12. Deutscher Handelsimmobilien-Gipfel

Jeder Stadt fehlt heute ein „Stück Dorf“

Gut besucht, aber mit gebührendem Abstand. Foto: Handelsimmobilien Report

Die Folgen der Covid-19-Pandemie haben den Druck gerade auf die Innenstädte drastisch erhöht, wie an den zahlreichen Insolvenzverfahren namhafter Innenstadt-Mieter abzulesen ist. Die Antwort auf die Frage: Wie werden die Innenstädte fit für die Zukunft?“ ist nach Einschätzung von Roland Schäfer, Ehrenpräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, ein Gemeinschaftsprojekt.

„Das gelingt nur, wenn wir das gemeinsam machen“, konstatiert der Ehrenpräsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes: „Einzelhandel und Kommunen werden Hand in Hand arbeiten müssen.“Auch das Einzelhandelskonzept für die jeweilige Kommune sollte aus seiner Sicht mit allen Akteuren am Runden Tisch erarbeitet werden, von der Politik, den Immobilieneigentümern, dem Handel, den Wohnungsbaugesellschaften und auch Vertretern aus der Kultur. Denn letztlich müssen die Konzepte umgesetzt und eingehalten werden.

Das heißt für Roland Schäfer mit Blick auf die gängige Redewendung, dass „Einzelhändler gerne einzeln handeln“, aber auch, dass die Branche bei der Bewältigung dieser Herausforderung im Team zusammenarbeiten muss. Vor diesem Hintergrund forderte er die Branchen auf, den Kontakt zu den Kommunalpolitikern zu halten und ihre Wünsche vorzutragen. Zumal die Kommunen einzelnen Händlern in dieser schwierigen Phase des Wandels auch Anstöße geben könnten und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten (z.B. Bebauungspläne) die Baukultur mitgestalten und für einen attraktiven öffentlichen Raum zuständig sind.

Mit Blick auf das bei Ansiedlung oder Umbau von Einzelhandelsimmobilien sehr rigide deutsche Planungsrecht betonte der Ehrenpräsident, dass man meistens einen Weg finden kann, der den Rechtsweg einhält, dem Einzelhandel aber auch entgegenkommt. Wichtig ist aus seiner Sicht die Flexibilität bei besonderen Wünschen.

Nach Beobachtung von Jan Hennig, Partner bei der Kanzlei GSK Stockmann, fehlt bei Kommunen aber häufig der Mut, etwa die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, die § 31 Abs 2 Baugesetzbuch (BauGB) ihnen einräumt, auch auszuspielen. Unter der Headline „Innenstädte brauchen mehr Geschwindigkeit – Änderungen im Planungsrecht“ befasste er sich mit der zentralen Frage, wo das deutsche Planungsrecht die zeitgemäße Anpassung von Handelsimmobilien behindert. Das gilt selbst für die zentralen Kerngebiete der Innenstädte, wo eigentlich alles geht, was – wie der Einzelhandel – dahingehört.

Das Planungsrecht bereitet große Probleme

Doch kommt es auch vor, dass Teile der innerstädtischen Lagen nicht als reine Kerngebiete gelten. So wurde beispielsweise der Standort eines innerstädtischen Einkaufszentrums als Sondergebiet deklariert und im Bebauungsplan Quadratmeter-genau die zulässige Fläche einzelner Branchen festgelegt. Das macht es laut Hennig unmöglich, solche Einzelhandelsimmobilien flexibel umzubauen. Hier werde die Innenstadt vor sich selbst geschützt. Das berühre auch jede Einzelhandelsentwicklung, die nicht unmittelbar im innerstädtischen Kerngebiet stattfindet, etwa in B-Lagen und an Nahversorgungstandorten.

