Verkaufsoffene Sonntage

Hohe Barrieren vor allem in Corona-Zeiten

Das Bundesverwaltungsgericht wacht über die verkaufsoffenen Sonntage. Bild Fotolia

Während sich der stationäre Einzelhandel in Deutschland in einem sehr engen Korsett bewegen muss, ist im Online-Handel davon kaum etwas zu spüren. Zu den restriktiven Themen der Stationären gehören die Sonntagsöffnungen, die ihnen im Wettbewerb mit dem Online-Handel eigentlich helfen sollen, Boden gut zu machen, wie die Umfrage des Netzwerks „Die Stadtretter“ zeigt. Doch die Planungssicherheit ist bei diesem Thema gering.

Anders als im restriktiven Planungsrecht für den großflächigen Einzelhandel liegt das Scheitern der wenigen jährlichen Sonntagsöffnungen aber nicht an den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden, wie die Umfrage des Netzwerks „Die Stadtretter“ bei 434 Kommunen, städtischen Marketinggesellschaften und Wirtschaftsförderungen ergab. „Bedingt durch Klagen und Gerichtsentscheidungen, aber auch durch äußere Einflüsse wie Extremwetterereignisse oder eben die Corona-Pandemie, waren Kommunen in der Vergangenheit immer wieder gezwungen, verkaufsoffene Sonntage kurzfristig abzusagen“, erklärt Bo Nintzel, Mit-Initiator des Netzwerks und Geschäftsführerder Immovativ GmbH.

Mit Blick auf die Arbeit und das Geld für die Organisation der Sonntagsöffnung, die in Verbindung mit größeren städtischen Events ausgerichtet werden sollte, ist der Schaden groß. In diesem Kontext hat die Umfrage aus dem vergangenen Dezember nach den Worten von Boris Hedde, Mit-Initiator des Netzwerks und Geschäftsführer des IFH Köln, eine gute und repräsentative Ausgangsbasis geschaffen, um den Dialog bei dem Thema „verkaufsoffenen Sonntage“ voranzubringen.

Zusätzlich an Brisanz gewann das Thema im Weihnachtsgeschäft 2020, weil das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) nach einem Eilantrag der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Öffnungen an den vier Adventssonntagen und am 3. Januar, die von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in ihrer Corona-Schutzverordnung zur Stützung des stationären Handels erlaubt worden waren, untersagte. Dass der harte Shutdown zum 16. Dezember diese Pläne durchkreuzte, zeigt das Ausmaß der Unwägbarkeiten bei einem solchen Projekt.

Dabei ergab die Umfrage des Netzwerks, dass die Ladenöffnung an Sonntagen in den Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern bislang für 88% der Händler und Gastronomen ein Erfolg war, nur 3% waren unzufrieden. Da das Jahr 2020 komplett von den Restriktionen zur Pandemie-Bekämpfung geprägt war, bezieht sich die Befragung auf frühere Jahre. In den Mittelstädten (über 25 000 bis 100 000 Einwohner) war für 85% der Händler und Gastronomen die Sonntagsöffnung erfolgreich, während das in den Kleinstädten bis 25 000 Einwohner nur für 50% der Befragten galt, 8% waren unzufrieden und 42% konnten die Frage nicht klar beantworten.

Insgesamt ergab die Umfrage aber, dass vor 2020 zwei Drittel der kleineren Städte und vier Fünftel der mittleren und großen Städte regelmäßig verkaufsoffene Sonntage durchführten und das Gros auch profitierte. Vor diesem Hintergrund gaben die Verantwortlichen in den Kommunen laut Hedde an: „Solange der Handel möchte, werden verkaufsoffene Sonntage gefördert.“ Dabei veranstalten kleinere Städte in der Regel drei und die größeren vier und mehr offene Sonntage.

Entscheidend ist der „Anlassbezug“

Dass diese Entscheidung aber nicht allein in den Händen der Kommunen liegt, zeigt der Blick auf das Jahr 2020 und den „Anlassbezug“, der bei der Sonntagsöffnung bestehen muss: Demnach darf der stationäre Handel nur im Kontext einer Großveranstaltung wie Volksfesten, Messen oder Weihnachtsmärkten öffnen, die der eigentliche Magnet und der Grund für den Besucherstrom sein müssen, nicht die offenen Läden. Immer wieder werden deshalb Sonntagsöffnungen von den Verwaltungsgerichten auf Antrag von Verdi gekippt, weil ein tragfähiger Anlass nicht vorlag.

„Events müssen weiterhin das zentrale Argument für verkaufsoffene Sonntage bleiben“, mahnt Hedde, „gerade um dem in einigen Bundesländern geforderten Anlassbezug Rechnung zu tragen“. Das erfordert beim Einzelhandel aus seiner Sicht einen Perspektivwechsel. Es dürfe nicht nur mit den zusätzlichen Umsätzen an einem verkaufsoffenen Sonntag argumentiert werden, vielmehr sollte der Freizeitcharakter eine größere Rolle spielen. Laut Studie haben Mittelstädte und Großstädte vor 2020 öfter spezielle Events für verkaufsoffene Sonntage geschaffen als kleinere Städte, die den Sonntagsverkauf häufiger an bestehende Events „angedockt“ haben.

