Deutschlandstudie Innenstadt

Gebündelte Anstrengungen für eine gemeinsame Zukunft

Die Cities brauchen Aufenthaltsqualität und mehr Grün. Foto: R. Vierbuchen

Der stationäre Einzelhandel und die Innenstädte haben ihre Zugkraft auch für die jungen Leute nicht verloren. Doch sehen viele Stadtbesucher Verbesserungsbedarf und auch die Innenstadtakteure sind aufgerufen, ein strategisches Gesamtkonzept zu entwickeln, wie die Deutschlandstudie Innenstadt zeigt.

Seit Microsoft-Gründer Bill Gates mit dem Siegeszug der Digitalisierung und des Online-Handels das Verschwinden des stationären Einzelhandels und die Verödung der Innenstädte prognostiziert hat, ist in vielen Stadtzentren eine sinkende Frequenz nicht von der Hand zu weisen. Bei den regelmäßigen Händlerbefragungen des Handelsverbands Deutschlands (HDE) gehört eine nachlassende Besucherfrequenz zu den regelmäßig von den Befragten genannten Problemen – zweifellos Folge der wachsenden Affinität für den Online-Einkauf. Seither wird über die Bedeutung und die Zukunft des stationären Einkaufens und der Innenstädte – die bisher untrennbar verbunden waren – diskutiert und nach Lösungen gesucht.

In diesem Kontext soll die aktuelle „Deutschlandstudie Innenstadt“ der Cima Beratung+Management GmbH, für die 5 043 Personen befragt wurden, nach den Worten von HDE-Präsident Alexander von Preen, belastbare Trends im Kontext des stationären Einzelhandels und der gesellschaftlichen Rolle der Stadtzentren aufzeigen. Als gutes Zeichen wertet er deshalb, dass im Zeitalter der Digitalisierung „Einkaufen und Stadtbummel im Stadtzentrum auch für die Jugend hochattraktiv ist“ und Einkaufen längst Teil der Eventkultur ist.

Das belegen auch die von Roland Wölfel, Geschäftsführer und Partner der Cima Beratung+Management GmbH, vorgestellten Ergebnisse. Denn gemäß der zweiten Auflage der Deutschlandstudie ist das Einkaufen im innerstädtischen Einzelhandel mit durchschnittlich 70,8% der Nennungen der Hauptgrund für den Innenstadtbesuch. Das gilt für alle Altersgruppen von 15 bis über 65 Jahre, wobei der Prozentsatz bei den Über-50-Jährigen am höchsten ist. An zweiter Stelle folgt der Besuch der Gastronomie, die heute als unverzichtbare Ergänzung zum Einzelhandel in den Cities und Shopping-Centern gesehen wird. Nur bei den 15- bis 29-Jährigen kommt „das Treffen mit anderen“ auf Platz zwei, bei allen anderen Altersgruppen steht es auf dem dritten Platz. Auf Platz vier folgt der Besuch öffentlicher Ämter, Einrichtungen und Behörden. An Bedeutung gewinnt bei den Jüngeren bis 39 Jahren auch der Besuch von Fitness-Studios in der City.

Die wachsende Bedeutung der Gastronomie als Magnet für heutige Innenstädte und das große Bedürfnis aller Altersgruppen, sich hier mit anderen zu treffen, erklärt auch, warum der Gestaltung des öffentlichen Raums an  Bedeutung gewinnt. Dazu gehören – wie andere Studien zeigen – auch nicht kommerzielle Aufenthaltsflächen mit Sitzgelegenheiten als Treffpunkte, ohne dass etwas konsumiert werden muss. Das ist vor allem für Jugendliche mit schmalem Budget wichtig.

