Anlageklasse Retail Assets

Einzelhandelspessimismus ist nicht angebracht

Das Perlach Plaza schließt eine funktionale Lücke. Foto: Alpha Projekt Partner

Handelsimmobilien standen schon vor der Corona-Krise und dem Shutdown unter Druck und gelten nun noch mehr als Verlierer. Doch der differenzierte Blick auf die Anlageklasse zeigt auch die großen Gewinner und auch noch Potenzial bei Shopping-Centern. Denn Retail Assets sind weniger ein Produkt als vielmehr ein Prozess.

Mit einem Transaktionsvolumen, das die Immobiliendienstleister mit etwa 4 bis 5 Mrd. Euro beziffern, ist das Segment Handelsimmobilien ungewöhnlich stark ins Jahr 2020 gestartet. Der im März behördlich angeordnete Shutdown im Nonfood-Einzelhandel brachte das Neuvermietungsgeschäft dann aber fast schlagartig zum Erliegen und die Forderung vieler Mieter nach Stundung oder Absenkung der Miete lässt seither die Furcht wachsen, dass sich das Mietniveau in diesem Markt auch mittelfristig weiter absenken könnte.

Die Folgen des Shutdowns mit null Euro Umsatz bei den betroffenen Unternehmen kommen nun zu dem Strukturwandel, den ein großer Teil der Nonfood-Händler im Zuge der Digitalisierung seit Jahren bewältigen muss, noch obendrauf. Das hat Folgen. Zwar stellt Prof. Thomas Beyerle, Head of Group Research bei Catella, in seinem Artikel „Warum der Handel für Investoren strukturell wichtig ist“, im EHI Shopping Center Report 2020 fest, dass „Retail in der Gunst der Investoren deutlich zurückfällt. Doch könne der sogenannte Niedergang des Einzelhandels mit Blick auf die gegenwärtigen Transaktionen nicht grundsätzlich bestätigt werden.

Dazu trägt in Deutschland vor allem der Lebensmittelhandel mit seinem engen Ladennetz bei, der laut Beyerle hierzulande zunehmend zum „Risikovermeidungsanker“ wird, weil er den Online-Handel kaum fürchten muss und das Geschäft nicht einmal vom Shutdown berührt wurde. Denn sie durften weiter verkaufen. „Fashion raus, Edeka rein“, konstatiert Beyerle plakativ.

Die großen Unternehmen des Lebensmittelhandels haben aber auch rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und schon vor einer Dekade in die Aufwertung der Verkaufsflächen investiert. „Die Lebensmittelhändler haben aufgerüstet und dem Beispiel Österreichs folgend ihre Vertriebskonzepte moderner, wertiger und zeitgemäßer gestaltet“, bestätigt Susanne Klaußner, Managing Director der Deutsche Investment Retail GmbH.

So trägt im Wesentlichen der Lebensmittelhandel dazu bei, dass seit Mitte der letzten Dekade Fachmarktzentren die Shopping-Center als Favoriten der vergangenen 25 Jahre abgelöst haben. Zusammen mit Lebensmittelmärkten wurden sie laut Beyerle am meisten gehandelt: „Der Kapitalmarkt hat sein Urteil zur Zukunftsfähigkeit des Handels offensichtlich gefällt“, meint er.

Gleichwohl interessieren sich die Investoren aus seiner Sicht im Nachgang einer Investition auch für die Wachstumsraten von morgen und übermorgen. Und hier sind Einkaufszentren mit modernem Design, attraktivem Angebot und einer Top-Lage laut EHI-Shopping-Center-Report sehr beliebt, wie auch das knappe Angebot an solchen Objekten am Investmentmarkt zeigt. Gleichzeitig besteht mit Blick auf das Alter des deutschen Bestands viel Wertsteigerungspotenzial. Dies rentabel zu heben, ist aber zunächst eine Frage des Kaufpreises.