Dabei eröffnet § 1 Abs 1 und 7 BauGB den Kommunen die Möglichkeit, auf die Erstellung von Bauleitplänen zu verzichten, sofern sie es nicht für erforderlich halten. Den Einzelhändlern im Auditorium empfahl Hennig vor diesem Hintergrund, bei einer Projektentwicklung auf ein maßgeschneidertes Planungsrecht zu verzichten, das in zehn Jahren nicht mehr stimme und den Umbau dann unmöglich machen könnte.

Verschärft hat sich die Genehmigungspraxis bei Handelsimmobilien nach Hennigs Erfahrung in den vergangenen 15 Jahren, wobei die Raumordnung, also die Landesplanung, den Kommunen inzwischen sehr genau vorschreibe, was sie dürften: „Es gibt sehr rigide Vorgaben.“ Das dürfte es den Kommunen, dem Einzelhandel und den Immobilieneigentümern nicht leichter machen, die Innenstädte in diesen harten Zeiten des Wandels, „fit für die Zukunft“ zu machen.

Losgelöst von den Widrigkeiten der deutschen Planungspraxis für Retail Assets gilt für den Einzelhandel in diesen Zeiten, in denen laut Stephan Jung, Inhaber der InoventiQ Group, nicht der CEO den Wandel des Unternehmens angeschoben hat, sondern die Covid-19-Pandemie, dass nur der überlebt, der sehr gut ist. Unter der Headline „Future Beats – Zukunft der Extraklasse“ präsentierte er 15 Vorschläge, wie der Einzelhandel den veränderten Kundenwünschen heute begegnen sollte.

Dazu gehört etwa das Thema „Convenience“, das Eingehen auf den Wunsch vieler Kunden nach Bequemlichkeit. Als Beispiel dient Jung hier die schnelle Belieferung mit Lebensmitteln, die der US-Einzelhändler Wal-Mart seinen Kunden bietet. Oder der Wunsch nach „Content“, das heißt nach Themen, Stories, Bildern und vor allem bewegten Bildern. Oder „Curation“, die Zusammenstellung der passenden Artikel / Sortimente für die Kunden in Verbindung mit viel Event-Fläche für ein regelrechtes „Retail Theater“, oder die „Inszenierung“, die den Einzelhandel heute zum Kulissenbauer in Pop-up Stores werden lässt.

Wie rigoros sich die Handels-Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten – losgelöst von „schwarzen Schwänen“ und „weißen Raben“ – verändert hat, verdeutlichte Manuel Jahn, Head of Business Development bei Habona Invest, in seinem Vortrag  über „Handelsimmobilien im Stresstest“. Die Misere hat sich nach seinen Worten schon seit längerem angekündigt, sie kommt nun aber schneller und geht womöglich nicht wieder weg.

Viele Filial-Schließungen in der Mode-Branche

Dabei zeigt die Umsatzentwicklung der verschiedenen Branchen des Einzelhandels vor und während der Krise die Richtung, in die es geht. Während der deutsche Lebensmittelhandel in den 1980er- und 1990er-Jahren vor allem auf Größe, Nachfragemacht, niedrige Preise und ein entsprechend schlichtes Ambiente in seinen Märkten setzte, hat mit dem Aufschwung 2006/07 ein Umdenken eingesetzt. Im Fokus stehen seither die Überarbeitung des Point of Sale, höherwertige Produkte, mehr Convenience, Innovation und Qualität. Auch die puristischen Discounter ziehen inzwischen nach.

Zwischen 2008 und 2019 ist der Umsatz in der Branche laut Jahn um 32% gewachsen. Teile des Nonfood-Handels wie die Mode-Branche stecken dagegen in der Krise, die sich schon an den vielen Filialschließungen im Jahr 2017 beobachten ließ. Entsprechende Vertriebswege wie die Warenhäuser mit ihrem hohen Modeanteil und viele Shopping-Center mit ihren klassischen Mietern aus der Branche stecken auch in einem Abwärtssog. In diesen Branchen wächst der Druck auf die Mieten und so manche Mode-Anbieter können sich die Mieten nicht mehr leisten.

