Investmentmarkt Europa

Guter Start in eine ungewisse Zukunft

Anteiliger Verkauf des Westfield Carré Sénart. Foto Unibail-Rodamco-Westfield

Der europäische Investmentmarkt für Retail Assets zeigt im ersten Halbjahr 2022 ein gemischtes Bild. Einerseits erreichte das Transaktionsvolumen den höchsten Wert seit drei Jahren, es kommen wieder mehr Fußgänger in die Einkaufslagen und Einzelhändler verzeichnen mit den Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen steigende Einnahmen. Andererseits weist der Trend in den „konsumigen“ Einkaufslagen nach unten. Mit Blick auf die steigenden Inflationsraten schauen die Investoren laut BNP Paribas Real Estate aber zurückhaltend auf die zweite Jahreshälfte.

Zunächst aber konnten sich Einzelhandel und Investoren in den ersten sechs Monaten dieses Jahres darüber freuen, dass die Touristen in die Cities der großen Städte zurückkehren und damit auch zur Belebung der europäischen Vermietermärkte beigetragen haben. Nach dem Report von BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) über den Europäischen Einzelhandelsmarkt ist die Frequenz in den meisten europäischen Metropolen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 deutlich gestiegen, etwa um durchschnittlich 178% in der Schildergasse in Köln, um 82% in der Londoner Oxford Street und um 68% in der Avenida del Portal del Angel in Barcelona – auch wenn das Vor-Corona-Niveau noch nicht ganz erreicht werden konnte.

Vor allem: Zwischen Januar und Mai 2022 kamen laut UN World Tourism Organization fast viermal mehr internationale Touristen (+350%) nach Europa als in den ersten fünf Monaten des Vorjahres. Dadurch konnte ein Teil des europäischen Einzelhandels bei den Einnahmen fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Zwangsschließungen in weiten Teilen des europäischen Nonfood-Einzelhandels das Wachstum des Online-Handels in den Corona-Jahren befeuert hatten, ist die allenthalben registrierte Rückkehr der Kunden in den stationären Einzelhandel eine positive Nachricht.

Allerdings wirken sich laut BNPPRE die steigenden Inflationsraten und die damit sinkende Kaufkraft in Europa auf Luxuslagen und Einkaufslagen für den Massen-Konsum unterschiedlich aus. So berichteten vor allem Luxusmarken in den ersten sechs Monaten von einem sehr starken Geschäft, nicht zuletzt, weil die Kaufkraftstarke Kundschaft nicht so preissensibel reagiert wie Durchschnitts-Konsumenten. Im Gegenteil: Die Inflation könne sogar die Attraktivität von Luxus-Gütern steigern, indem sie deren Exklusivität fördere. Die Inflation beeinflusst den Markt kaum.

 Laut BNPPRE-Report untermauern die guten Unternehmenszahlen von Luxusmarken wie Hermès oder LVMH denn auch das Potenzial dieser profilierten Luxuslagen, sich in punkto Frequenz und Umsatz schnell von der Pandemie zu erholen. So sind die Mieten in der Avenue Montaigne in Paris (1 250 Euro/qm), am Kurfürstendamm in Berlin, in der Via Napoleone in Mailand und in der Pařížská Street in Prag gestiegen. Mit 2 169 Euro liegt die Spitzenmiete in der New Bond Street in London in absoluten Zahlen am höchsten.

Einen Abwärtstrend bei den Mieten registrierte der Immobiliendienstleister dagegen in den konsumigen Lagen. Viele Haushalte können die hohen Preise nicht wegstecken und müssen ihren Konsum einschränken. Druck auf die Mieten registrierte der Immobiliendienstleister entsprechend in der Londoner Oxford Street, in der Avenue des Champs-Elysées in Paris und in der Kalverstraat in Amsterdam. In den deutschen Städten haben sich die Mieten laut Marktbericht inzwischen auf einem niedrigeren Niveau als vor Corona stabilisiert. Eine Ausnahme vom Trend bildet die Na Příkopě Street in Prag. Hier lagen die Mieten im zweiten Quartal um 14% über dem Niveau des ersten Quartals.