Handel ist zuallererst ein Prozess und dann ein Produkt

Laut Jörg Krechky, u.a. Head of Retail Investment Germany Services bei der Savills Beratungs GmbH, liegen die Spitzenrenditen für deutsche Einkaufszentren mit durchschnittlich 4,3% aber immer noch um 70 Basispunkte unter dem langjährigen Mittel. „Für eine Lockerung im Shopping-Center-Investmentmarkt müssen die Bestandshalter ihre Erwartungen im Core-Segment auf 4,5% Nettoanfangsrendite anpassen“, schätzt er. Bei Centern in B-Lagen sollte die Rendite bei 6,25% liegen, damit das Interesse der Investoren zunimmt und in die Breite wächst.“ Der britische Shopping-Center-Markt hat eine solche Anpassung der Kaufpreise und Renditen schon vollzogen.

Für eine erfolgreiche Modernisierung bzw. Revitalisierung von Retail gibt es aber keine Standardlösungen, warnen die Geschäftsführer der IPH Handelsimmobilien, Lars Jähnichen und Joachim Stumpf, in ihrem Beitrag für den EHI-Report. Dass Investoren und Finanzwelt in Zeiten des Wandels alle Retail-Asset-Klassen in „Sippenhaft eines allgemeinen Einzelhandelspessimismus nimmt“, vernebelt aus ihrer Sicht aber den Blick „auf nach wie vor exzellente Chancen – auch und vor allem im stationären Einzelhandel“.

Und das gilt selbst für Standorte, an denen der Wettbewerb groß ist, wie beispielsweise beim Perlach Plaza, das an einem Nahverkehrsknotenpunkt im Stadtteil Neuperlach, im Südosten von München entsteht – in der Nachbarschaft des PEP, das Jähnichen und Stumpf als eines der etabliertesten und größten Center der Bayernmetropole sehen. Dennoch gelingt es dem Objekt mit dem richtigen Mix aus ihrer Sicht eine „funktionale Lücke“ zu schließen. Auf ein solches Stadtteilzentrum hätten die Bürger schon seit über 40 Jahren gewartet.

Das leicht erreichbare Mischobjekt bietet ein Nahversorgungsangebot, besondere Dienstleister, Wohnnutzung, eine große Sparkassen-Filiale, Freizeit- und Fitmess-Angebote sowie Gastronomie-Konzepte, die sich zu den zweistöckigen Arkaden-Gängen nach außen hin öffnen und die dadurch – anders als in vielen geschlossenen Shopping-Centern - von den Öffnungszeiten des Einzelhandels unabhängig sind. Durch die Arkadenkonstruktion entsteht Einkaufsstraßen-Flair, in dem auch die Einzelhandelsmieter mit ihren Schaufenstern sichtbar werden.

Umdenken in der Stadtentwicklungspolitik

Durch die klare Positionierung entstehen Immobilienwerte, Quartiere erhalten eine Identität und es wird ein Handelsumfeld geformt, das den Menschen einen Mehrwert bietet, wie die IPH-Geschäftsführer berichten. Mehr Frequenz bedeutet mehr Umsatz. Voraussetzung ist eine genaue Betrachtung des Wettbewerbs am Mikro- und am Makrostandort des Quartiers verbunden mit fundierter Markt- sowie Branchenexpertise. In Abgrenzung zu anderen Nutzungsarten konstatiert Beyerle deshalb, dass „Handel zuallererst ein Prozess und dann ein Produkt“ ist.

Hinter diesem Trend steht ein Paradigmenwechsel bei der Stadtentwicklung, die sich laut Rüdiger Weitzel, Vorstand der ERWE Immobilien AG, beim Wiederaufbau der Städte nach dem Krieg vor allem an den Belangen des Automobils orientierte: „Die Stadtplaner in den meisten Städten und Kommunen planten Städte, die auf den Autoverkehr zugeschnitten wurden.“ Das zentrale Konzept setzte auf die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. Innerstädtische Einkaufszonen sind deshalb abends menschenleer, gleichzeitig steigt laut Weitzel das Verkehrsaufkommen durch das Hin- und Herfahren zwischen den Lebensbereichen. Inzwischen setzt ein Umdenken ein.

