzelhandel einbeziehen soll, nachdem schon nach der MPK Ende Januar angekündigt worden war, ein Konzept für eine sichere und faire Öffnungsstrategie zum Wiederhochfahren der Wirtschaft auszuarbeiten.

Für den HDE ist das ein „Wortbruch“ und ein „Versagen der Politik“, weil dem Handel damit auch in den kommenden Wochen bis zum nächsten Treffen am 7. März keine Perspektive geboten werde. Zumal auch die seit Wochen angekündigten Rettungspakete ausbleiben und die versprochenen Hilfsgelder erst ab 11. Februar beantragt werden können. Wie Genth kritisiert, haben vor allem Divergenzen zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium zu diesen Verzögerungen geführt. Bedauerlich ist aus seiner Sicht auch, dass sich das Bundeskanzleramt bei dieser Angelegenheit offenbar abschottet.

Wie Genth bei der jüngsten Pressekonferenz des Verbandes betonte, konnte er sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, dass man so etwas in Deutschland erleben würde. Mit Blick auf die prekäre Lage in weiten Teilen des von der Zwangsschließung betroffenen Nonfood-Handels planen einige Handelsunternehmen offenbar auf Basis der Länder-Corona-Schutz-Verordnungen auf Öffnung und Erhöhung der Hilfen zu klagen. Dazu gehört auch die Kaufhaus-Kette Breuninger.

Denn die Zahlen in der Branche sind dramatisch. So ermittelte der HDE, dass detwa 200 000 von den Zwangsschließungen betroffenen Nonfood-Händler an jedem geschlossenen Verkaufstag etwa 700 Mio. Euro Umsatz einbüßen. Nach einer aktuellen HDE-Umfrage unter 1 000 Unternehmen „sieht sich dementsprechend mehr als jeder zweite vom Lockdown betroffene Händler ohne weitere staatliche Hilfen in Existenzgefahr“. Und 20% der Befragten gaben an, dass sie ohne weitere Hilfen ihr Geschäft voraussichtlich noch im ersten Halbjahr 2021 schließen müssen. Weitere 37% befürchten, dass sie ihr Geschäft ohne Hilfe in der zweiten Jahreshälfte aufgeben müssen.

Damit sieht der HDE in der Branche etwa 250 000 Arbeitsplätze gefährdet und befürchtet, dass 65% der innenstädtischen Händler in diesem Jahr aufgeben müssen, weil ihnen die Liquidität ausgeht. Von den Überbrückungshilfen, die der Staat etwa 2020 zur Finanzierung der Fixkosten versprochen hatte, sind in der Branche laut Genth nur 90 Mio. Euro ausgezahlt worden, bei Umsatzeinbußen durch die beiden Shutdowns und den „Lockdown light“ im November von 36 Mrd. Euro.

Mit der willkürlichen Absenkung des Inzidenzwertes auf nunmehr 35 als Maßstab für Lockerungen fehlt der Branche laut Genth auch die nachvollziehbare und verlässliche Basis für ihre Planung, zumal die Inzidenzwerte in den einzelnen Regionen eklatant voneinander abweichen. Insbesondere in den Stadt- und Landkreisen in den östlichen Bundesländern etwa an der Grenze zu Tschechien, das die Infektionszahlen nicht in den Griff bekommt, sind die Zahlen durch die Einpendler noch im dreistelligen Bereich, in anderen dagegen schon unter 50 oder unter 35.

Deshalb fordert der Handel auch bereits bei höheren Zahlen abgestufte Verfahren, die beispielsweise Öffnungen mit strengeren Hygienevorgaben oder den Einkauf mit vorheriger Terminvereinbarung ermöglichen. Dass der Einzelhandel im Allgemeinen nicht als Hotspot zu sehen ist, lässt sich laut Genth schon daran ablesen, dass der Lebensmittelhandel und die Drogeriemärkte bei ihren 40 Mio. Besuchern täglich keine hohen Infektionszahlen verzeichnen. Der von den Zwangsschließungen betroffene Nonfood-Handel verzeichnet dagegen täglich nur 10 Mio. Besucher.

Mit Blick auf die unverbindlichen neuen Regelungen der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz, die keine Perspektive eröffnet, fürchtet Genth, dass die Politik die kritische Lage der betroffenen Nonfood-Händler nicht ernst nimmt: „Viele Händler wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll. Die Situation ist oft aussichtslos: „Keinerlei Planungssicherheit, kein Licht am Ende des Tunnels und nach wie vor unzureichende staatliche Unterstützung. Die Händler sind im Lockdown gefangen und die Politik nimmt dies in Kauf“, lautet seine harte Kritik.

Einen Lichtblick zumindest für die großen Unternehmen mit mehr als 750 Mio. Euro Umsatz brachte der jüngste Wirtschaftsgipfel. Nach Zusage von Wirtschaftsminister Peter Altmaier sollen künftig auch sie Unterstützung erhalten. Die Not sei unabhängig von der Größe bei allen vom Lockdown betroffenen Händlern riesig, hatte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser gemahnt. Zumal diese Filialunternehmen große Bedeutung für die Belebung der Innenstädte haben.

Darüber hinaus bleibt die HDE-Liste der Nachbesserungen bei den Hilfspaketen auch nach dem Wirtschaftsgipfel noch lang. So setzt sich der Verband weiterhin für die Möglichkeit „zur Auszahlung eines Unternehmerlohns“ an die vielen Inhaber kleiner und mittelständischer Unternehmen ein, damit sie nach dem Wegbrechen ihrer Einnahmen noch Geld für ihren Lebensunterhalt haben. Andernfalls drohe ihnen der Absturz in die Armut. Das gleiche gelte für die kalkulatorische Miete. Außerdem darf die Teilwertabschreibung etwa im Modehandel aus Sicht des HDE nicht nur für die unverkäufliche Winterware gelten, sondern für die gesamte Saisonware.

HDE fordert eine klare Öffnungsperspektive

Des Weiteren sieht der Spitzenverband des Einzelhandels immer noch Handlungsbedarf bei der Ungleichbehandlung des Handels gegenüber der Gastronomie bei der Dezemberhilfe: „Während hier Restaurants eine Umsatzentschädigung bekommen, werden die Händler für ihre geschlossenen Tage im Dezember bisher mit einem Fixkostenzuschuss abgespeist.“

Was dem Einzelhandel genauso wie den anderen Branchen im Shutdown aber besonders unter den Nägeln brennt, ist die Frage nach einer geordneten Rückkehr zur Normalität, einer transparenten und fairen Öffnungsperspektive: „Die Politik muss ihr Versprechen für einen einheitlichen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown rasch einlösen“, fordert HDE-Präsident Sanktjohanser: „Die aktuellen Unklarheiten verunsichern die Unternehmen in dieser schwierigen Situation zusätzlich. Da müssen klare Worte und Vorgaben her.“

Zumal der Einzelhandel in den vergangenen Monaten aus seiner Sicht bewiesen habe, dass er auch bei Inzidenzen von über 50 oder 35 mit seinen funktionierenden Hygienekonzepten sicherstellen kann, dass der Einkauf nicht zum Hotspot wird. Das zeige schon der durchgehend geöffnete Lebensmittelbereich.