Hamburg rüstet auf

Ideen für die neue Innenstadt überschlagen sich

Die Hamburger denken über ihre Innenstadt nach. Foto: Handelskammer Hamburg

Die Hamburger, die ihre Stadt immer für die schönste der Welt hielten, reiben sich seit geraumer Zeit verwundert die Augen. Unzählige Initiativen unterschiedlichster Akteure überschlagen sich mit Ideen, wie die Innenstadt, und nicht nur die, zu retten ist. Kein Tag ohne teils ganzseitige Berichte zum Thema „was wird aus Hamburg“.

Die Corona-Krise hat die Mängel in der Stadtentwicklung aufgezeigt; nicht nur in der alten City wurde einiges verschlafen. Weite Teile Hamburgs leiden unter den Folgen einer wenig urbanen, auf Autogerechtigkeit fixierten Stadtplanung. Sicher ist, dass hier einiges verschlafen wurde; andere Städte in Deutschland und Europa haben frühzeitiger Weichen in Richtung Mischnutzung und Bürgerfreundlichkeit gestellt.

So schrieb bereits der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt über seine Heimatstadt: „Sie schläft, meine Schöne, sie träumt; sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten – sie sonnt sich ein wenig zu selbstgefällig und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein“.

Damit soll jetzt Schluss sein. Die Corona-Pandemie hat die teils schon seit Jahren bestehenden Probleme verschärft und Schwachstellen sichtbar werden lassen: zunehmender Leerstand auch in guten Einkaufslagen, ein verändertes Kaufverhalten, und der Faktor, dass die City als Anziehungspunkt immer weiter ins Abseits gerät.

Auch die neue Konkurrenz durch die HafenCity, in der alle modernen Ideen der Stadtplanung – Stichwort „nutzungsgemischte Stadt der kurzen Wege“ – umgesetzt werden. Vor allem das riesige Shopping-Center im Überseequartier erzwingt Reaktionen. Dagegen sind die zentralen öffentlichen Plätze der alten City, die eigentlich Treffpunkte für die Bürger sein sollten, unansehnlich und dienen oft als Parkplätze. Das gilt sogar für Plätze, die zum Weltkulturerbe Kontorhausviertel gehören.

Nach Jahren des Redens und Planens soll endlich was passieren und „Butter bei die Fische“ kommen, wie es in Hamburg heißt. „Den notwendigen Wandel wollen wir gestalten“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt, SPD. Die Stadt investiert 29 Mio. Euro in die Neugestaltung des öffentlichen Raums – die Plätze zählen ausdrücklich dazu. Die Mittel wurden im Doppelhaushalt 2021/22 beschlossen. Bis zum Ende der Legislaturperiode soll der Betrag auf 50 Mio. Euro steigen.

Die Ziele sind nicht neu und standen schon im Koalitionsvertrag: Es soll mehr Leben und Lebensqualität in die Stadt kommen, und dieses auch am Abend. Einkaufspassagen sollen umgestaltet, attraktive Orte am Wasser geschaffen werden, die Quartiere sollen fußläufig besser verbunden, das Auto zurückgedrängt werden, es soll mehr Grün und vor allem Wohnraum geschaffen werden. Zentrale Projekte sind der Auto-arme Jungfernstieg, der Umbau des Ballindamms und die Verlagerung des Busverkehrs von der Mönckebergstraße in die Steinstraße.

Zahlreiche neue Wohnungen in der City

Derzeit lebten in der Alt- und Neustadt 15 000 Menschen in 10 000 Wohnungen, so Stapelfeldt, da gebe es noch viel Luft nach oben. Künftig werde das Thema in vielen Projektentwicklungen von Anfang an mitgedacht. In den vergangenen zwölf Monaten seien in der City 100 neue Wohnungen entstanden, mehr als 900 seien in Planung.

Während die Politik diskutierte, haben der Trägerverbund Projekt Innenstadt e.V. und die im BID Mönckebergstrasse vertretenen Eigentümer Projekte umgesetzt. Gut zehn Mio. Euro hat das BID bereits in die Verschönerung der Straße gesteckt. Schwerpunkt war die Umsetzung eines neuen Konzepts für Straßen, Fassaden und Winterbeleuchtung. Gerade wurden 88 neue Bänke entlang der Einkaufsstraße aufgestellt, teils baumumspannende Rundbänke für die Passanten. In Bänke, neue Fahrradbügel und Poller wurden rund 400 000 Euro investiert. Und im Zuge der Lockerungen werden auch wieder Veranstaltungen geplant. So will das BID 20 000 Euro aus dem von Finanzsenator Andreas Dressel, SPD, bereitgestellten Neustartfonds beantragen, um die Straße im Sommer mit Veranstaltungen zu beleben.

Eine Aktion der rund 30 Grundeigentümer des Passagenviertels im Herzen der Stadt hieß der „Rote Faden“. Ein vier Kilometer langes Leitsystem auf Gehwegen und dem Boden der fünf Passagen Hanseviertel, Hamburger Hof, Galleria, Kaisergalerie und Kaufmannshaus sollte Kunden zum Bummeln und Einkaufen anlocken. Das 2017 gegründete BID Mönckebergstraße ist eines von 29 BIDs in der Hansestadt – davon kümmern sich acht um ganze Quartiere. Seit 2005 haben diese Initiativen 75 Mio. Euro in die Verschönerung der Hamburger City investiert.

