Erdgeschoss 4.0

Für Projektentwickler wird die Kalkulation eng

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rv DÜSSELDORF. Die Zahl der selbstständigen Facheinzelhändler geht hierzulande seit Jahren zurück – nicht zuletzt deshalb, weil ein Nachfolger fehlt. Gleichzeitig steigen die Bau- und Grundstückskosten stärker als die Mieten für Flächen in Stadtteillagen. Das führt zu wachsenden Problemen bei der Vermietung von Erdgeschosslagen in Stadtteilzentren, Innenstädten und Stadtquartieren. Mit dieser Problematik hat sich Bulwiengesa in der Studie „Erdgeschosse 4.0“ beschäftigt.

Nach Feststellung des Hamburger Analyseunternehmens der Immobilienbranche, der Hamburger Bulwiengesa AG, besteht dieses „Erdgeschossproblem“ in den Geschäftshäusern schon seit 2010. Dabei trifft das Phänomen, dass Verkaufsflächen in den Erdgeschossen nicht mehr oder nur noch schwer vermietet werden können, kleine und große Städte gleichermaßen.

Laut Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter bei Bulwiengesa und Initiator der Studie, steht nach gängigen Prognosen „mindestens jedes zehnte Einzelhandelsgeschäft innerhalb der nächsten zehn Jahre vor dem Aus“. Um diese Lagen in Zukunft attraktiv zu gestalten, ist aus seiner Sicht die Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung unabdingbar.

Denn die Leerstände beeinträchtigen laut Bulwiengesa als blinde Flecken die Attraktivität eines Quartiers, mindern die Frequenz und belasten damit auch die Entwicklung der noch offenen Geschäfte in der Nachbarschaft. Ein weiteres Problem ist die Vermietung solcher Flächen an einfache Nutzungen wie Spielhallen, Wettbüros oder Kioske, was die Aufenthaltsqualität mindert.

Einer der Gründe für den Leerstand ist, dass immer mehr Handels- und Handwerks-Konzepte für diese kleinen Flächen im Zuge des Strukturwandels verschwinden. Kleine Modegeschäfte, Schuhmacher oder Bäckermeister finden keine Nachfolger mehr und müssen schließen. Viele Filialisten meiden die kleinen Städte mit weniger als 100 000 Einwohner und setzen auf große, moderne Flächen.

Dass auch immer mehr Umsatz in den Online-Handel abwandert, macht die Sache nicht besser, da dadurch der stationäre Verkaufsflächenbedarf mittelfristig sinkt. Weitere Faktoren sind laut Bulwiengesa-Studie, die zusammen mit Fachleuten der Projektentwickler Ehret + Klein, Hamburg Team und Interboden sowie der Bundesstiftung Baukultur entstanden ist, baurechtliche Auflagen, teils ohne Augenmaß für den Immobilienmarkt, die alternde Gesellschaft mit ihren spezifischeren Bedürfnissen und der Optimierungszwang auf Grund von schnell steigenden Baukosten und Grundstückspreisen.

So steigen die Bau- und Grundstückskosten laut Schulten „inzwischen stärker als die Mieten im stationären Einzelhandel“. Denn zwischen 2009 und 2019 sind die Baukosten in den sieben deutschen Top-Städten im Schnitt um rund 20% gestiegen, während die Ladenmieten in den gut frequentierten Stadtteillagen oder Hauptverkehrsachsen dieser Städte zwischen 2009 und 2018 nur um etwa 12% zulegten.

„Derartig gute Lagequalitäten sind jedoch nicht in jeder Quartiersentwicklung gegeben“, schreibt Bulwiengesa weiter. Das heißt, in weniger guten Lagen ist das Verhältnis von Baukosten und Mieten noch ungünstiger. Deutlich verstärkt wird dieses Missverhältnis bei Projekt- und Quartiersentwicklungen noch durch die Grundstückskosten, die sich z. B. in den deutschen Top-Städten zwischen 2015 und 2019 um durchschnittlich 115% verteuert haben. Und: „Auch in mittleren (+70%) und einfachen Lagen (+56%) fällt der Anstieg hoch aus“, heißt es in der Studie.