In diesem durchaus positiven Umfeld zu Jahresbeginn zeigten sich auch die Investoren in punkto Retail Assets positiv gestimmt. Mit einem Transaktionsvolumen von 19,7 Mrd. Euro konnte laut BNPPRE im ersten Halbjahr das Vorjahresergebnis um 23% übertroffen werden. Im rollierenden Jahr vom 1. Juli 2021 bis zum 30 Juni 2022 würde sich damit ein Investitionsvolumen von 43,2 Mrd. Euro ergeben.

Allein im zweiten Quartal 2022 lag das Transaktionsvolumen mit etwa 10 Mrd. Euro um 9% über dem Wert des Vorjahres und blieb laut BNPPRE nur um 5% unter dem Volumen von 2019. Noch besser präsentierte sich das gesamte erste Halbjahr, das nicht nur um 23% über den Vergleichszeiträumen von 2020 und 2021 lag, sondern auch den Wert von 2019 um 10% übertraf. Im Fokus der meisten Investoren lagen in den wichtigsten Märkten Europas Fachmarktimmobilien, für die der Berater ein Transaktionsvolumen von 15,2 Mrd. Euro ermittelte, ein Plus von 24% im Vergleich zum Vorjahr.

Mit einem Transaktionsvolumen, das BNPPRE mit 4,1 Mrd. Euro beziffert, führte Deutschland auch im ersten Halbjahr 2022 wieder die Länder-Rangliste an, vor Großbritannien mit 2,9 Mrd. Euro, Spanien mit 2,8 Mrd. Euro und Frankreich mit 2,5 Mrd. Euro. Danach folgen Schweden mit 1,2 Mrd. Euro und Polen mit 0,7 Mrd. Euro sowie die Niederlande, Finnland und Italien mit jeweils 0,4 Mrd. Euro.

Super-Transaktion in Spanien

In Deutschland sorgte – wie schon in den vergangenen Jahren – vor allem der Handel mit Fachmärkten und Fachmarktzentren mit Schwerpunkt Nahversorgung für das vergleichsweise gute Ergebnis. Im dritten Quartal hat die Mehrheitsbeteiligung des Konsortiums aus Oaktree Capital und der Cura Vermögensverwaltung der Familie Otto am börsennotierten Shopping-Center-Investor Deutschen Euroshop AG (DES) das Transaktionsvolumen nochmals stark verbessert und dazu beigetragen, dass der Anteil von Shopping-Centern am Transaktionsvolumen wieder zulegte.

In Großbritannien schwächte sich das Geschäft nach einem starken ersten Quartal im zweiten Quartal wieder deutlich ab, so dass das Transaktionsvolumen im ersten Halbjahr laut BNPPRE unter dem historischen Durchschnitt blieb. In Frankreich verliefen sowohl das erste als auch das zweite Quartal sehr lebhaft und es wurden mehr als 100 Transaktionen gezählt, gegenüber 70 im gleichen Zeitraum des Jahres 2021. Davon erreichten sechs Deals ein Volumen von mehr als 100 Mio. Euro.

In Spanien führte der Verkauf des „Tree Portfolios“ durch Merlin Properties an BBVA mit einem Volumen von 1,978 Mrd. Euro dazu, dass mit 2,8 Mrd. Euro ein Rekord-Halbjahresergebnis erreicht werden konnte. Dagegen blieb das Transaktionsvolumen in Polen und Finnland – wie in Großbritannien – im zweiten Quartal hinter dem Durchschnitt zurück.

Bei den Renditen der Asset-Klassen hat sich die Lage nach der Entspannung im Corona-Jahr 2020 in den meisten Märkten im ersten Halbjahr 2022 stabilisiert. Lediglich in London gingen die Spitzenrenditen für Geschäftshäuser laut BNPPRE gegenüber 2021 um 25 Basispunkte auf durchschnittlich 3,25% zurück. Am niedrigsten sind die Renditen mit durchschnittlich 2,80% derzeit noch in Deutschlands Großstädten, gefolgt von Frankreichs Top-Lagen mit 3,20%. Italien liegt bei 3,40% und Spanien bei 3,50%.