Kunden wünschen sich mehr Aufenthaltsqualität 

Laut Cima-Deutschlandstudie, die vom HDE, der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland (bcsd) und weiteren Organisationen sowie Unternehmen unterstützt wird, sehen die Befragten mit 19,7% der Nennungen den größten Handlungsbedarf zur Steigerung der innerstädtischen Attraktivität in der Verbesserung des Stadtbildes und der Aufenthaltsqualität. Unter dem Aspekt des Klimaschutzes wünschen sich die Befragten in den Innenstädten deshalb mehr Grün (62,6% der Nennungen) und zur Verbesserung von Mikroklima und Luftqualität die Anpflanzung von mehr geeigneten Baumarten (60,5% der Nennungen). Überhaupt wird mehr Schatten durch Bäume (59,4% der Nennungen) gefordert. Auch Recycling und Müllvermeidung (54,7%) und die Möglichkeit, dass Regenwasser versickern kann oder gesammelt wird (49,9%), sind den Befragten für eine attraktive Innenstadt wichtig. Im Kontrast dazu stehen in vielen Innenstädten die großen versiegelten Flächen.

Auf Platz zwei zur Verbesserung der innerstädtischen Attraktivität folgt mit 19,4% der Nennungen das Thema „Mobilität, Verkehr, Parken“. Das dürfte vor allem für die Besucher (29,8%) gelten, die mit dem Pkw aus dem weiteren Umland in die Innenstadt kommen. Für sie sind genügend, gut erreichbare und nicht zu teure Parkplätze – nicht zuletzt auch in der Nähe der innerstädtischen Geschäfte – vor allem in den Städten notwendig, die auf diese Kunden aus der Umgebung angewiesen sind. Deshalb fordert Roland Wölfel bei diesem Thema mehr Sachlichkeit und den „Abschied vom Karossen-Kultur-Kampf“, so dass „Innenstadtmobilität als Wettbewerb des besten Verkehrsmixes“ begriffen wird. Denn das Gros der Innenstadt-Besucher kommt laut Studie ohnehin umweltfreundlich mit dem Fahrrad/Pedelec (35%), dem ÖPNV (22,9%) oder zu Fuß (7,5%) in die Stadtzentren.

Weiterer dringender Handlungsbedarf wird mit 18,3% der Nennungen aber auch beim Einzelhandel gesehen, der sich, wie HDE-Präsident von Preen nicht zuletzt mit Blick auf die vielen Filialschließungen bestätigt, an einem Wendepunkt befindet. Mit Blick auf den Erlebnischarakter, der dem Einzelhandel heute zugeschrieben wird, reicht laut von Preen die reine Warenpräsentation in Regalen nicht mehr aus. Auch müsse der Einzelhandel die Digitalisierung als Chance begreifen und online sowie offline kombinieren. Allerdings räumt er auch ein, dass 60% der kleinen Einzelhändler hier noch Nachholbedarf haben. Das können sie allerdings kompensieren, indem sie auf ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des stationären Einzelhandels setzen, den persönlichen Kundenservice durch sehr gut ausgebildetes Personal.

Gefragt nach den Sortimenten, die sich Besucher in den Innenstädten wünschen, entfiel das Gros der Nennungen (75,5%) auf Gesundheit, Körperpflege und Drogeriewaren, ganz knapp vor Bekleidung und Wäsche (75,4%), Nahrungs- und Genussmittel (72,4%), Schuhe, Lederwaren (68,1%), Bücher und Schreibwaren (61,2%) sowie Elektroartikel und Unterhaltungselektronik (58,4%) sowie Sanitätsartikel, Optik und Akustik (54,6%). Ins lebendige Innenstadt-Angebot gehören aus Sicht der Befragten aber auch die Bereiche Spielwaren, Hobbyartikel über Sportartikel und Einrichtungsgegenstände bis hin zum Baumarktangebot. Zu wenig Auswahl und eine schlechte Parkplatzsituation wirken dagegen abschreckend.

Dass sich ein gutes Angebot an Gastronomie, Einzelhandel und eine gute Aufenthaltsqualität auch darüber hinaus auszahlen können, zeigt der Blick auf die Ansprüche der Urlaubsreisenden, von denen 65,1% auch die Innenstädte aufsuchen und auf die genannten Angebote – insbesondere Gastronomie – sehr viel Wert legen. Auch Kulturangebote und Veranstaltungen in einer Stadt werden sehr geschätzt – genauso wie Innenstadtnahe Hotels.

