Zukunft des Handels, Zukunft der Städte

Herausforderungen auf breiter Front

Gut besuchter Westenhellweg in der Vor-Corona-Zeit. Foto: Dortmund Tourismus

Der Einzelhandel und mit ihm die Innenstädte stehen nicht erst seit den Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung vor großen Herausforderungen. Mit der Frage, wie die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen neugestaltet werden sollten, befasst sich die Studie „Zukunft des Handels, Zukunft der Städte“.

Wer auf die Homepages vieler Städte und Gemeinden geht, findet schnell Hinweise auf die Gewerbegebiete und wie man dort einen Betrieb etablieren kann. Die Ansiedlung von Industriebetrieben schafft auf einen Schlag – je nach Größe – zahlreiche Arbeitsplätze. Meist verwalten Wirtschaftsförderungen die Gewerbegebiete und Industriegebäude.

Ausführliche Informationen über die Einzelhandelslagen sucht man bei vielen Städten meist vergeblich. Allenfalls findet man eine dürre Liste mit den Händlernamen, die es in der Kommune gibt. Da die Einzelhandelslagen viel kleinteiliger sind als Industrieansiedlungen und es in den einzelnen Filialen oft nur wenige Beschäftigte gibt, springt die Bedeutung des Handels für den örtlichen Arbeitsmarkt nicht so ins Auge. Wenn einzelne Geschäfte schließen, fällt das kaum ins Gewicht.

Zwar ist die Bedeutung eines gut sortierten Einzelhandelsangebots (plus Gastronomie und Handwerker) für die Attraktivität einer Stadt als Wohnort auch in den Kommunen hinlänglich bekannt, doch die intensive Befassung mit den Einzelhandelslagen und ihrer Angebotsqualität kommt meist zu kurz, nicht zuletzt, weil es vor Ort keine Experten oder Expertinnen gibt, die den Einzelhandel steuern könnten.

Nachdem der Strukturwandel durch die Online-Konkurrenz in den Einkaufslagen schon seit Jahren sichtbare Spuren hinterlässt und viele Städte dagegen wenig getan haben, kommen die Folgen der Zwangsschließungen, die den Online-Handel befeuert haben, noch obendrauf. Dass der Druck auf die Innenstadtlagen, die Immobilieneigentümer und die Kommunen deshalb nun gewaltig ist, lässt sich an den vielen aktuellen Initiativen und Diskussionsrunden bei Foren und Kongressen ablesen.

Dass stellt auch Prof. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft,Innovation, Digitalisierung und Energie von Nordrhein-Westfalen (NRW) fest, wenn er im Vorwort der Studie „Zukunft des Handels, Zukunft der Städte“, die das IFH Köln im Auftragdes Ministeriums erstellt hat, schreibt, dass Handel und Innenstädte derzeit vor großen Herausforderungen stehen: „Diese gilt es nun, mit Gestaltungswillen und Optimismus anzunehmen.“ Dabei konzediert der Minister den Innenstädten und dem Handel in NRW Potenzial.

Eine wachsende Zahl von Geschäftsschließungen

Wobei die zu überwindenden Probleme unübersehbar sind, wie der IFH-Studie mit Blick auf die wachsende Zahl von Geschäftsschließungen in nordrhein-westfälischen Klein-, Mittel- und Großstädten zu entnehmen ist. Demnach wurden zwischen 2010 und 2020 bislang über 10 000 Läden geschlossen. Die durchschnittliche Leerstandsquote belief sich im vergangenen Jahr auf 7 bis 10%. Da die Corona-bedingten Restriktionen die Entwicklung beschleunigen, prognostizieren die Forscher für Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2030 bis zu 21 000 weitere Geschäftsschließungen, was bei der Zahl der Geschäfte einem Rückgang von um die 20% bedeuten würde.

Ursachen für diesen Abschmelzungsprozess sind laut Studie die sinkenden Besucherfrequenzen in vielen Innenstädten, den Stadtteilen und Ortszentren von Klein-, Mittel- und Großstädten. Allein im Corona-Jahr 2020 lag der Rückgang im Durchschnitt bei 30% und an ansonsten besonders umsatzstarken Aktionstagen wie dem Black Friday oder dem Samstag vor dem ersten Advent in der Spitze sogar bei -70%. Dabei liefert die Tatsache, dass die Bundesbürger in den vergangenen Jahren vermehrt im Online-Shop einkaufen nur einen Teil der Begründung.

Der Rest der Wahrheit ist, dass der Einzelhandel „in seiner heutigen Form“ vor allem bei der jüngeren Kundschaft an Anziehungskraft eingebüßt hat, wie die IFH-Forscher in ihrer Analyse festgestellt haben. Sie leiten dies aus der Tatsache ab, dass das Durchschnittsalter der Innenstadtbesucher in den vergangenen Jahren stetig steigt. Zudem werden pro Besuch nur noch wenige Geschäfte aufgesucht und die Verweildauer ist gering. Gleichzeitig ist das IFH der Frage nachgegangen, was die Menschen in NRW von ihren Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren erwarten. Dabei zeigte sich, dass die Bürger über den Einzelhandel hinaus mehr Gastronomie, Freizeit-, Kultur-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen erwarten. „Hervorzuheben“ ist laut Studie „die hohe Bedeutung, die (konsumfreien) Verweil-, Freizeit- und Interaktionszonen sowie dem Thema Wohnen beigemessen wird“.

Gerade die während der Zwangsschließungen verödeten Cities der Großstädte haben deutlich vor Augen geführt, dass es außer dem Einzelhandel nichts gibt, was Menschen veranlassen könnte, in die Innenstädte zu gehen, wie etwa Spielplätze für Familien mit Kindern – um nur ein Beispiel zu nennen. Hinzu kommt das Ambiente von Klima-unfreundlichen Steinwüsten, die viele Stadtzentren heute prägen. Die Pandemie hat gnadenlos offengelegt, welches Leben – neben Einzelhandel und Gastronomie – in vielen Innenstädten fehlt.

