Die Rettung der Innenstädte

Es geht nur in großen Verbünden

Mischobjekt Gerber in Stuttgart. Foto: IPH

HIR DÜSSELDORF. Die kleine Coburger Innenstadt verströmt romantisches Altstadtflair, gerne sprechen die Einheimischen davon, einen der schönsten Marktplätze Deutschlands zu haben. Doch dieses nordostbayerische Kleinod hat ein Problem: Immer mehr Läden stehen leer. Mittlerweile sind es 43 Geschäfte, die Nachmieter suchen – selbst in den besten Lagen. Dazu kommen noch neun Läden, denen über das Projekt „Stadtmacher“ Zwischennutzer aus den Bereichen Kultur, Gastronomie und studentisches Leben vermittelt wurden. Langfristig sollen diese Objekte saniert und dem ersten Vermietungsmarkt zugeführt werden.

„Der Leerstand wirkt sich auch auf andere Bereiche aus“, sagt Hannah Rancke von den Stadtmachern. Denn wenn ein kleines Quartier immer weniger Anlaufpunkte für die Menschen hat, verlieren auch arrondierende Mieter – wie Gastronomen oder Dienstleister. Eine Stadt verödet. „Doch eine lebendige Innenstadt braucht einen gesunden Mix aus Leben, Wohnen, Arbeiten, Gastronomie, Freizeit – und Einkaufen“, betont die studierte Sozialgeografin Rancke.

Die „Stadtmacher“ wurden Anfang 2021 ins Leben gerufen, um gegen die Verödung des schönen Coburg zu kämpfen, sie sind Vermittler zwischen Mietern, Eigentümern und der Stadt. Unter dem Motto „Integriertes Innenstadtmanagement“ machen hierbei Stadtentwicklungsgesellschaft, Citymanagement und Wirtschaftsförderungsgesellschaft gemeinsame Sache.

Solche Verbünde wird es viele brauchen, um deutsche Städte vor der Verödung zu bewahren, denn die Veränderungen vor allem in der Handelslandschaft schlagen immer heftiger durch. Die Frage: Wie müssen alle Akteure darauf reagieren? Antworten wollte auch der 12. Münchner Handelsimmobilientag am 19. Oktober geben, diesmal coronagerecht nach 3-G-Regel veranstaltet von BBE Handelsberatung, IPH Handelsimmobilien sowie dem Hochschulverbund Nürtingen-Geislingen. „Transformation auf Stadt- und Objektebene – wie kann der Branchenmix neugestaltet werden?“ hieß das Motto.

Vielleicht ist es ein Trost, wenn Joachim Stumpf sagt. „Es gibt Lösungen, aber keine Patentlösungen.“ Die Botschaft vom Geschäftsführer von BBE und IPH ist auch so zu verstehen, dass viel individuelle und lokale Analyse notwendig ist, um Standorte, Quartiere oder Städte an die neuen Zeiten anzupassen.

Stumpf sagt, „dass wir uns viel mehr mit den Bedürfnissen der Menschen im Einzugsgebiet beschäftigen müssen“. Denn diese betreffen verstärkt Bereiche wie Coworking, Kindergärten, Gesundheits-, Pflege-, Freizeit-, Wohn- und Kulturangebote. „Es gibt in Zukunft immer weniger Bedarf an Nonfood-Einzelhandelsfläche“, lautet seine schonungslose Prognose. „Wir müssen und können relativ genau berechnen, wie viel Handel eine Stadt künftig braucht.“

Mixed Use ist das Zauberwort und die Konsequenz, als Mischnutzung von Quartieren und Shopping-Centern. Nicht umsonst wird derzeit in das Stadtquartier Gerber (Foto: IPH) in Stuttgart ein Hotel mit Co-Working-Spaces integriert. Damit reagiert Betreiber IPH auf den Überhang an Handelsfläche bei gleichzeitigem Mangel an Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort.

Ein Lebensmittelmarkt beim Herrenausstatter?

Und die Mischnutzung bietet noch ganz andere Varianten. Wenn David Thomas, Bereichsleiter beim Münchner Herrenausstatter Hirmer, darüber nachdenkt, in dem Traditionshaus in bester Innenstadtlage ein Lebensmittelkonzept zu integrieren, egal ob Pop-up- oder Dauerlösung, dann beschreibt das gut die modernen Zeiten.

