Nahversorgungsimmobilien haben in den vergangenen Jahren ihr „Flachmann-Image“ hinter sich gelassen – nicht zuletzt, weil die Bedeutung der Mieter aus dem Lebensmittelhandel für die Versorgung der Menschen mit dem Lebensnotwendigen die Stabilität der Standorte sichert. Nach anfänglicher Skepsis ist dieser Zusammenhang inzwischen auch vielen Investoren klar. Mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, energetische Herausforderungen sowie politische und planungsrechtliche Zwänge steht aber auch diese gefestigte Branche vor Veränderungen.
Denn ungeachtet der hohen Resilienz, die Fachmarktimmobilien und Fachmarktzentren insbesondere während der Pandemie unter Beweis stellten, haben sich auch für diese Anlage-Klasse die Rahmenbedingungen grundlegend geändert, konstatiert Jörg Wege, Head of Strategic Development M & A bei der MEC GmbH, in seinem Beitrag für das neue Format Retail PIN, wobei PIN für die Themen „Positionen / Insights / Network“ steht. In Zeiten großer Herausforderungen müssen sich laut Jörg Wege beispielsweise auch Fachmarktzentren mit der Frage beschäftigen, wie sie ihre Zukunft sichern können.
Der Retail PIN ist eine neu gegründete Denkfabrik, eine Initiative von sechs führenden Handelsimmobilien-Unternehmen, die das strategische Know-how der Branche bündeln und eine gemeinsame Vision entwickeln soll. Partner sind der Immobilienmanager MEC GmbH, das Beratungsunternehmen Dr. Lademann & Partner, der Investor Nuveen Real Estate, die Anwaltskanzlei GSK Stockmann, der Immobilienberater Savills und der Facility-Manager WISAG, die bislang – mit Ausnahme von GSK Stockmann – den jährlich erschienen FMZ Report unter Führung der MEC erstellt haben. „Diese gebündelte Kompetenz im Retail PIN soll den Wandel in der Branche mitgestalten und durch praxistaugliche Lösungen neue Impulse setzen“, begründen die Partner ihre Initiative.
Nach den Worten von Uwe Seidel, geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Lademann & Partner, handelt es sich bei dem neuen Online-Magazin um einen zeitgemäßen Neustart des bisherigen Print-Formats FMZ Report. Dabei soll die Plattform für alle offen sein und es soll damit im gesamten Jahr ein „Grundrauschen“ erzeugt werden. Denn immerhin geht es in diesen herausfordernden Zeiten darum, die Zukunft von Handelsstandorten aktiv und nachhaltig zu gestalten.
Im ersten der künftig halbjährlich veröffentlichten Positionspapiere, die nach den Worten von Moritz Felix Lück, Head of Marketing bei der MEC, im Laufe der Zeit alle Retail-Assets in den Blick nehmen werden, stehen diesmal Fachmarktzentren im Mittelpunkt, ihre Herausforderungen und wie sie ihre Zukunft sichern können. Denn trotz der günstigen Ausgangslage – laut GfK suchen 75% der Bevölkerung regelmäßig Fachmarktzentren für ihre täglichen Einkäufe auf – muss auch diese Asset-Klasse laut Jörg Wege auf die fortschreitenden Veränderungen reagieren.
Die Demographie verändert die Kundenstruktur
Beispielsweise darauf, dass sich die Kundenstruktur durch den demografischen Wandel mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen stark verändern wird. Denn inzwischen wird am häufigsten der 60. Geburtstag gefeiert. „Diese Veränderungen haben direkte Auswirkungen auf die Anforderungen an Versorgungsstrukturen – und damit auch auf bisherige Handelsformate“, schreibt Wege in seinem Beitrag. Mit Blick darauf, dass „70 heute das neue 50“ ist und diese kaufkräftige, anspruchsvolle Kundschaft eine wachsende Rolle spielt, muss sich der Handel darauf mit maßgeschneiderten Serviceangeboten einstellen – etwa durch Gesundheitsdienstleistungen, Apotheken und seniorenfreundliche Gastronomie auf der Fläche. Und bei umfangreichen Refurbishments sollten in den Kundenbereichen Barrierefreiheit und klare Orientierungshilfen Mindeststandards sein.