Das Interesse an Shopping-Centern wächst wieder

Die Veränderungen bei den Spitzendrenditen von Top-Shopping-Centern waren laut Marktbericht im zweiten Quartal gleichfalls eher gering. Lediglich in Spanien gaben sie um 20 Basispunkte nach. Den Spitzenwert erreicht diese Anlage-Klasse mit durchschnittlich 7,5% in Großbritannien, vor Italien mit 6,0%, Polen mit 5,0%, Deutschland mit 4,7% und Frankreich mit immerhin noch 4,2%, was zeigt, dass das Interesse an dieser Anlageklasse hier immer noch vergleichsweise hoch ist.

 

Mit Blick auf diese im Vergleich zu den anderen Anlageklassen hohen Renditen werden Shopping-Center laut Jörg Krechky, Chairman im European Retail Investment Board bei Savills, für Investoren wieder zu einer liquiden Anlage-Klasse. Nach Feststellung des Immobilienberaters Savills wurden in den ersten sechs Monaten fast 5,3 Mrd. Euro in Einkaufszentren investiert. Das war das stärkste Ergebnis seit 2018, als die Spitzenrenditen auf 4,5% gesunken waren, und übertraf den Vorjahreswert um mehr als das Doppelte.

Besonders aktiv waren die Investoren in Großbritannien mit einem Anteil von 20% am Transaktionsvolumen, in Frankreich (17%) und Spanien (11%). In Deutschland wurden dagegen nur 228 Mio. Euro in Einkaufszentren investiert – gegenüber 338 Mio. Euro im Vorjahreszeitraum. Zu den größten Transaktionen gehörte der Verkauf eines 45%-Anteils am Westfield Carré Sénart an Société Générale Assurances und BNP Paribas Cardif, wie Lydia Brissy, Director European Research bei Savills, berichtet. Und in München ist nach ihrer Information ein Flagship-Deal in Vorbereitung. Nach dem Allzeittief von 4,5% im Jahr 2018 liegt die Spitzenrendite im europäischen Durchschnitt nach ihren Worten inzwischen bei durchschnittlich 5,22%.

Die Spitzenrenditen könnten noch weiter steigen

Punkten können Einkaufszentren laut Krechky mit ihren meist guten Standorten. Dadurch würden sie „hervorragende Möglichkeiten für die Weiterentwicklung zu gemischt genutzten Quartieren“ bieten. Arztpraxen und größere medizinische Versorgungszentren, Kindergärten, Universitäten und Hochschulen lagern nach seinen Beobachtungen vermehrt Teile ihrer Organisationen aus und ziehen in Einkaufszentren.

Beim Blick in die zweite Jahreshälfte erwartet BNP Paribas Real Estate trotz des relativ erfreulichen ersten Halbjahres 2022, dass sich das Umsatzwachstum abschwächen könnte, da es den Einzelhändlern angesichts der hohen Inflationsrate schwerfällt, die höheren Kosten zu absorbieren und über die Preise an die Verbraucher weiterzugeben. Denn dadurch könnten sie Kunden verlieren. Ein weiteres Problem für die Branche ist, dass in vielen Mietverträgen eine Bindung an die Inflationsrate vereinbart wurde. Hier wünschen sich viele Einzelhändler künftig mehr Flexibilität bei den Verträgen.

Savills geht in seinem Ausblick davon aus, dass die Spitzenrenditen für Einzelhandelsimmobilien in Europa auf Grund der steigenden Fremdkapitalkosten und der zunehmenden Investitionsausgaben im Schnitt um 15 bis 20 Basispunkte steigen werden. Bei absoluten Core-Produkten schließen die Experten aber auch einen weiteren Renditerückgang nicht aus.