Ein neues „Bündnis für die Innenstadt“

Auch die Handelskammer und das City Management Hamburg, der DEHOGA Hamburg Hotel- und Gaststättenverband, der Handelsverband Nord, der Tourismusverband Hamburg, der Trägerverbund Projekt Innenstadt, der Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels haben sich zum „Bündnis für die Innenstadt“ zusammengeschlossen und ein Konzept entwickelt. Die City müsse mehr bieten. Eine hohe städtebauliche Qualität, eine hohe Verweilqualität und Einkaufserlebnis, das mit Kultur, Events und Gastronomie verknüpft wird.

Hauptkritikpunkt: Jahrzehntelang habe sich die Politik auf die Hafencity konzentriert. Millionensummen seien in die Leuchtturmprojekte Elbphilharmonie, die Magellan-Terrassen und die Entwicklung des Überseequartiers geflossen. Dies käme bei den Touristen auch gut an, aber der Kern der Innenstadt sei darüber vernachlässigt worden. Die Folge: Vor allem kleine Händler haben Angst, dass sie zwischen der boomenden Hafencity und dem Online-Handel zerrieben werden. Mitte Mai hat die CDU-Fraktion mit einem eigenen Konzept nachgelegt: Danach soll der Einzelhandel

durch Angebote wie „Einkauf in der Nacht“ und zusätzliche Öffnungszeiten attraktiver werden. Das Parken in den besucherarmen Zeiten soll subventioniert werden. Und neben einem eigenen Verkehrskonzept mit Nachbesserungen für Fuß- und Radverkehr soll es nach Vorstellung der CDU auch Innovationen wie automatisch fahrende Pendeldienste geben. Zudem soll die City mit der Wiederbelebung der Linienschifffahrt auf der Alster zusätzlich angebunden werden.

Bei der Gastronomie geht es um mehr Flexibilität für Konzepte wie Food Events sowie Pop-up-Restaurants und zusätzliche Genehmigungen für Außengastronomie. Auch die Idee einer innerstädtischen Markthalle wie es sie in Barcelona gibt, ist Teil der Überlegungen genauso wie das Alsterpromenaden-Konzept von 2018. Hier soll mehr Raum für Gastronomie, Veranstaltungen und einen Strandclub entstehen. „Durch ein größeres und vielfältigeres Angebot wollen wir auch mehr Belebung in den Abendstunden erreichen“, heißt es im CDU-Papier. „Die ganze Innenstadt soll für kulturelle Zwecke bespielt werden“. In einer „Stadtwerkstatt“ wurden die Pläne am 21. Juni öffentlich mit Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diskutiert.

Wer in die Hamburger City kommt, der sieht den Handlungsbedarf. Die Frequenz in vielen Geschäften ist noch überschaubar und auf großen Flächen wird nicht abverkaufte Ware aus dem Vorjahr zu reduzierten Preisen angeboten. Die normalen Zeiten sind noch nicht zurück. Sorgen bereiten die geschlossenen Häuser von Kaufhof und Karstadt Sports, aber auch Lücken in anderen Einkaufslagen. Denn Leerstand mindert die Frequenz und belastet damit das Geschäft der Nachbarn.

Der Handlungsbedarf ist deutlich zu sehen

Die Hälfte der Modehändler sähen ihre Existenz akut gefährdet, sagt Brigitte Nolte vom Handelsverband Nord. Die Umsätze in der Innenstadt würden um 20 bis 30% unter dem Niveau von 2019 liegen, ergänzt Brigitte Engler, Geschäftsführerin des City-Managements. Sie hofft vor allem auf das Wiedererstarken des Tourismus. Ob das Interesse an Mode nach der Krise wieder steigt und Home-Office-Arbeiter in die City zurückkehren statt am Wohnort einzukaufen, ist ungewiss.

Insolvenzen wie von Tally Weijl, Esprit, Adler oder Hallhuber haben die Überkapazitäten in der Modebranche zum Teil schon vor Corona offenbart. Marktforscher erwarten, dass sich Online-Shopping auf einem deutlich höheren Niveau einpendeln wird. Amazon baut schon vor und stellt in Deutschland 5 000 Mitarbeiter ein.

Trotz der Probleme siedeln sich in einigen Einkaufslagen auch neue Shops an. Etwa der skandinavische Anbieter von Funktionsbekleidung Rains in der Europa-Passage, ein neues Lacoste-Geschäft im Alstertal Einkaufs Zentrum AEZ oder Scotch & Soda im Levantehaus. Handelsexperten gehen aber davon aus, dass nicht automatisch immer neue Textilhändler nachrücken, sondern dass sich ein neuer Mietermix etabliert. „Mit der Neueröffnung von Hardeck am Gänsemarkt zeigt sich ein Wandel im innerstädtischen Einzelhandel“, sagt Brigitte Nolte über die Ansiedlung eines Möbel- und Küchenstudios in der Bestlage.