Ein anderes Thema, das auch die Fachmarktzentren zunehmend betrifft, ist, dass neben dem Einkaufen auch Erlebnisorientierung und Entertainment in den Vordergrund rücken, wie der Nielsen Future Consumer Report zeigt. Zu nennen sind Selfie-Spots für die „Taschengeldgeneration“, Veranstaltungsangebote für verschiedene Zielgruppen sowie passende Gastronomiekonzepte und Events, um Besucherfrequenz und Kundenbindung zu erhöhen.
Doch die Ansprüche der Kunden sind eine Seite der Medaille, die Sichtweise und Anforderungen der Immobilieneigentümer eine andere. Denn für sie stellt sich laut Alexander Boelhauve, Assistant Fund Manager bei Nuveen Real Estate, die Frage, wie die Investition in eine Verjüngungskur für Fachmarktzentren auch profitabel sein kann? Vor allem für langfristige Bestandshalter, die auf einen möglichst konstanten monatlichen Mietzufluss abstellen und im Rahmen eines Fonds ausschüttungsorientiert handeln würden, stelle sich die Frage nach der Finanzierbarkeit der geplanten Maßnahmen.
Die kann sich bei der Verjüngungskur eines Fachmarktzentrums und seiner technischen Anlagen durch den technischen Fortschritt und die damit verbundene Ressourceneffizienz in Verbindung mit Kostenersparnissen bei der Bewirtschaftung ergeben. Auch die Investition in die Aufenthaltsqualität kann zu höherer Frequenz, steigenden Einzelhandelsumsätzen und damit zur Aussicht auf höhere Mieten führen. Am Ende geht es darum, die Machbarkeit und die Wirtschaftlichkeit für ein Investitionsvehikel zu berechnen. Wie bei einem innerstädtischen Nuveen-Fachmarktzentrum mit Parkplätzen auf dem Dach, bei dem die fragliche Stadt laut Boelhauve Interesse daran hat, das Objekt aufzustocken und hier Wohnungen zu errichten.
Unter der Überschrift „Nachhaltigkeit beim Center-Betrieb – Mehr Strategie, Beratung und Kür vonnöten“ bedauert Joaquin Jimenez-Zabala, Geschäftsführer bei der Wisag, im Positionspapier, dass bedingt durch den Kostendruck auf Mieter und Vermieter sowie die steigenden Ansprüche der Kunden an die Qualität der Fachmarktzentren nicht selten bei den ESG-Maßnahmen gespart und nur das Pflichtprogramm absolviert werde. Doch auch wenn etwa die Optimierung des Energieverbrauchs an einer sichtbaren Senkung der Nebenkosten abgelesen werden kann, so führt die Investition in mehr Aufenthaltsqualität, die zunächst nicht messbar ist, laut Jimenez-Zabala zu einer höheren Mietertreue oder wachsenden Einnahmen bei umsatzgekoppelten Mietverträgen. Deshalb plädiert er für einen offenen, konstruktiven und strategischen Dialog zwischen Facility-Manager und Auftraggeber.
Die Anerkennung durch die Politik ist wichtig
Neben dem Zielkonflikt zwischen den Ansprüchen der Kunden, der Mieter und der Eigentümer prägt auch die oft fehlende Wertschätzung der Fachmarktzentren durch die Politik und das restriktive deutsche Planungsrecht den Alltag dieser Anlage-Klasse. Unter der Überschrift „Hochstufen, bitte! – Warum die Anerkennung von Fachmarktzentren durch Politik und Verwaltung notwendig und überfällig ist“ beklagt Uwe Seidel als Gutachter und Berater, dass „Politik und Verwaltungen Fachmarktzentren in der Regel als „ungeliebte“ Sonderstandorte“ betrachten – auch dann, wenn die Objekte von Wohngebieten umgeben sind. Das behindert die notwendige Weiterentwicklung.