Interessant für den Einzelhandel und den effizientesten Nutzermix in den Stadtzentren ist die Frage, welche innerstädtischen Aktivitäten am häufigsten mit dem Einkaufen kombiniert werden. Hier tun sich vor allem die Beschäftigten im Umfeld der Stadtzentren (60,8% der Nennungen) hervor, die nach der Arbeit einkaufen. Dass viele während der Corona-Zwangsschließungen im Homeoffice arbeiteten, bekam der Innenstadthandel deshalb schmerzhaft zu spüren. Aber auch Menschen, die Gaststätten aufsuchen, kombinieren das mit dem Einkaufen (60,4%), genauso wie die Besucher, die sich mit anderen Leuten treffen wollen (55,5%). Bei den Besuchern von Bildungseinrichtungen und Fitness-Studios ist es gut jeder Zweite.

Mietkosten müssen zukunftsfest werde

Mit Blick auf die vielfältigen Probleme wie die schwächelnde Konjunktur und die gedämpfte Verbraucherstimmung plädiert HDE-Präsident von Preen dafür, die Mietkosten „zukunftsfest“ zu verteilen. Denn in vielen Stadtzentren seien die Mieten zu hoch und würden viele Händler in umsatzschwachen Branchen überfordern. Die Konsequenz sei nicht selten Leerstand – und keine stabilen Mietverhältnisse, wie sie von den Vermietern angestrebt würden. Von Preen: „Wir brauchen mehr umsatzbezogene Mieten. Davon profitieren Mieter und Vermieter.“

Dass in der aktuellen, multiplen Krisensituation die gebündelten Anstrengungen aller innerstädtischer Stakeholder notwendig sind, um die Innenstädte voranzubringen, ist die logische Quintessenz aus der Studie, wie Wölfel es darlegt. Nach den Worten von Gerold Leppa, stellvertretender Bundesvorsitzender der bcsd, macht die „Studie (…) deutlich, dass wir ein strategisches Gesamtkonzept brauchen, das Handel, Gastronomie und Erlebnisangebote miteinander verzahnt und gleichzeitig das Stadtbild und somit die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum verbessert“. Im Zentrum sieht er eine zentrale Koordinierungsstelle, die die Interessen aller Akteure bündelt, die Kooperationen initiiert und trägt und die Innenstädte als multifunktionale und attraktive Orte gestaltet. Das sei der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Stadtzentren, so Leppa, der bei dieser Aufgabe auch für das Stadtmarketing eine tragende Rolle sieht.

Die Grundlagen einer solchen Innenstadt der Zukunft sind laut von Preen eine gute Erreichbarkeit der Cities, Sicherheit der Innenstadtbesucher, Sauberkeit für die Aufenthaltsqualität und Hitzeschutz gegen den Klimawandel. Für die Investitionen etwa in die hohe bauliche Attraktivität einer City sollte aus Sicht des HDE auch privates Kapital durch Sonderabschreibungsmöglichkeiten mobilisiert werden. Des Weiteren sei ein Anschlussprogramm des Bundes für „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“, das 2022 bis 2025 etwa 250 Mio. Euro umfasste, erforderlich.

Für die Zusammenarbeit auf allen Ebenen fordert der HDE eine Innenstadt-Akademie zum Wissensaustausch, einen jährlichen Innenstadt-Gipfelmit allen politischen Ebenen und schließlich die Schaffung von lokalen Beiräten Innenstadt. Dabei zeigen der bestehende Beirat Innenstadt im Bundesbauministerium und die Best-Practice Datenbank „unsere-stadtimpulse.de“ aus Sicht des Verbands bereits, welches Potenzial gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen Innenstadtakteure hat. Ein Anfang ist also gemacht. Aber der Weg ist noch weit.