Weil im Corona-Jahr 2020 aber fast alle Veranstaltungen mit Menschenaufläufen abgesagt wurden, war es kaum möglich, für den bereits durch den ersten Shutdown gebeutelten Einzelhandel durch offene Sonntage zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen. Das zeigen die Zahlen der Umfrage. Danach haben nur 24% der kleineren Städte im Schnitt 1,5 Sonntagsverkäufe durchgeführt, 2019 waren es mit 2,9 fast doppelt so viele. Bei den mittelgroßen Städten richteten 39% der Städte (2019: 95%) verkaufsoffene Sonntage aus. Das waren 1,9 offene Sonntage statt 3,7 im Jahr 2019. In den Großstädten waren es 31% oder 1,7 Sonntage gegenüber 87% oder 3,5 Sonntage in den Vorjahren.

„Gut zwei Drittel der kleineren Städte und fast alle der mittelgroßen Städte und Großstädte haben für 2020 geplante verkaufsoffene Sonntage nicht durchgeführt“, schreiben die Stadtretter: „Durchschnittlich fielen 2,5 bis drei verkaufsoffene Sonntage aus.“ Dabei ist der Verkauf gerade an den Sonntagnachmittagen für den stationären Handel interessant, weil viele Bürger in dieser Zeit im Internet kaufen. Hier könnte der stationäre Einzelhandel mit einer alternativen Freizeitgestaltung gegen das Internet punkten.

Sonntagsöffnungen funktionieren besser als „Late Night Shopping“

Und er trifft dabei auch auf großes Interesse in der Bevölkerung, die laut Studie darin einen sehr beliebten Anlass sieht, in die Innenstadt zu fahren. Sonntagsöffnungen funktionieren auch besser etwa „Late Night Shopping“. Weitere Argumente „Pro Sonntagseinkauf“ sind, dass Berufstätige sonntags entspannter einkaufen können und auch der Einkauf mit der Familie begünstigt wird. Auch berichten die Kommunen, dass am verkaufsoffenen Sonntag ein ganz anderer Kundekreis in die Stadt kommt als während der Woche. Das seien Kunden, die ohne die Sonntagsöffnung nicht kommen würden.

Neben der Unterstützung des Einzelhandels wird in den offenen Sonntagen auch eine Maßnahme gegen die Verödung der Städte gesehen und ein Angebot an die Bürger und auswärtige Gäste. Aber auch für die Reputation der Stadt bringt der sonntägliche Bummel Vorteile, weil er deren Bekanntheit und Image steigert und Touristen in die Stadt zieht.

Auch die Kombination mit Veranstaltungen stärkt die Bindung der Kunden an den Standort und spricht laut Studie Kunden an, die sonst anders einkaufen. Wichtig für den offenen Sonntag ist dabei ein stimmiges Gesamtkonzept mit einem thematischen Schwerpunkt, der die gesamte Innenstadt unter ein Motto stellt und ein sportliches und kulturelles Begleitprogramm bietet – bei Beteiligung aller Gewerbetreibender. Das ist auch mit erheblichem ehrenamtlichem Aufwand verbunden. Umso ärgerlicher ist es, wenn solche Sonntagsöffnungen kurzfristig von den Gerichten gekippt werden. Deshalb lähmt die bestehende rechtliche Unsicherheit die Organisation von offenen Sonntagen. Zumal die Begründung für solche Veranstaltungen sehr stichhaltig sein muss und mit viele Arbeit verbunden ist. „Gut beraten sind Kommunen, im Vorfeld das Gespräch mit Gewerkschaften und Kirchen zu suchen und diese auch aktiv einzubinden“, empfehlen die Stadtretter. Gleichwohl sei der wirtschaftliche Erfolg für den Einzelhandel „noch immer einer der relevantesten Aspekte und Argumente für Kommunen zur Durchführung von Verkaufsoffenen Sonntagen“. Dies gilt vor allem im Zeitalter der Digitalisierung, denn die Online-Konkurrenz schläft nie. Klar ist auch, dass verkaufsoffene Sonntage laut Studie die Attraktivität der Innenstädte steigern.

Deshalb geht der Handelsverband Deutschland (HDE) noch einen Schritt weiter, wenn sein Präsident Josef Sanktjohanser gegebenenfalls eine Grundgesetzänderung ins Spiel bringt, um Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen. Denn Hintergrund der langjährigen Streitigkeiten um die Verkaufsoffenen Sonntage ist Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, der gemäß Art. 140 Grundgesetz Teil des deutschen Grundgesetzes ist. Danach ist die Sonntagsruhe grundgesetzlich geschützt. Der Sonntag gilt als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Ausnahmen können nur aus wichtigen Gründen nach eingehender Prüfung zugelassen werden.

Mit Blick auf die aktuellen wochenlangen Zwangsschließungen und die vielen gefährdeten Bekleidungshändler ist es laut Sanktjohanser aber wichtig, dass diese die Chance erhalten, zumindest ein wenig Umsatz durch „gelegentliche aber verlässliche Sonntagsöffnungen aufzuholen“. Im aktuellen Shutdown ist das zwar kein Thema, doch im Sommer könnten viele Unternehmen darauf angewiesen sein, die Umsatzverluste aufzuholen. Zumal die Sonntagsöffnung in keinem anderen europäischen Land - außer der Schweiz – derart beschränkt wird wie in Deutschland.