Nachdem der deutsche Einzelhandel seine Erlöse in den ersten fünf Monaten 2023 nominal um 3,2% steigern konnte, real aber auf Grund der hohen Inflation ein Minus von 5,9% hinnehmen musste, hat der Einzelhandelsverband Deutschland (HDE) seine Prognosen für das Gesamtjahr korrigiert: auf ein nominales Plus von 3%, was einem realen Minus von 4% entspricht. Zu Jahresbeginn hatte er ein nominales Plus von 2% und ein reales Minus von 3% erwartet.
„Deutlich höhere Kosten für Energie und Wareneinkauf sowie ein schwacher privater Konsum haben den Einzelhandel im ersten Halbjahr unter Druck gesetzt“, fasst Alexander von Preen, Präsident des Handelsverbands Deutschland die Lage in seinem Halbjahresbericht zusammen: „Insbesondere die nach wie vor hohe Inflation sorgt dafür, dass die Branche nicht richtig ins Laufen kommt“, bringt er die größten Sorgen des hiesigen Einzelhandels auf den Punkt.
Denn das Gros der vom HDE im Mai befragten rund 900 Handelsunternehmen sorgt sich in diesem Jahr vor allem um die Kaufkraft der Bundesbürger (60% der Nennungen), die Preisentwicklung (59%) und die Energiepreise (55%), die darüber entscheiden, was sich die Kunden für ihr verfügbares Einkommen leisten können. 45% der befragten Bürger gaben denn auch an, dass sie sich unter den aktuellen Bedingungen bei den Ausgaben einschränken müssen, zumal 30% der bundesdeutschen Haushalte bei ihrem Netto-Einkommen unter 2 000 Euro liegen. 49% gaben an, dass sie sich etwa beim Kauf von Erdbeeren zurückgehalten oder darauf verzichtet haben.
Um die erhöhten Ausgaben im Lebensmittelhandel zu kompensieren – hier lag die Inflationsrate im Mai bei 14,9% – sparen die Kunden bei Restaurantbesuchen und Ausgaben in der Gastronomie (33% der Nennungen), bei ihren Ausgaben für Mode und Bekleidung (30%), bei Ausflügen und beim Urlaub (29%) und bei Freizeit- sowie Kulturveranstaltungen (27%). Auffallend ist, dass Einschränkungen bei Lebensmittel nicht genannt werden. Allerdings beobachten die Handelsunternehmen laut von Preen, dass die Kundenfrequenz im Lebensmittelhandel angestiegen ist – allerdings nicht, um mehr einzukaufen, sondern, um die Preise zu vergleichen.
„Die Konsumenten beobachten die Preisveränderungen und passen ihr Einkaufsverhalten an“, konstatiert HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth: „Oft kaufen sie weniger, in vielen Fällen weichen sie auf günstigere Produkte aus“. Vor diesem Hintergrund betont er, dass der Einzelhandel kein Interesse an drastisch steigenden Preisen hat. Denn unter dem Strich können viele Verbraucher nicht mehr Geld ausgeben als sie haben und wenn sie auf günstigere Produkte ausweichen, ist für den Händler die Marge niedriger. Ein Beleg ist für Genth, dass laut HDE-Konsummonitor das Gros der Kundinnen und Kunden (60%) denn auch die Hersteller als größte Profiteure der Preissteigerungen sehen.
In seinem Ausblick auf das zweite Halbjahr ist HDE-Präsident von Preen etwas zuversichtlicher, da der Höhepunkt der Inflation „hinter uns liegt“. Mit den erwarteten knapp unter 6% dürfte die Teuerungsrate aber zu hoch bleiben und eine grundlegende Entspannung für den Einzelhandel deshalb noch nicht zu erwarten sein. Deshalb werden die Verbraucher die Preisveränderungen im Blick behalten, wobei die jeweiligen Haushaltstypen unterschiedlich reagieren werden. Immerhin gibt es die 55% der Bevölkerung, die angeben, dass sie sich nicht einschränken müssen.
Der stationäre Handel soll um 2,6% wachsen
Für den stationären Einzelhandel erwartet der Handelsverband in diesem Jahr ein Umsatzwachstum von nominal 2,6% auf 560,9 Mrd. Euro, wobei nach Abzug der Teuerungsrate ein Minus von 5% bleiben könnte. Im Online-Handel erwartet er ein nominales Plus von 5,8% auf 89,4 Mrd. Euro, bei einem realen Minus von 2%. Davon werden auch die Online-Anbieter mit stationärer DNA profitieren, denn laut von Preen nutzen auch sie inzwischen alle Vertriebswege – „online“ wie „offline“. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Frequenz in den Einkaufslagen nachlässt. Der gesamte deutsche Einzelhandel dürfte nach diesen Prognosen 2023 einen Umsatz von 650,3 Mrd. Euro erzielen, nach 631,4 Mrd. Euro im Jahr 2022. Nach Abzug der Teuerungsrate bleibt real aber ein Minus von 4%.
Der stationäre Einzelhandel erzielte 2022 sogar ein Wachstum von nominal 8,8% auf 546,9 Mrd. Euro, wobei auch real noch ein kleines Plus von 1% blieb. Nach dem Corona-Beschränkungen 2020/21 sind offenbar wieder viele Menschen in den stationären Handel zurückgekehrt und haben wieder weniger im Internet bestellt. Unternehmen wie Media Markt Saturn etwa haben diese Entwicklung bestätigt.
Insgesamt ist die Stimmung unter Deutschlands Einzelhändlern mit Blick auf die hohen Preise und die erwartete leichte Rezession in diesem Jahr eher durchwachsen, wie die Befragung im Mai ergab. Nur bei 28% hat sich die Geschäftslage gegenüber Sommer 2022 verbessert, bei 30% ist sie gleichgeblieben, aber bei 43% hat sie sich verschlechtert. Bei der Gewinnlage klagten sogar 55% über eine Verschlechterung und nur 17% konnten sich verbessern.
Entspannung zeigt sich dagegen beim Thema Lieferengpässe, die laut von Preen das Geschäft im Jahr 2022 noch stark beeinträchtigt hatten. Bestimmte Warengruppen seien damals gar nicht mehr verfügbar gewesen. Im Mai klagten nur noch 16% der befragten Händler über Lieferschwierigkeiten und Lieferverzögerungen. Bei gut der Hälfte (54%) gab es geringe Verzögerungen bei einzelnen Produkten und bei 30% ist das gar kein Thema mehr.
Dagegen bleibt das Thema Frequenzrückgang in den Einkaufslagen aktuell. Denn fast ein Viertel (23%) verzeichnete „deutlich sinkende“ Frequenzen und 44% „sinkende“ Besucherzahlen. Nur 19% registrierten keine Veränderung und 12% berichteten von steigenden Besucherzahlen. Vor diesem Hintergrund appellierten von Preen und Genth an die Bundesregierung, die Städtebauförderung auf jeden Fall zu erhalten. Denn auch im öffentlichen Raum von Deutschlands Städten bleibt noch viel zu tun, damit die Cities attraktiver und klimafreundlicher werden.