Jahresausblick 2021

Haben wir bei Retail die Untergrenze gesehen?

Sehr ruhige Weihnachten vor einem ungewissen Jahr 2021. Bild: Fotolia

Mit Prognosen für 2021 tun sich die Experten derzeit schwer. Der weitere Verlauf der Pandemie ist schwer einzuschätzen und damit auch die Unwägbarkeiten für die Wirtschaft im Allgemeinen und den Einzelhandel im Besonderen. Klar ist aber, dass es Gewinner und Verlierer gibt, dass über neue Konzepte nachgedacht wird und die Banken restriktiver finanzieren.

Der schwarze Schwan, sprich das unerwartete Ereignis, das alles über den Haufen wirft, ist nach den Worten von Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany in diesem Jahr in Form der Covid 19-Pandemie gelandet – mit gravierenden Veränderungen für die weltweiten Wirtschaftsabläufe. Die Frage, wie lange der Schwan bleibt und vor allem, wann eigentlich „nach Corona“ ist, kann angesichts erneut steigender Infektionszahlen in den Herbst-/Wintermonaten 2020 und des verschärften Shutdowns noch niemand beantworten.

Vor diesem Hintergrund „war eine Prognose selten so schwierig wie die für 2021“, konstatierte Sabine Eckhardt, CEO JLL Central Europe, bei der traditionellen Jahresend-Pressekonferenz, die im Zeichen von Corona virtuell ausgerichtet wurde:Alles hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab und wie wir damit umgehen.“ Als Hoffnung bleibt aus ihrer Sicht derzeit nur „die baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen“. In dieser Lage ist schon der Ausblick auf das vierte Quartal 2020 nicht ganz einfach, da die Beschränkungen zur Infektionseindämmung beispielsweise Irritationen im Einzelhandel gerade im wichtigen Weihnachtsgeschäft auslösen, was auch den Handelsimmobilienmarkt berührt.

Für das Gesamtjahr 2020 erwartet Sabine Eckhardt auf dem deutschen Investmentmarkt für Gewerbeimmobilien beim Transaktionsvolumen einen Rückgang um rund 17% von 91,8 Mrd. Euro im Vorjahr auf nunmehr 76,5 Mrd. Euro. Drastische Rückgänge erwartet Scheunemann in seinem Ausblick vor allem bei Hotels mit -51% und bei Büros mit -41%. Der drastische Rückgang im Tourismus und bei Reisen sowie Home Office in vielen Unternehmen hinterlassen Spuren.

Bei Handelsimmobilien, die auf Grund eines sehr regen Jahresstarts und der starken Nachfrage nach Fachmarktimmobilien mit Schwerpunkt Lebensmittel bislang kaum von der Pandemie beeinträchtigt wurden, sieht JLL einen eher moderaten Rückgang des Transaktionsvolumens von -5%. Im Vorjahr bezifferten die diversen Immobiliendienstleistr das Investitionsvolumen in der Bandbreite von 10,1 Mrd. und 14 Mrd. Euro. Für die ersten drei Quartale ermittelten die Immobiliendienstleister Volumina in der Bandbreite von 8 Mrd. Euro (JLL) bis 9,6 Mrd. Euro (Savills).

Bei Mischimmobilien, die mit Blick auf der Suche der Investoren nach weiteren innerstädtischen Mietern neben dem Einzelhandel, aktuell stark im Trend liegen, erwartet Scheunemann noch ein kleines Plus von 4%, während er für Logistikimmobilien, die auch vom wachsenden eCommerce angetrieben werden, einen regelrechten Sprung von 32% erwartet. In seinen Thesen für das Jahr 2021 fasst er die aktuelle Lage – zumindest soweit es um den Nonfood-Handel geht – so zusammen: „ECommerce: Der Logistik Freud, des Einzelhandels Leid“. Davon ausgenommen ist freilich der Lebensmittelhandel, der eher noch von der Pandemie profitiert.

