Strukturwandel

Es gibt heute keine „Selbstläufer“ mehr

Wenig los in deutschen Innenstädten. Foto: R. Vierbuchen

In kaum einer Branche liegen derzeit Licht und Schatten so eng beieinander wie im Einzelhandel. Dass der Lebensmittelhandel und die mit ihm verbundenen Einzelhandelslagen gut durch die Pandemie kommen, ist seit der ersten Welle im Frühjahr 2020 bekannt. Doch wie sieht es bei Innenstadt-Lagen und Shopping-Centern aus, deren Mieter von den monatelangen Zwangsschließungen stark betroffen sind, obwohl auch sie keine Hotspots der Corona-Ansteckung sind?

Nach den Worten von Lars Jähnichen, Geschäftsführer der IPH Handelsimmobilien GmbH stehen Shopping-Center und Innenstädte mit ihren klassischen Mietern aus den Bereichen Bekleidung und Schuhe, Bücher, Uhren und Schmuck sowie Unterhaltungselektronik vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen ist nach dem langen Shutdown zu befürchten, dass eine ganze Reihe von Filialen nicht mehr öffnen werden. Zumal die Mode-Branche schon länger schwächelt, wie an der sinkenden Flächennachfrage auf dem Vermietungsmarkt abzulesen ist.

Vor diesem Hintergrund stehen Einkaufszentren und Vermieter in den Innenstadtlagen vor der Aufgabe, die großflächigen und umsatzstarken Mieter aus dem Textil- und Schuhhandel durch andere zug- und zahlungskräftige Mieter zu ersetzen. Dies ist nicht einfach, weil auch andere Branchen wie etwa die Gastronomie, die ihre Flächennachfrage vor Ausbruch der Corona-Pandemie ausgeweitet hatte und für mehr Aufenthaltsqualität sorgte, von den Zwangsmaßnahmen betroffen sind.

Die andere, pandemiebedingte, Herausforderung ist der aktuelle Frequenzeinbruch durch die Einschränkungen. „Bei der langfristigen (Re-)Positionierung dieser Standorte haben sich aus unserer langjährigen Praxis einige zentrale Erkenntnisse ableiten lassen“, berichtet Jähnichen bei der Online-Presse-Konferenz mit dem Titel „Pandemie, eCommerce, und gesellschaftliche Megatrends“. Die hat er in drei Punkten zusammengefasst.

So sieht Jähnichen unter Punkt 1 bei größeren Shopping-Centern und Innenstädten mit einem „breiteren Einzugsgebiet und vielfältigeren Nutzungspotenzialen“ einen Vorteil gegenüber kleineren und älteren Einkaufszentren und Lagen. Denn je größer die Stadt ist, umso vielfältiger sind die Nutzungspotenziale gerade auch im Einzelhandel. Im Umkehrschluss bedeutet dies: je kleiner die Stadt, umso bedeutsamer ist die Nahversorgung. Allerdings machte Jähnichen auch deutlich, dass es heute nirgends mehr „Selbstläufer“ gibt.

Unter Punkt 2 macht der IPH-Geschäftsführer darauf aufmerksam, dass die Perspektiven eines Handelsstandorts umso nachhaltiger sind, je besser die Zusammenarbeit der lokalen Stakeholder funktioniert: „Immobilienwirtschaft, Kommunen, Händler, Dienstleister, etc. müssen ihre jeweils eigenen Stärken einbringen und kreative Lösungen finden“, so seine Überzeugung. Denn im Zuge der zahlreichen Diskussionen über die Belebung der Innenstädte breitet sich die Erkenntnis aus, dass der Einzelhandel zwar der Magnet ist, doch auch andere Branchen tragen zur Frequenz bei.

Mehr synergetische Nutzungs-Kopplungen

Daraus ergibt sich unter Punkt 3 laut Jähnichen die Erkenntnis, dass mehr synergetische Nutzungs-Kopplungen zwischen Einzelhandel und anderen Nutzungsarten notwendig sind: „Besonders gefragt sind Gastronomie, Gesundheitsdienstleistungen, Büro, Fitness und öffentliche Einrichtungen, die als Frequenzanker dienen können.“ Das zeigt sich jetzt auch während des Shutdowns an der Tatsache, dass viele Arbeitnehmer, die ansonsten in den Innenstädten arbeiten und einkaufen, wegfallen, weil sie im Homeoffice sind.

„Die Auswahl solcher Kopplungspartner mit Mehrwert ist eine entscheidende Aufgabe des Vermietungs- oder Center-Managers“, stellt der IPH-Geschäftsführer fest und konstatiert: „Je attraktiver der Ortskern, umso höher die Nachnutzungswahrscheinlichkeiten.“ Sinkende Mieten, die den Vermietern in der aktuellen Flaute zwar zusetzen, und der bestehende Revitalisierungsbedarf bieten derzeit die Chance, neue Konzepte anzusiedeln und Verlagerungen zu ermöglichen.

