Mit Blick auf die nahende Eröffnung des neuen Mega-Centers von Unibail-Rodamco-Westfield wächst in Hamburg die Sorge um die Innenstadt. Insbesondere die Mönckebergstraße, Hamburgs wichtigste Einzelhandelslage, gerät zunehmend unter Druck. Im Gespräch mit dem Handelsimmobilien Report warnt Andreas Bartmann, Präsident des Handelsverbands Nord und Globetrotter-Geschäftsführer, vor einer Verslumung der Straße.
Sabine Richter/HIR:Wie ist die aktuelle Lage an der Mönckebergstraße?
Andreas Bartmann: In zahlreichen Geschäften an der „Mö“ ist seit Monaten Dauerschlussverkauf. Die laufende Rabattschlacht ist eine der härtesten und aggressivsten der vergangenen Jahre. Vielen Unternehmen geht die Lage erheblich an die Substanz, so dass sie so viel Ware abverkaufen, wie nur irgend möglich, und das zu fast jedem Preis. Natürlich freut das die Kunden, aber auf längere Sicht kann das nicht funktionieren. Viele Geschäfte werden dies nicht überleben. Wir sehen zunehmend Leerstände, der bereits im vergangenen Jahr zu beobachtende Druck auf die Mieten hat sich fortgesetzt. Beim Gros der normalen Läden in durchschnittlichen Lagen zeigen sich enorme Abschläge, es gibt Läden, die zur Hälfte des früheren Mietpreises angeboten werden.
Richter:Die Konsumstimmung ist so schlecht wie nie, wie lange können Unternehmen, viele durch die Corona-Zeit angeschlagen, das noch durchstehen?
Bartmann: Die Lage wird sich durch die zunehmenden Belastungen der Bürger durch die Energiekostenentwicklung, die Inflation und die negative Wirtschaftsentwicklung noch verschärfen. Aber ich warne vor Verallgemeinerungen. Es gibt nicht mehr den einen Handel. Wir haben Konzepte, die stark unter Druck sind, andere hatten die besten Jahre der Firmengeschichte.
Verloren hat z.B. der Modehandel, zu den Gewinnern zählt alles rund ums Einrichten und Heimwerken. Wir haben jetzt die Situation, dass die Menschen vorsichtiger sind und spürbar weniger einkaufen. Aber wir haben unterschiedliche Einkommensschichten. Es gibt eine breite Schicht, die den Euro umdrehen muss und massiv unter den steigenden Energiekosten leidet. Gerade in Hamburg gibt es aber auch viele Menschen, die sich etwas leisten können und wollen. Der Luxusbereich, wenn auch klein vom Gesamtmarkt, geht gerade durch die Decke.
Richter:Welches sind die Gründe für die negative Wahrnehmung gerade der Mönckebergstraße?
Bartmann: Hier kommt vieles zusammen. Permanente Baustellen erschrecken Besucher, die dann in andere Lagen abwandern. Die Baustellen bleiben noch mindestens die nächsten zwei bis drei Jahre bestehen. So wird in Kürze mit dem Abriss von C&A begonnen werden. Vieles ist zu lange liegen geblieben, die Modernisierung des Stromnetzes, die Erneuerung der Plätze, der Umbau bei der U-Bahn. Karstadt Sports und Kaufhof, die beiden großen Kaufhäuser am Anfang der Straße, wurden vor zwei Jahren geschlossen und bilden somit kein attraktives Eingangsportal mehr.
Richter:Gibt es inzwischen neue Konzepte für die beiden Kaufhäuser?
Bartmann: Der Finanzsenator hat über den mit neun Millionen Euro ausgestatteten Freiflächen-Fonds der Hamburg Kreativ Gesellschaft und dem Fonds für kreative Zwischennutzung Möglichkeiten für eine Zwischennutzung geschaffen. Rund 8 000 qm Leerstand, verteilt auf sechs Geschosse, verwandeln sich für ein halbes Jahr zu temporären Ateliers, Ausstellungsflächen, Co-Working-Spaces und Produktionsorten. Alles ist besser als Leerstand.