Pandemie zeigt Spuren beim Transaktionsvolumen

Aber zweifellos hat die Abwanderung der Kunden in den Online-Handel, die durch die Zwangsmaßnahmen noch begünstigt wird, Einfluss auf die Handelsflächen in den Innenstädten, in denen der Nonfood-Handel – vor allem die Modebranche – das prägende Element bilden. Laut Sabine Eckhardt war der Einzelhandel bei der Suche nach einer neuen Rolle für sich nur bedingt erfolgreich. Stichworte für diese Neuorientierung sind „Erlebniswelt, Showroom und Unterhaltung“.

Durch den starken Abfluss von Kaufkraft ins Internet sind laut Sabine Eckhardt heute viele Flächen überdimensioniert und es sei in der Vergangenheit mit der Filialisierung häufig übertrieben worden: „Wer braucht drei identische Filialen in nur einer Fußgängerzone?“

Nach einer Erholung im dritten Quartal auf dem Vermietungsmarkt für Retail Assets erwartet Scheunemann für das Gesamtjahr 2020 einen Flächenumsatz von 370 000 bis 380 000 qm. Das würde etwa dem Niveau nach der Finanzkrise 2008/09 entsprechen. Zuerst reagiert der Einzelhandel derzeit durch die Aufgabe von unprofitablen Flächen, wie Sabine Eckhardt beobachtet, was durch die Insolvenzverfahren, in denen sich einige Ketten aus der Bekleidungsbranche befinden, erleichtert wird.

Dann versuchen die Mieter bei den Standorten, die erhalten bleiben, angesichts der angespannten Lage bei Umsatz und Frequenz die Mieten zu reduzieren. „So sehen wir als Trend, dass Lagerflächen in den Obergeschossen großer Retail-Immobilien umgewidmet werden“, so die JLL-Europa-Chefin: Daraus würden, wo möglich, Büros oder Wohnungen. Der bestehende Platzbedarf für die Ware werde ins Zwischenlager verlegt.

Die Konsequenz für die Investoren ist, dass schon bei der Planung und beim Bau einer Handelsimmobilie mehr Flexibilität eingeplant werden muss, um Flächen schnell und kostengünstig umwidmen zu können, verweist Eckhardt auf das Thema Mischnutzung. Neben der Risikostreuung für die Eigentümer tragen Mixed-Use-Gebäude in den allein vom Handel geprägten Cities laut Eckhardt nach Ladenschluss zur Belebung bei.

Mehr Supermärkte und Discounter in den Innenstädten

Mit Blick auf den Boom im Nahversorgungssegment geht Scheunemann aber auch davon aus, dass der Anteil der Supermärkte und Discounter am Vermietungsumsatz in den Innenstädten steigen wird und 2020 einen Anteil von 20% erreichen könnte – nach 10% im Fünf-Jahresschnitt und 9% im Zehn-Jahresschnitt. Auch der auf das Nahversorgungs-Segment fokussierte Investor und Entwickler Ratisbona Handelsimmobilien kann für 2020 eine positive Bilanz ziehen.

Nach den Worten des geschäftsführenden Gesellschafters Sebastian Schels hat das Unternehmen in diesem Jahr deutschlandweit 23 Projekte mit 34 Mieteinheiten fertiggestellt, wobei die Themen Innovationen und Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus rücken. Dafür steht etwa die Realisierung des zweiten Netto-Markts in Holzbauweise. „Deshalb werden wir uns 2021 intensiv mit innovativen Möglichkeiten beschäftigen, um unsere Immobilien noch umweltfreundlicher zu planen und zu realisieren“, so Schels, der nicht nur Immobilien entwickeln will, sondern - im Sinne von mehr Lebensqualität - „Märkte fürs Leben“.

Deshalb ist es aus Sicht von JLL-CEO Eckhardt für einen Abgesang auf den Einzelhandel zu früh und auch verfehlt: „Wir glauben, dass wir die Untergrenze gesehen haben und dass die Umsatzkurve 2021 nach oben zeigen wird: Die Verbraucher werden nach dem Ende der Pandemie ein ganz enormes Bedürfnis nach Erlebnis und dem persönlichen Einkauf vor Ort entwickeln und so die Innenstädte wieder zum Blühen bringen“, ist sie überzeugt. Darauf müsse sich die Branche vorbereiten, wobei bekannte, klar positionierte Marken besser durch die Krise kommen würden.