Die Pandemie hat die Schwächen offengelegt

Zwar stehen bei den Einwohnern von Nordrhein-Westfalen in den Großstädten vor allem Shopping und Gastronomie im Vordergrund und in Klein- und Mittelstädten der tägliche Einkauf, doch hadern vor allem junge Kunden – wie erwähnt – mit dem Einzelhandel, wie er sich heute in weiten Teilen präsentiert. Denn die typische Denke im Einzelhandel, durch Masseneinkauf die Preise zu senken und durch Massenangebot die Ware in den Markt zu drücken, entspricht zwar dem wirtschaftlichen Effizienzdenken und sorgt für niedrige Preise, doch wird der Preis damit auch zum maßgeblichen Kaufargument.

Dadurch fehlt der Unterhaltungswert – etwa indem ein ausgefallenes Sortiment angeboten wird oder der Verkaufsraum besonders gestaltet ist oder besondere Aktionen geboten werden. Nur Ware anbieten, wenn der Kleiderschrank schon voll ist, reicht heute nicht mehr. Und den günstigsten Preis bietet ohnehin meist die Online-Konkurrenz. Doch für ein Umdenken müssten viele deutsche Unternehmen ihre Verkaufsphilosophie und ihre Wertschöpfungskette grundlegend überdenken. Dies sind Hausaufgaben, die der Einzelhandel zunächst einmal für sich allein machen muss.

Bei der neuen Gestaltung der Stadtzentren geht es dagegen vor allem um Kooperation. So heißt es zum Thema „Zusammenarbeit stärken: Handlungsfähige und resiliente Strukturen schaffen in der IFH-Studie: „Als wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung und den Erfolg klein-, mittel- und großstädtischer Zentren wird von Vertreterinnen und Vertretern des Handels und der Kommunen gleichermaßen eine umfassende und intensive Zusammenarbeit der für einen Standort relevanten Akteure aus Stadt, Handel, Gastronomie, Immobilienwirtschaft etc. angeführt“. Wie oben dargestellt, gibt es auch bei diesem Thema in vielen Städten und Gemeinden Nachholbedarf.

Dies sehen Handel und Kommunen laut IFH genauso, wenn sie signalisieren, dass bei vielen Themen und Aufgaben „Nachhol-, Schulungs- und Finanzierungs- bzw. Förderungsbedarf besteht, um die Entwicklung von Handelsstandorten aktiv und ganzheitlich vorantreiben zu können“.

Nachrüsten müssen die Städte und Kommunen laut IFH-Studie auch beim Thema Digitalisierung. Hier empfehlen die Experten „den analog-digitalen Datenraum der Stadt zu nutzen“, um Services und Systeme für die Bürger zu schaffen wie digitale Alltagsbegleiter oder für eine urbane Intralogistik, die den lokalen Akteuren – natürlich klimaneutral und mobilitätsoptimiert – den Aufbau eines E-Business ermöglicht. Da die Akteure in den Innenstädten und auch die Bevölkerung beim Thema Digitalisierung noch nie so aufgeschlossen waren, wie seit Beginn der Pandemie mit ihren Beschränkungen, empfiehlt das IFH solche Projekte umgehend anzupacken.

Bei der Neugestaltung ist Kooperation gefragt

Ein zentrales Thema bei der Aufwertung der Cities ist auch die Anpassung und flexible Handhabung diverser rechtlicher Rahmenbedingungen wie etwa in den Bereichen Nutzungsänderung und Nutzungsmischung, Einzelhandelsentwicklung und Sonntagsöffnung, Themen, die hierzulande meist restriktiv gehandhabt werden. Nur so könnten laut Studie aber kreative bzw. innovative Wege der Standortentwicklung und Stadtaktivierung beschritten werden. Zudem müssten sich die Kommunen einschalten, um bei Leerstand Trading-down Effekte durch Billig-Ketten zu verhindern.

Und wichtig ist die Schaffung von Erlebniswerten und Aufenthaltsqualität in den Zentren durch mehr Ambiente, Flair und Bequemlichkeit, dem Angebot und der Erreichbarkeit. Das seien wichtige Stellschrauben, heißt es in der Studie. Es geht aber auch darum, „emotional ausgerichtete“ Besuchs- und Verweilimpulse zu schaffen.

Insgesamt sind die Forscher zuversichtlich, dass innerstädtische Handelsstandorte und der Einzelhandel in NRW Potenzial haben, auch wenn der Online-Handel weiterwachsen wird und die aktuellen Handelsformate vor allem mit Blick auf die jüngere Kundschaft „kein Garant (mehr) für hinreichend hohe Besucherfrequenzen ist“. Doch der Blick auf die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass sich die Kundschaft zum großen Teil zusammen setzt aus „selektiven Online-Shoppern“ (64%), die je nach Produkt und Lage zwischen Online- und Offline-Kanälen hin und her wechseln und den „traditionellen Handelskäufern“ (18%), die nicht (gerne) im Internet einkaufen.

Hinzu kommt der emotionale Faktor, der die Menschen an ihre Heimat bindet. Laut Studie verbinden „die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen mit dem Handel in ihren Innenstädten, Quartieren, Orts- und Stadtteilzentren mehrheitlich Lebensqualität, Wohnortattraktivität und Heimatgefühl“. Zudem seien mehr als zwei Drittel der Befragten besorgt darüber, dass Händler an ihren Wohnorten die Coronakrise womöglich nicht überstehen könnten. Das zeugt von viel Loyalität.