Dabei sind die Gebäude mit ihren großen Flachdächern laut Seidel für Photovoltaik-Anlagen geeignet und können einen Beitrag für die Energiewende leisten. Sie eignen sich auch für die Integration öffentlicher Einrichtungen und als soziale und qualitative Treffpunkte für die Bevölkerung. Absolut im Trend liegt hier auch die Unterbringung von Ärztezentren und ambulanter Pflege (Stichwort: demographischer Wandel). Ein neuer Trend ist laut Seidel die Ansiedlung von Wohnungen im Center selbst und im Umfeld von Fachmarktzentren, wobei die Förderkulisse des Bundes und der Länder ein wichtiger Hebel sei.
Dass sich Investoren bei der Neuausrichtung von Fachmarktzentren angesichts des restriktiven deutschen Planungsrechts zwischen „Vision und Vorschrift“ bewegen, erläuterte Jan Hennig, Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei GSK Stockmann in seinem Beitrag, wobei die Rahmenbedingungen je nach Lage unterschiedlich sind. Steht ein Fachmarktzentrum im „unbeplanten Innenbereich“ sind Nachnutzungen gemäß § 34 Bau Gesetz Buch (BauGB) zulässig, „wenn der gutachtliche Nachweis geführt werden kann, dass die neue Nutzung keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche erwarten lässt“. Befinden sich Fachmarktzentren im Geltungsbereich von Bebauungsplänen, in denen die zulässigen Nutzungen nur grob umschrieben sind, ist das laut Jan Hennig auch günstig. Schwierig ist es im Geltungsbereich eines Bebauungsplansmit „maßgeschneiderten“ Festsetzungen. Schon kleinste Veränderungen bei der Flächengröße oder dem Sortiment – Schuhe statt Bekleidung – sind planungsrechtlich unzulässig. Sie können nach den Worten des Rechtsanwalts nur im Wege der Befreiung zugelassen werden.
Planungsrechtliche Begrenzungen sind ein Problem
Auch bei Fachmarktstandorten in Mischgebieten, Gewerbegebieten oder in allgemeinen Wohngebieten führt eine Nachvermietung oder Repositionierung oft nur über eine zeitraubende Befreiung oder eine Änderung des Bebauungsplans. Laut Jan Hennig beeinflusst „die planungsrechtliche Situation eines Fachmarktstandorts (….) maßgeblich, wie ein Fachmarktzentrum in Wert gehalten werden oder entwickelt werden kann“.
Da sich Fachmarktzentren in Größe und Zusammensetzung des Einzelhandelsangebots erheblich unterscheiden, befindet sich diese Anlage-Klasse nach Feststellung von Rebecca Hummel, Senior Consultant Research bei Savills in einem regelrechten Spagat. Sie spricht von einer Zweiteilung des Marktes. Ist der Nahversorgungsanteil mit Lebensmittel- und Drogeriemärkten dominant, handelt es sich um ein Nahversorgungszentrum. Ist das onlineanfälligere Nonfood-Sortiment wie etwa Bekleidung, Schuhe etc. dominant, handelt es sich um ein Fachmarktzentrum ohne Nahversorgungsschwerpunkt.
Erstere sind als stabile Performer und auf Grund ihres verlässlichen Cashflows und der kleineren Volumina, die zu den Ankaufskriterien im neuen Marktumfeld passen, bei risikoaversen Investoren gefragt. Die Spitzenrenditen liegen in etwa auf dem Niveau der Supermärkte. Bei den Nonfood-lastigen Fachmarktzentren sind laut Hummel die Risikoaufschläge dagegen hoch und – genauso wie bei Shopping-Centern – stelle sich hier die Frage nach der richtigen Neupositionierung. Mit Blick auf die oben erörterten planungsrechtlichen Beschränkungen stellt sich laut Hummel für die Bestandshalter der Objekte zunächst die Frage: Wo steht mein Fachmarktzentrum?