Sonntagsöffnung gegen die Krise

Im Grundgesetz liegen die Hürden hoch

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Die monatelangen Zwangsschließungen haben in den Innenstädten Spuren hinterlassen und die Besucherfrequenz spürbar versiegen lassen. Eine Chance, den Umsatzverlust auszugleichen und im Wettbewerb mit dem Online-Handel aufzuholen, wäre aus Sicht des Handelsverbands Deutschland (HDE) – ausnahmsweise – bis zum Ende des Jahres die Öffnung an Sonntagen zu erlauben. Grundsätzlich ist die Politik offen für den Sonntagseinkauf, aber die Gewerkschaft Verdi sieht die Sonntagsruhe dogmatisch und das Grundgesetz lässt keinen Spielraum.

Deshalb forderte der Handelsverband Deutschland (HDE) gerade mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl im September die Politik dazu auf, „die Voraussetzungen für mehr Rechtssicherheit für gelegentliche Sonntagsöffnungen im Einzelhandel“ zu schaffen. Dabei beruft sich der Verband darauf, dass Einkaufen ja genauso ein Bestandteil der Freizeitgestaltung sei wie der Besuch von Restaurants, Kinos, Theater oder Museen, die sonntags offen sind. „In vielen anderen Wirtschaftsbereichen ist eine Sonntagsöffnung vollkommen selbstverständlich“, gibt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth zu bedenken: Und auch an den Fließbändern vieler Fabriken werde ganz selbstverständlich sonntags gearbeitet.

Da nur im stationären Einzelhandel hierzulande sonntags alles dicht sein müsse und viele Kunden dann online einkaufen, fordert der Verband, diese systematische Benachteiligung der Händler zu beenden und zumindest „gelegentliche Öffnungen rechtssicher und regelmäßig zu ermöglichen“. Dabei denkt der Hauptgeschäftsführer auch an die Entwicklung der Innenstädte und die Möglichkeit zu ihrer Belebung, die mit Blick auf die Schäden, die im Zuge der Zwangsschließungen entstanden sind, in vielen Fachforen und in der Politik diskutiert und gefördert werden.

Mit Blick auf die große Bedeutung, die der Einzelhandel nach Feststellung des IFH Köln als Hauptgrund für den Besuch der Innenstadt für viele Bürger hat, merkt auch Genth an, dass Stadtzentren „nur als Gesamtkunstwerk“ ihre Attraktivität entfalten können und auch nur so in Zukunft lebendig bleiben. Deshalb sieht der Spitzenverband nach der Wahl den kommenden Bundestag in der Pflicht, in die Debatte um die Sonntagsöffnung einzusteigen und klare Pflöcke einzuschlagen. In diesem Kontext verweist der HDE auch darauf, dass in keinem anderen Land der EU die Sonntagsöffnung so stark beschränkt wird wie hierzulande.

Hier bleibt aber die Frage, wie schnell es nach der Bundestagswahl am 26. September gelingt, eine neue Bundesregierung zu bilden, die sich dem Thema Sonntagsöffnung widmen kann. Nach der letzten Bundestagswahl zog sich der Prozess über viele Monate hin. Dann wäre es für eine Öffnung an den restlichen Sonntagen des Jahres 2021 ohnehin zu spät.

Verlässliche Rahmenbedingungen für rechtssichere gelegentliche Sonntagsöffnungen durch die Politik sind für den HDE vor allem mit Blick auf die rigide Haltung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erforderlich, die Sonntagsarbeit für ihre Mitglieder grundsätzlich ablehnt. Auch für Argumente, dass gelegentliche Sonntagsöffnungen die Wettbewerbslage des stationären Einzelhandels gegenüber dem Online-Handel stärken und damit auch die Arbeitsplätze sicherer machen würden, sind die Arbeitnehmervertreter nicht offen. Daran haben auch zahlreiche Insolvenzen mit Filialschließungen und Arbeitsplatzabbau als Folge der Shutdowns nichts geändert.

So standen viele deutsche Städte und ihre Einzelhändler laut Genth in den vergangenen Jahren vor dem Problem, dass es der Gewerkschaft Verdi immer wieder gelang, schon genehmigte und werblich vorbereitete Sonntagsöffnungen kurzfristig erfolgreich vor Gericht zu kippen. Die Unternehmen und die Städte blieben auf den Werbe- und Personalkosten sitzen.

An Brisanz gewann das Thema im Weihnachtsgeschäft 2020, als das Oberverwaltungsgericht Münster (Foto: OVG Münster) nach einem Eilantrag der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Öffnungen an den vier Adventssonntagen und am Sonntag des 3. Januar, die von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in ihrer Corona-Schutzverordnung zur Stützung des stationären Einzelhandels erlaubt worden waren, untersagte. Dabei ist es nach Erkenntnis des HDE eine Mär, dass sich die Beschäftigten im Einzelhandel gegen Sonntagsarbeit wehren. Die Erfahrungen des Handelsverbands vor Ort zeigen, dass sich „auf Grund der gewonnen Flexibilität und des zusätzlichen Entgelts für die Sonntagsarbeit in den allermeisten Fällen ausreichend Freiwillige finden, die gerne einspringen“.

Grundlage für die langjährigen Streitigkeiten um die Verkaufsoffenen Sonntage in Deutschland ist Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, der gemäß Art. 140 Grundgesetz Bestandteil des deutschen Grundgesetzes ist. Danach ist die Sonntagsruhe grundgesetzlich geschützt. Der Sonntag gilt als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Ausnahmen können demnach nur aus wichtigen Gründen nach eingehender Prüfung zugelassen werden.

Deshalb muss bei der Sonntagsöffnung im Einzelhandel ein „Anlassbezug“ bestehen. Danach darf der stationäre Handel nur im Kontext einer Großveranstaltung wie Volksfesten, Messen oder Weihnachtsmärkten öffnen, die der eigentliche Magnet und der Grund für den Besuch der City sein müssen, nicht die offenen Läden. Dass immer wieder Sonntagsöffnungen vor den Verwaltungsgerichten auf Antrag von Verdi gekippt werden, liegt deshalb daran, dass ein solcher tragfähiger Anlass nicht vorlag.

Weil in den Corona-Jahren 2020 und 2021 aber fast alle Veranstaltungen mit Menschenansammlungen abgesagt wurden bzw. noch nicht wieder erlaubt sind, ist es angesichts der Rechtslage in Deutschland schwer möglich, offene Sonntage auszurichten. Vor diesem Hintergrund hatte der Präsident des HDE, Josef Sanktjohanser, bei früherer Gelegenheit eine Grundgesetzänderung ins Spiel gebracht, um Planungs- und Rechtssicherheit für Sonntagsöffnungen zu schaffen. Das wäre ein sehr schweres Geschütz. Deshalb stellt sich die Frage, welche anderen Möglichkeiten es gibt, für Rechtssicherheit bei den Sonntagsöffnungen zu sorgen.