Nach Erkenntnis der Experten sorgen somit die aktuellen Bau- und Grundstückskosten zusammen mit den für viele Nutzungen aufwendigen Ausbaustandards in den Erdgeschossen dafür, dass sich ihre Entwicklung etwa in den Top-Städten „erst ab Mieten von deutlich über 20 Euro je qm Mietfläche wirtschaftlich lohnt“. Doch da solche Mieten nur sehr selten „marktfähig“ seien, müsse die Verkaufsfläche im Erdgeschoss in den meisten Fällen inzwischen durch die Nutzungen in den oberen Etagen quersubventioniert werden.

Quersubventionierung der Erdgeschossflächen

Die Konsequenz ist laut Schulten, dass damit die Mieten etwa in den darüber liegenden Büros und vor allem in den Wohnungen steigen: „Gerade der Wohnungswirtschaft wird in der Folge oftmals Profitgier vorgeworfen“, kritisiert der Generalbevollmächtigte und verweist darauf, dass diese Entwicklung politisch problematisch ist – gerade mit Blick auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Großstädten.

Ein anderes großes Thema in Deutschland ist das Planungsrecht, das die Projektentwicklung in weiten Teilen des Einzelhandels stark beschränkt. „Viele öffentliche Planungsämter beharren häufig auf zu starren Vorgaben bezüglich der konkreten Erdgeschossnutzungen, die sich mit den am Markt realisierbaren Möglichkeiten und den Gegebenheiten vor Ort oft nicht oder nur schwer vereinbaren lassen“, beklagt das  Analyseunternehmen. Dadurch würden Entwickler bei der Umsetzung vor Probleme gestellt, wie beispielsweise bei der Suche nach Mietern, die je nach Branche nicht leicht ist. So steigt die Gefahr von längerem Leerstand gleich zu Beginn und auch zwischendurch, wenn der „richtige“ Mieter nicht schnell gefunden werden kann.

Aus den aufgezeigten Problemen haben die Studien-Partner für Investoren, Projektentwickler und Stadtplaner Handlungsempfehlungen erarbeitet, die sie unter der Überschrift: „Weniger Ketten, mehr lokale Akteure“ zusammengefasst haben. Denn nach ihrer Einschätzung führen Einzelhandelsmieter aus dem lokalen Umfeld deutlich mehr zu resilienten Strukturen als überregionale oder globale Einzelhandelsketten dies tun würden.

Grundsätzlich gilt aus ihrer Sicht, dass lebendige Erdgeschosse finanziellen Spielraum entweder durch die Quersubventionierung durch Mieten aus anderen Nutzungen erhalten oder durch ein besonderes Konzept mit hohen Mieterträgen. So konstatiert Nikolas Jorzik, Geschäftsführer von Hamburg Team, dass „das Dilemma aus sozialem Mehrwert einerseits und wirtschaftlichem Kalkül andererseits immer akuter“ werde. In diesem Kontext seien Erdgeschosse künftig mehr „Funktionsträger eines Quartiers“ und weniger „Cash-flow-Bringer“ des Gebäudes."

Im Interesse der Akzeptanz ist laut Studie auch die Einbeziehung lokaler Wirschaftsakteure zielführend. Und es wird empfohlen, den besonderen Managementaufwand für die Fläche im Erdgeschoss schon bei den Planungen zu berücksichtigen. Da das Anforderungspaket der kommunalen Verwaltungen im realen Markt oftmals für die Projekt- und Quartiersentwickler wirtschaftlich nicht umsetzbar ist, fordern die Experten eine bessere Abwägung bei schwer vermietbaren Flächen sowie einen verbindlichen Anforderungs- und Leistungskatalog, um Leerstand zu vermeiden.

„Eine weitreichende Nutzungsflexibilität und Robustheit im Grundkonzept steigern den Anlageerfolg“, heißt es deshalb in der Studie. Dabei spielen Alternativen zum Einzelhandel wie etwa Kultur, Büros und Kleingewerbe gerade heute eine wichtige Rolle und das Erdgeschoss-Management ist aus Sicht der Experte von zentraler Bedeutung für das gesamte Quartier.