Q-Commerce mit Lebensmitteln (Teil 1): Großbritannien

Gestartet um zu bringen, geblieben um zu holen

Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel entfallen nur sehr geringe Umsatzanteile auf den Onlinehandel. Gründe hierfür sind das dicht gesponnene Filialnetz- sowie die polyzentrale Siedlungsstruktur, die für den eFood-Sektor hohe Kosten- und Wettbewerbshürden darstellen. Im Rahmen seiner laufenden Marktbeobachtung hat der auf Nahversorgungsimmobilien spezialisierte Asset Manager Habona Invest auch internationale Märkte im Blick. An dieser Stelle soll erläutert werden, wie sich eFood in Ländern entwickelt, die gänzlich andere Marktbedingungen aufweisen als Deutschland.

Mit gut 200 Mrd. US $ ist das Vereinigte Königreich nach Frankreich und vor Italien der viertgrößte Lebensmittelmarkt in Europa. Von Interesse ist Großbritannien aber vor allem wegen des hohen Anteils an online bestellten Lebensmitteln – mit rund 13% der höchste eFood-Anteil in Europa. Anders als in Deutschland ist der britische Markt durch die räumliche Dominanz der Marktführer Tesco und Sainsbury‘s geprägt, die allerdings zusammen über kaum mehr als 4 200 Filialen verfügen. Zudem ist der Markt stark polarisiert in großflächige Hypermarket-Konzepte (Tesco, Asda) sowie serviceorientierte City-Konzepte (Sainsbury’s, Waitrose, Marks & Spencer). Insgesamt gibt es rund 8 600 filialisierte großflächige Lebensmittelmärkte – gegenüber rund 28 000 in Deutschland.

Dafür sind die Großstädte gekennzeichnet durch eine hohe und wachsende Zahl an filialisierten Convenience- und Express-Shops für den schnellen Feierabendeinkauf mit aktuell rund 8 500 Ladenlokalen zuzüglich unzähliger, meist ethnisch geprägter Mum-and-Pop-Shops.

Trotz der verschiedenartigen Konsummuster und Ladeninfrastruktur sind in den vergangenen Jahren Aldi und Lidl mit knapp 2 000 Filialen erfolgreich in das perforierte Supermarktnetz Großbritanniens vorgedrungen und haben den angestammten stationären Lebensmitteleinzelhandel unter Druck gesetzt. Die Deutschen punkten dabei nicht nur mit klaren Preisvorteilen, sondern mit einer hohen Verfügbarkeit auch in den Wohngebieten.

Bedingt durch den großen Anteil der Metropolregion Greater London spiegeln sich in der britischen Statistik auch immer die Besonderheiten der Hauptstadt wider: Dies sind lange Pendelwege meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie damit einhergehend der Zeitdruck, aber auch überproportional hohe Kaufkraft bei zugleich geringem Angebot an Lebensmittelvollsortimentern.

Dank ihrer geringen Preissensibilität haben die Hauptstädter, die rund 13% der britischen Bevölkerung stellen, eine grundsätzlich hohe Affinität für eFood entwickelt. Aufgrund ihrer geringen Netzdichte hatten die britischen Supermarktketten schon vor Corona mit dem konsequenten Ausbau ihrer eFood-Angebote vor allem durch Click & Collect, aber auch durch die Nutzung von Plattformen reagiert.

Die Pandemieeffekte des Onlinehandels waren auf Grund der fortgeschrittenen Marktreife in Großbritannien deshalb auch deutlich geringer als in Deutschland ausgefallen. 2021 bremste sich das Wachstum von eFood auf nur noch 4% ein.

Konzern-Plattformen stehlen Schnell-Lieferdiensten die Show

Die Entscheidung der Marktführer gegen den kapitalintensiven Ausbau ihrer Filialnetze fußte auf der Annahme, dass mit Onlineservices schneller und günstiger Kunden gehalten oder gewonnen werden könnten. Im Ergebnis kann in Großbritannien online bestellte Ware mittlerweile bei zwei von drei Lebensmittelgeschäften in der Filiale abgeholt werden. In Deutschland war dies bisher nur bei einem von fünf Geschäften möglich. Aus der Perspektive britischer Kunden sowohl in der Metropole London als auch in der Peripherie bietet eFood gegenüber dem Ladeneinkauf also echte Sortiments- und Zeitvorteile.

