Einzelhandel 2020

HDE erwartet steigende Zahl von Insolvenzen

Der Online-Handel profitierte besonders. Foto: BTE

„Die Umsätze im Einzelhandel in Deutschland werden 2020 das elfte Jahr in Folge wachsen“, hatte der Handelsverband Deutschland (HDE) im Februar noch voller Optimismus prognostiziert. Und zwar um 2,5% auf 557,2 Mrd. Euro - nach 3,2% im Jahr 2019. Als typischer „Schwarzer Schwan“ hat die Covid-19-Pandemie mit fünf Wochen Shutdown für den größten Teil des Nonfood-Einzelhandels (200 000 Geschäfte), darunter maßgebliche Teile des innerstädtischen Einzelhandels - die Karten im Frühjahr völlig neu gemischt.

Nach einem Umsatzrückgang beispielsweise im Bekleidungseinzelhandel von 54,1% im März und von 75,1% im April schätzt der HDE, dass die Händler, die über fünf Wochen zum Schutz vor der Corona-Epidemie komplett schließen mussten, im Gesamtjahr mit einem Umsatzrückgang von rund 22% gegenüber 2019 rechnen müssten. Unter Einbeziehung des Lebensmitteleinzelhandels, der vom Shutdown ausgenommen war und – allerdings bei teilweise gestiegenen Kosten – deutlich wachsen konnte, prognostiziert der Handelsverband für den gesamten Einzelhandel in diesem Jahr per Saldo einen Umsatzrückgang von -4%.

Denn der Nonfood-Einzelhandel wird nach den Worten von HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth (Foto) gemessen am Vorjahr etwa 40 Mrd. Euro an Umsatz einbüßen – und das gilt auch nur unter der Voraussetzung, dass es keine zweite Corona-Welle mit erneuten Beschränkungen gibt. „Damit ist das Jahr 2020 das Jahr mit dem stärksten Wirtschaftsrückgang in der Geschichte des Einzelhandels seit dem zweiten Weltkrieg“, fasst Genth nüchtern zusammen. Denn die Erholung nach den Lockerungsmaßnahmen verläuft nach Beobachtung des Handelsverbands nur schleppend. In den vergangenen drei Monaten wurde weniger im Nonfood-Handel eingekauft – und das gilt auch Online. Und bei einem Viertel der Nonfood-Händler lag der Umsatz Anfang Juni erst bei 51 bis 75% des Vorjahresumsatzes.

Hinzu kommt, dass sich das Kaufverhalten der Kunden verändert. So ist 2020 der Anteil des Bedarfskaufs im stationären Einzelhandel gegenüber 2017 um 21% gestiegen, während der Anteil der allgemeinen Shopping-Ausflüge um 12% zurückgegangen ist. Laut Genth gehen die Bundesbürger heute gezielter in die Innenstädte, weil sie etwas brauchen, Einkaufsbummel nehmen dagegen ab. Die Kunden verharren im Krisenmodus. Hinzu kommt, dass die berufliche Ungewissheit bei vielen Konsumenten, die sich in Kurzarbeit befinden, die Kauflaune drückt. Ablesen lässt sich das daran, dass die Sparquote steigt.

Sorge um die großen Mode-Kaufhäuser

Von dem Konjunkturpaket der Bundesregierung wie dem Kinderbonus, der bei den Besserverdienenden aber mit der Steuer verrechnet wird, und der Mehrwertsteuersenkung, die aber nicht alle Händler weitergeben werden, erwartet der Handelsverband nicht den großen Schub. Letztlich entscheidend für den Konsum wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt sein. Denn nichts dämpft die Kauflaune so sehr, wie die Sorge um den Arbeitsplatz oder der Arbeitsplatzverlust.

Vor dem Hintergrund dieser Ungewissheit erwartet der HDE bei der Einzelhandelskonjunktur ein „L-Szenario“, allerdings unter der Voraussetzung, dass es im Herbst nicht zu einer zweiten Welle mit einem erneuten Lockdown kommt. Das heißt, es werde zu einer langsamen, aber kontinuierlichen Umsatzerholung im sogenannten „Lockdown-Handel“ kommen. Die Dynamik im Online-Handel, die während des Shutdowns deutlich zugelegt hat – sie lag im März bei +14,8% und im April bei +25,8% ­– werde im Jahresverlauf wieder etwas nachlassen. Aber die Verbraucher würden ihr Einkaufsverhalten neu justieren.

So geht Genth davon aus, dass die Krise den Einzelhandel noch über das Jahr 2021 hinaus belasten wird. Was bedeutet das für die Branche? Der Handelsverband rechnet in diesem Kontext mit einer steigenden Zahl von Insolvenzen und dass der Druck auf die Einzelhändler, die Geschäftsmodelle sowie Standort- und Investitionsentscheidungen anzupassen, steigen wird. Zudem erwartet er in den Unternehmen einen Digitalisierungsschub. Ein „V“-Szenario mit einer schnellen Erholung hält der Verband dagegen für wenig realistisch. Und er hofft auch, dass es nicht zu einer zweiten Welle kommt mit einem „W-Szenario“. Dies würde auch das wichtige Weihnachtsgeschäft sehr stark belasten.

Probleme vor allem bei institutionellen Vermietern

Um den Einzelhandel in dieser schwierigen Lage zu unterstützen sollte die Politik aus Sicht des HDE die Überbrückungshilfen ausbauen, weitere Impulse für den Konsum setzen, Innenstadtfonds zur Unterstützung von Städten und Gemeinden einrichten, vor allem kleine und mittlere Unternehmen mit einem Digitalisierungszuschuss unterstützen und die Wirtschaftsstandorte durch eine Investitionsoffensive stärken, beispielsweise auch um weitere Nutzungen wie z.B. Gastronomie anzusiedeln.

Mit Sorge sieht der Branchenverband derzeit auf die großen Mode-Kaufhäuser, die als Magneten für die Innenstädte sehr wichtig sind, die aber unter der geringen Frequenz in den Cities leiden und deshalb aktuell sehr zu kämpfen haben. Für diese würde sich Genth Unterstützung durch den Staat wünschen. Vor allem kann er sich vorstellen, dass eine liberalere Handhabung der Sonntagsöffnungen beispielsweise in der Adventszeit den Einzelhandel in dieser Krise unterstützen würde. Hier appelliert er auch an die Vernunft der Gewerkschaften, die massiv gegen Sonntagsöffnungen vorgehen.

Mit Blick auf den Verhaltenskodex bei Mietfragen in der Corona-Krise, den der Handelsverband HDE zusammen mit dem Zentralen Immobilienausschuss ZIA als Interessenvertreter der Immobilieneigentümer entwickelt hat, berichtet Genth, dass es vor allem bei institutionellen Vermietern Probleme gebe, über Mietnachlässe während der Shutdown-Phase zu verhandeln. Bei privaten Vermietern sei das Entgegenkommen dagegen größer.