Da das Problem vieler Innenstadtlagen darin besteht, dass die Stakeholder meist nicht im Sinne der gesamten Einkaufslagen zusammenarbeiten, empfiehlt Jähnichen den Städten, sich an den gemanagten Shopping-Centern zu orientieren, Bedarfsanalysen für den örtlichen Markt und Funktionsanalysen für die Objekte zu erstellen, um eine klare Vision und Positionierung zu entwickeln. Dabei geht es um Themen wie den richtigen Branchenmix für den Standort oder die Aufenthaltsqualität durch die Gestaltung des öffentlichen Raums, aber auch um stetige Marktforschung und ein gemeinsames Marketing.

Den Blick auf die Anlage-Klasse Einzelhandel aus der Perspektive des Eigentümers bot bei der Online-Presse-Konferenz Mario Schüttauf, bei der Commerz Real als Fondsmanager zuständig für den offenen Immobilienfonds Hausinvest: „Die Auswirkungen der Pandemie auf den Einzelhandel sind zwar teilweise gravierend, für den Hausinvest mit einem Volumen von knapp 17 Mrd. Euro halten sich die negativen Folgen aber in Grenzen“, sucht er die Vorbehalte gegen die Anlage-Klasse zu zerstreuen, die bei vielen Investoren bestehen. Dafür sprechen laut Schüttauf schon die 116 000 qm Einzelhandelsflächen, die der Fonds im schwierigen Jahr 2020 neu vermieten konnte – was bezogen auf die gesamte Vertragslaufzeit Mieteinnahmen von 160 Mio. Euro entspreche.

Dazu gehört laut Schüttauf in Zeiten der Corona-Pandemie mit Zwangsschließungen im Nonfood-Handel, dass dem aktiven Asset-Management besondere Bedeutung zukommt, beispielsweise indem der Eigentümer frühzeitig auf seine Mieter zugeht, um gemeinsame Lösungen wie Stundungen oder Umsatzmieten zu finden.

Dem aktiven Asset-Management kommt besondere Bedeutung zu

Da sich durch die wachsende Online-Konkurrenz und auch hausgemachte Probleme wie die zu frühen Lieferrhythmen die Probleme in der Mode-Branche schon länger abzeichneten, hat Commerz Real nach den Worten des Fondsmanagers schon früher „mehrere Programme zur Umwandlung von bisher klassischen Einzelhandelsflächen gestartet“. Ein Beispiel ist für ihn das Forum City Mülheim. Hier wird ein klassisches Shopping-Center in ein Nahversorgungszentrum umgewandelt, dessen Mix durch Therapie-, Pflege- und Gesundheits-Angebote im sogenannten „Forum Medicum“ auf 14 500 qm - von insgesamt 47 000 qm - ergänzt wird.

„Der Einzelhandel im Hausinvest ist breit diversifiziert, was die Resilienz gegenüber den negativen Auswirkungen sowohl der Corona-Pandemie als auch des zunehmenden Online-Handels stärkt“, ist Schüttauf überzeugt. Neben den klassischen Mietern aus dem Nonfood-Einzelhandel wie den Modehandel gehören auch Anbieter von Gütern des täglichen Bedarfs, Anbieter aus dem Gesundheitswesen und aus der Kultur sowie Freizeiteinrichtungen zu den Nutzern.

Mit Blick auf die Zukunft geht der Fondsmanager davon aus, dass noch weitere Handelsflächen umgenutzt werden, etwa in Gesundheits- oder Logistikflächen für die letzte Meile des Online-Handels. Ein weiteres Beispiel dafür sind die zehn 2019 erworbenen Kaufhof-Warenhäuser, die Commerz Real zusammen mit der Signa Gruppe in gemischt genutzte Destinationen mit On- und Offline-Handel umwandelt. Vorstellbar sind dabei auch Angebote wie Car-Sharing oder Click-and-Collect.

Aktuell entfallen im Hausinvest-Portfolio 16% der Flächen auf den Nonfood-Handel, 9% auf Anbieter von Gütern des täglichen Bedarfs, 1% auf Kultur und Unterhaltung sowie 3% auf den Bereich Gesundheitswesen, der zulasten des Nonfood-Handels ausgebaut werden soll. Die bislang im Einzelhandelsportfolio erfolgten Wertberichtigungen beschränken sich laut Schüttauf vor allem auf große Shopping-Center wie das Westfield London (Foto: Commerz Real) die von den Zwangsschließungen und  den strukturellen Veränderungen im Einzelhandel stark betroffen sind.

Er geht aber im Einklang mit den Prognosen der Commerzbank-Volkswirte von einer schrittweisen Erholung im Frühjahr 2021 und einer baldigen Normalisierung bei den Mieteinnahmen aus. Vor allem das Westfield werde von den großen Fortschritten bei der britischen Impfkampagne und den geplanten Öffnungen profitieren.