„Funktionale wie auch ökologische Grenzen des Autoverkehrs sowie gesellschaftliche Veränderungen“ haben auch nach Erkenntnis von Manuel Jahn, Head of Business Development bei der Habona Invest GmbH, den Anspruch an den „gebauten Raum“ verändert und den Wunsch nach einer „lebendigen Stadt“ reifen lassen: „Es wächst der Wunsch nach qualitätsvollen, ansprechend gestalteten öffentlichen Räumen, die Verknüpfungen ermöglichen und damit Zeit, Platz und Ressourcen sparen.“  Die Antwort sind Quartiere als „raumbezogene Einheit zwischenmenschlicher Beziehungen“, so Jahn.

Dabei liegen die Vorteile von Mischobjekten für die Investoren laut Jahn auf der Hand: Die breite Streuung von Mietern und Branchen mindert das Leerstands-Risiko, die geringere Festlegung auf Nutzungen bietet mehr Optionen bei der Nachvermietung, es gibt gestaffelte Mietvertragslaufzeiten durch die unterschiedlichen Nutzer und es gibt eine größere Unabhängigkeit von standardisierten Immobilien-Typologien. Mischobjekte stellen allerdings auch andere Anforderungen an das Management als beispielsweise reine Handelsimmobilien oder Büroobjekte.

Dieser Trend zu „Mixed Use“ prägt nicht nur Städte und initiiert neue Quartiere, sondern eröffnet im Rahmen des Wandels auch der Shopping-Center-Industrie neue Möglichkeiten. „In heutiger Zeit werden gemischt genutzte Projekte, bei denen das Einkaufszentrum eine zentrale Funktion hat, zu einem wegweisenden Trend in Europa“, ist Christoph Billwiller, Geschäftsführer Deutschland bei Sonae Sierra überzeugt. Erfolgreiche Objekte erhöhen die Frequenz und beleben die Stadtgebiete rund um die Uhr.

Multifunktionale Einkaufszentren sind im Kommen

Gute Ansätze für ein multifunktionales Einkaufszentrum bietet aus seiner Sicht das Mercado in Hamburg-Altona mit seinen 76 Geschäften, einer Markthalle und städtischen Einrichtungen wie die Bücherhalle. Weitere Angebote sollen im Zuge der Revitalisierung zum 25. Jubiläum hinzukommen. „In den gesättigten Märkten Europas bieten Mixed-Use-Ansätze neues Wachstumspotenzial für die Shopping-Center-Branche“, ist er überzeugt. In einem modernen Center, das sich heute nach außen öffnet, ergänzen Wohnungen, Büros, Services, Ärzte, Fitness-Studios, Kunst und Kultur, Kindergärten und Spielplätze, Kliniken und Hotels das Einzelhandelsangebot.

Eines der renommiertesten Mixed-Use-Projekte in Europa ist aus seiner Sicht das Quartier City Life auf dem 366 000 qm großen ehemaligen Messegelände in Mailand. Dazu gehört der City Life Shopping District, das laut Sonae Sierra größte Einkaufsviertel Italiens, drei Bürotürme, 500 Wohnungen und großzügige Flächen für Freizeit und Erholung.

Bei allen Konzepten für die Neuausrichtung der Shopping-Center über die traditionelle Funktion als Haus des Einzelhandels hinaus, dürfen Betreiber und Projektentwickler aber auch die Wünsche und Ansprüche der Stamm-Mieter und der Konsumenten nicht vergessen – das Kerngeschäft. Dass die Mieter des zur österreichischen Spar gehörende Center-Spezialist SES Spar European Shopping Centers auch im nicht einfachen Jahr 2019 „erfreuliche Umsatzsteigerungen“ erzielten, wie CEO Marcus Wild berichtet, liegt aus seiner Sicht auch daran, dass das Unternehmen „die Brille der Händler“ aufsetzt und bei der Gestaltung viel Wert auf Aufenthaltsqualität und eine Top-Gastronomie legt. Hinzu kommen die wichtigsten nationalen und Internationalen Marken im Angebotsmix aber auch „handverlesene lokale Partner“ für die Alleinstellung des Centers.

Um auf Veränderungen reagieren zu können, ist es laut Wild wichtig, sich bei der täglichen Arbeit auch von anderen Branchen, Einzelhändlern und auch Hochschulen inspirieren zu lassen. „Gerade die aktuelle Herausforderung zeigt uns, dass wir immer flexibel bleiben müssen und gute Partnerschaften noch wichtiger sind.“