Für Joanna Fisher, Geschäftsführerin Center-Management bei der ECE gilt es in dieser schwierigen Lage für den Einzelhandel 2020 „auch weiterhin, partnerschaftliche Lösungen für den Umgang mit den aktuellen Veränderungen zu finden und gemeinsam umzusetzen und unsere strategischen Antworten noch intensiver und nachhaltiger voranzutreiben“. Bei der ECE gehört dazu etwa der weitere Ausbau von Omnichannel-Angeboten wie die „Digital Mall, um online und offline stärker zu vernetzen“. Das hilft auch kleineren Händlern ohne eigenen Online-Shop.

Zudem steht für die ECE laut Fisher der weitere Ausbau der Handelsstandorte „zu lebendigen Marktplätzen“ im Fokus, indem immer wieder neue Konzepte, Angebote und Nutzungen integriert werden, um die Wünsche der Kunden stets von Neuem zu bedienen: „Die Herausforderungen für 2021 sind also da – aber wir begreifen sie als Chance, um den stationären Handel weiter erfolgreich voranzubringen.“ Beim Blick in die Zukunft rechnet Fisher damit, dass die Krise die Branche auch im Jahr 2021 noch intensiv beschäftigen wird.

Zwiespältiger Blick auf das Jahr 2021

Zwiespältig blicken auch die Experten von JLL auf 2021. „Eine rasche gesamtwirtschaftliche Erholung – wie noch zu Beginn des Sommers von den Kapitalmärkten antizipiert – wird es wohl nicht geben“, meint Scheunemann mit Blick auf die Zwangsmaßnahmen im Zuge der steigenden Infektionszahlen. Zwar werde der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr etwas geringer ausfallen als im ersten Schock der Pandemie im März vorausgesagt, doch dürfte der Erholungspfad länger sein. Das Wirtschaftswachstum 2021 wird nach Einschätzung des Experten den Einbruch 2020 nicht voll kompensieren. Und die wirtschaftliche Schwäche anderer Länder werde auch das Exportland Deutschland belasten.

Gleichzeitig steigt auf dem Investmentmarkt, wo Core-Objekte nach wie vor sehr gefragt sind, nach den Worten von Sabine Eckhardt „der ohnehin große Anlagedruck weiter, denn Staatsanleihen laufen aus und die Zinsen werden auf unbestimmte Zeit niedrig bleiben“. All das spreche für die Immobilienwirtschaft und für ein Jahr 2021, das wieder deutlich stärker ausfallen werde. Hinzu kommt laut Scheunemann, dass viele institutionelle Investoren ihre Immobilienquoten erhöhen wollen, wodurch die Nachfrage steigt.

Allerdings mit unterschiedlichen Ausprägungen in den Anlageklassen. Laut Scheunemann richtet sich der Fokus vermehrt auf „vermeintlich krisenresistente Assets (Living, Logistik, Core-Offices, Einzelhandelsimmobilien mit Lebensmittelgeschäften). Für Hotel- und Einzelhandelsimmobilien – das dürfte primär für den Nonfood-Handel gelten – bleibt das Umfeld aus seiner Sicht bis weit ins Jahr 2021 herausfordernd.

Auf die Spitzenmieten in den deutschen Metropolen haben sich die Folgen der Zwangsmaßnahmen noch nicht ausgewirkt, wie JLL berichtet. Für 2021 wird jedoch mit Rückgängen in der Größenordnung von ca. 5% für innerstädtische Top-Lagen gerechnet. Bei stark nachgefragten Objekten wie Logistik werden Preissteigerungen erwartet. Den Lagerflächenumsatz sieht Scheunemann 2020 bei 6,5 Mio. bis 7 Mio. qm.

„Abwarten ist derzeit das Gebot der Stunde“, sagt Scheunemann beim Blick auf 2021. Core-Investments würden bei weiter steigenden Preisen gut laufen, während Value Add/Core plus Produkte schwierig seien. So gebe es unterschiedliche Preisvorstellungen bei Käufern und Verkäufern oder die Banken würden den Deal nicht finanzieren. Scheunemann: „Banken sind grundsätzlich restriktiver, sie stellen höhere Anforderungen an Eigenkapital und verlangen entsprechende Vorvermietungsquoten bei Projekten.“