Nach Jahns Schätzung könnte die Bekleidungsbranche bis 2030 etwa ein Drittel ihrer Umsätze verlieren. Dadurch würden Einzelhandelsflächen – beispielsweise in den oberen Etagen - freigesetzt, die anderweitig vermietet werden müssten. Das eröffnet anderen Branchen wie Kinos oder Kleinkunst die Rückkehr in die Cities und beschleunigt  damit die Veränderung des Branchen-Mix, hin zu mehr Vielfalt. Aus Jahns Sicht müsste man in den Cities über ein lokales Management und Business Improvement Districts (BID) nachdenken. Vor allem müssten die Akteure das Ziel für die Innenstadt festlegen. Der Geschäftsführer des Modehauses CJ Schmidt, Peter Cohrs, plädiert dafür, vor Ort Organisationen zu bilden, die die Stadt betreiben.

Ein Management für die Innenstädte gefordert

Nach einer groben Schätzung von Dirk Wichner, Head of Retail Leasing Germany bei Jones Lang LaSalle SE, werden etwa 5 Mio. qm Einzelhandelsfläche – von derzeit 120 Mio. qm – schon allein durch den Abfluss von Umsatz in den Online-Handel nicht mehr gebraucht. Alternative Nutzungen in den oberen Etagen sind Büros, Senioren-Wohnungen, Pflegeeinrichtungen, Kitas oder Fitness-Studios. Aus seiner Sicht hätten die Innenstädte damit im Grunde schon die Mischung, die die Menschen haben wollten. Laut Marc Wittke, Director bei Development Partner entsteht im Zuge dieser Veränderungen wieder die bunte Mischung, die es früher gab.

Dass die Menschen heute immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen müssten, wird laut Jahn den Nahversorgern und den Mischquartieren, den „New Local“, zugutekommen, die Profiteure des Wandels. Jeder Stadt fehlt ein Stück Dorf, plädiert auch Barbara Possinke, geschäftsführende Gesellschafterin von RKW Architektur+, für gut funktionierende Quartiere, die alles bieten, was die Menschen brauchen und die den „Digitalnomaden“ eine Heimat geben.

An der massiven Umgestaltung der Innenstädte beteiligen sich inzwischen auch Discounter wie Aldi, die nach ihrem Auszug auf die Grüne Wiese in den 1980er- und 1990er-Jahren im Zuge der Urbanisierung auch wieder den Standort Innenstadt für sich entdecken, wie Stefan Lehmann, stellvertretender Geschäftsführer von Aldi Property von Aldi Süd, in seinem Vortrag berichtet. Der geographische Wohlstand etabliere sich in den Städten und in den Metropolregionen.

In den Großstädten erreicht das Unternehmen mit seinen Filialen im Schnitt – auch wenn hier die Kosten naturgemäß höher sind - 60 000 Menschen, auf dem Land etwa 30 000. Die kurzen Wege zu den Menschen und die Nähe zur Bevölkerung ist Aldi heute wichtig. Dafür ist das Unternehmen auch bereit, sich gegebenenfalls an die nicht immer idealen Flächenzuschnitte anzupassen. In Düsseldorf hat Aldi im ehemaligen KULT-Kaufhaus die Flächen im ersten Obergeschoss bezogen und die Flächen im Erdgeschoss u.a. an das Gastronomie-Konzept Five Guys vermietet.

Im Karstadt an der Düsseldorfer Schadowstraße betreibt Aldi eine große Filiale im Souterrain und ist auch im neuen Kö-Bogen II, am anderen Ende der Straße, mit seinem neuesten Konzept im Untergeschoss vertreten. Aber auch am unteren Ende der Düsseldorfer Königsallee kann der Kunde bei Aldi einkaufen. „Wir haben die richtigen Konzepte, um die Innenstädte zu beleben“, ist sich Lehmann sicher.