Doch die Veränderungsbereitschaft der Händler stößt oft schnell an bürokratische Grenzen. „Warum brauche ich eine Baugenehmigung, wenn ich ein Textilgeschäft durch einen Gastronomiebetrieb ersetzen will?“, lautete die rhetorische Frage von Iris Schöberl, Managing Director bei BMO Real Estate Partners Germany.

Die direkte Antwort von Ingrid Simet, Ministerialdirigentin im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr: „Nutzungsmischung birgt auch Konflikte. Städte und Kommunen müssen daher wissen, was sich die Eigentümer vorstellen. Dann ist zu prüfen, ob das umzusetzen ist. Ich glaube, in der Coronazeit ist schon viel in Gang gesetzt worden. Städte haben jetzt ein hohes Interesse daran, Gas zu geben.“

Grundsätzlich sollen Behörden an gemischte Quartiere denken. „Wenn es dort nur Einzelhandel gibt, ist am Wochenende, wenn die Läden geschlossen sind, kein Leben mehr“, mahnt die Ministerialdirigentin. Die Cornakrise hat offenbar bewirkt, dass auf allen Ebenen die Kompromissbereitschaft im Sinne von umsetzbaren und marktgerechten Lösungen gestiegen ist. So sieht es auch Joachim Stumpf: „Die Kräfteverhältnisse zwischen Mieter/Vermieter und Immobilienwirtschaft/Kommune haben sich neu justiert, oder sogar angeglichen, im Sinne von ‚wir sitzen in einem Boot‘ und müssen gemeinsame Lösungen finden.“

Mehr Tempo seitens der Behörden, das hören Marktteilnehmer gerne. Dennoch hat Iris Schöberl ein Problem mit Vorgaben. „Es gibt bei mir einen automatischen Widerstand, wenn mir eine Kommune erklären will, was ich auf meiner Fläche zu vermieten habe.“ Sie rät Städten und Kommunen dringend dazu, bei Fragen zur Immobiliennutzung Beratung von unabhängigen Handelsexperten einzuholen.

Auch Hirmer-Manager Thomas ist noch nicht zufrieden mit den Behörden und sehnt sich etwa nach einfacheren Genehmigungsverfahren für Innenstadtveranstaltungen an Sonntagen. Von Verbandsseite kommen Impulse für die Makroebene, etwa einem geplanten Leerstandskataster vom Bayerischen Handelsverband (HBE). Es braucht Datenbanken mit Informationen nicht nur über unvermietete Läden, sondern auch über Umbaumöglichkeiten der Objekte, wie schnell können Flächen vermietet werden, wie ist die Frequenz vor Ort und, welche Branche am Standort sinnvoll ist.

Bürokratie setzt Veränderungswillen oft Grenzen

„Solche Fragen können einfach beantwortet werden, wenn es in jeder Stadt einen zentralen Ansprechpartner gäbe“, sagt Simone Streller, Geschäftsführerin Standort, Verkehr, Bildung beim HBE. Es geht nicht mehr ohne qualifizierte Vermittler zwischen den Bedürfnissen von Eigentümern, Investoren, Mietern, Kommunen – und den Menschen.

Denn die Menschen wollen in ihren Städten nicht mehr nur Einkaufen. „Gerade nach Corona überwiegen soziale Komponenten, Kunst- und Kulturangebote werden gesucht“, sagt die Coburger „Stadtmacherin“ Rancke. Und hier findet sie bei David Thomas von Hirmer einen Anhänger. „Man muss den Spirit einer Stadt spüren“, sagt er und will Konzerte in den Innenstädten, Drohnenshows und sogar Feuerwerk an Weihnachten.

Aber das alles bringt wenig, wenn davon nichts digital sichtbar ist. Hierbei muss jede Stadt aktiv werden. Gerade junge Handels- und Unterhaltungskonzepte müssen zwingend digital abgebildet sein.

Bleibt aber auch der Handel, der kreativer werden muss mit neuen Konzepten, die die Menschen in die Innenstädte ziehen. Immerhin: Alexandra Gradl,Leiterin Highstreet-Geschäft bei IPH Handelsimmobilien, spricht davon, dass die Renovierungszyklen für Ladengeschäfte einst acht bis neun Jahre betrugen, heute aber nur noch fünf bis sieben. Das ist ein Beleg dafür, dass auch die Händler verstanden haben, dass sie den Kunden immer öfter etwas Neues bieten müssen. Die (Handels)-Zeiten sind anspruchsvoll geworden. Ein schöner Marktplatz reicht heute längst nicht mehr aus, um eine Innenstadt am Leben zu halten.