In der Folge haben die Lebensmittelhändler über Click & Collect hinausgehende, d.h. von den Filialen losgelöste Onlineshops ausgebaut. Tesco hat den Nonfoodanteil so weit erhöht, dass das Unternehmen nunmehr zu den größten Onlinehändlern des Landes zählt. Nicht nur durch den steigenden Nonfoodanteil, sondern auch durch die wachsenden Online-Restaurantumsätze werden in der Statistik die eFood-Umsätze mittlerweile stark überzeichnet.

Bereinigt um Umsätze, die nicht dem Lebensmitteleinzelhandel im engeren Sinne zuzuordnen sind, belief sich der Umsatz mit eFood 2021 auf rund 26 Mrd. US $, einem Marktanteil von rund 13%. Sowohl in der absoluten Höhe als auch anteilig am Gesamtlebensmittelumsatz belegt der britische Markt damit die Spitzenposition in Europa.

Der hohe Marktanteil relativiert sich allerdings signifikant durch die hohe Quote von Click & Collect, die 2021 im Food-Segment in Großbritannien bei 22% lag (Deutschland ca. 10%) und ganz überwiegend aus den stationären Lebensmittelfilialen bedient wird.

Die Rangliste der größten eFood-Anbieter in Großbritannien wird von den großen hybriden Anbietern dominiert, angeführt von Tesco mit fast 20% Marktanteil, gefolgt von Sainsbury‘s mit gut 15%. Der Pure Player Ocado steht mit rund 10% an dritter Stelle, Amazon folgt hinter Asda, Morrisons und Waitrose auf Rang 7 mit einem Marktanteil von bislang erst 3%.

Ähnlich wie in Deutschland beschleunigte die Pandemie die Gründungen von Q-Commerce-Anbietern, die sich aber bereits wieder in der Konsolidierung befinden. Die größten Anbieter waren im Jahr 2022 Gopuff (nach Übernahme von Dija) sowie Getir (nach Übernahme von Weezy). Mit einem Umsatz von knapp 800 Mio. US $ erreicht der Q-Commerce einen Marktanteil von nur 3%, da das Angebot auf die vier größten Städte London, Birmingham, Manchester und Liverpool beschränkt ist. Im übrigen Land spielt die Vertriebsform keine nennenswerte Rolle.

Eine britische Erfolgsgeschichte

Wegen der Stärke der konzerneigenen Onlineshops konnten sich überregionale Plattformen im Lebensmitteleinzelhandel bisher kaum entwickeln. Amazon versucht seit der Öffnung des Amazon-Marketplace auch für Lebensmittelproduzenten in Großbritannien mit einem Lebensmittelangebot Fuß zu fassen, wird aber seither gezielt von den klassischen Lebensmittelketten angegriffen. Vor allem Tesco und Sainsbury‘s haben verstärkt in eigene Plattformen investiert, auf denen mittlerweile eine größere Vielfalt als in den eigenen Läden zu finden ist.

Eine britische Erfolgsgeschichte schreibt dagegen Ocado. Ursprünglich im Jahre 2000 als Joint Venture mit Waitrose gegründet, hat sich der Anbieter zum größten britischen Pure-Online-Player im Lebensmittelhandel entwickelt. Ocado bietet seither auch Systemlösungen für Drittkunden an. Nach der Abtrennung des Systemhauses wurde 2019 die Partnerschaft mit Waitrose durch Marks & Spencer abgelöst.

*) Der Beitrag ist ein Ausschnitt aus der Studie: „Q-Commerce - Eine Bedrohung für den stationären Lebensmitteleinzelhandel?“, von Manuel Jahn und Pauline Schmidt. Fachpublikation 12/2022 aus der Reihe Habona Insights. Habona Invest Consulting (Hrsg.), Hamburg, Dezember 2022. Verfügbar unter: https://www.habona.de/Habona-Insights-12-2022/eFood/