Für die Zukunft wünsche ich mir hier eine Mischnutzung, mit Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss, darüber Dienstleistungen und Büros. Wohnen ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Da muss man auch mal querdenken und mit Subventionen der Stadt andere, und vor allem jüngere Klienten ins Zentrum bringen. Wohnungen für Studenten und Auszubildende wären eine Möglichkeit.
Richter:Tut sich nun endlich wirklich Entscheidendes in der Innenstadt? Geredet wurde ja viel...
Bartmann: Der gewachsene Leidensdruck sorgt dafür, dass jetzt tatsächlich Konzepte für die gesamte Innenstadt angegangen werden. Der Bürgermeister und der Oberbaudirektor haben die City zum Chefthema gemacht und mit hoher Vehemenz versichert, dass nun etwas passieren wird. Eine Innenstadtkoordinatorin wurde mit übergreifender Verantwortung und Kompetenzen ausgestattet, damit Lösungen für die Verbesserung der Plätze, Verkehrswege und Strukturen auch umgesetzt werden können.
Alle Akteure werden an einen Tisch kommen. Klar ist, dass das Zentrum zu stark auf Einzelhandel fokussiert ist, wir haben davon viel zu viel. Und klar ist auch, dass die meisten großen Handelsdinosaurier mit mehreren 10 000 qm nicht der Handel der Zukunft sein werden. Und alle größeren Projekte werden künftig mit dem Thema Wohnen besetzt werden. Das wird also ein Prozess sein, der zehn bis zwanzig Jahre dauern wird.
Ich bin sicher, dass die Hamburger Innenstadt ein gelungenes Großprojekt sein wird, wenn sie aus den Baustellen herauskommt und die Altstadtkulisse ihren Charme entwickeln kann. Die Menschen werden die neuen Freiräume annehmen und mit Leben füllen.
Richter:Wie sehr fürchtet der Hamburger Innenstadt-Handel das neue Centrum in der HafenCity?
Bartmann: Die Uhr läuft. 2024 eröffnet Unibail-Rodamco-Westfield (URW), wenn auch mit Verspätung, im südlichen Überseequartier sein neues Einkaufszentrum. 80 500 qm Verkaufsfläche auf drei Ebenen und 200 Läden, eine Verbindung aus Freizeit und Shoppen mit innovativen Services und Angeboten. Dazu mehr als 40 Gastronomieeinheiten, von Sportbars über bekannte Gastronomieketten bis zum Sternerestaurant. Dazu drei Hotels, 650 Wohnungen, 48 000 qm Bürofläche und ein Kreuzfahrtterminal.
Unibail-Rodamco-Westfield hatte den Vorteil, den Handel der Zukunft wie auf einem weißen Blatt Papier neu entwerfen zu können. Und das was sie machen, machen sie gut. Die Bürger werden sich wohlfühlen und fragen, wofür sie noch in die Mönckebergstraße oder den Jungfernstieg gehen sollen. Es wird ein harter Wettbewerb. Die bisherige City mit ihren unflexiblen komplexen Strukturen kann da erst einmal nicht mithalten, auch wenn sie ihren eigenen Charme hat. Es kommen 20% Einzelhandelsfläche dazu, aber die Umsätze werden nicht um 20% steigen. Ich bin mir sicher, dass das Überseequartier Umsätze aus der Innenstadt abziehen wird.
Richter:Können das neue Center und die Stadt zusammenwachsen?
Bartmann: Zu glauben, dass Touristen in die U-Bahn steigen um von der HafenCity in die Innenstadt zu fahren, ist völlig unrealistisch, das neue Center wird alles erdenklich Gesuchte bieten. Wir brauchen dringend eine neue Achse, die die alte Innenstadt mit der HafenCity verbindet, indem die bisher trennende sechs- bis achtspurige Willy-Brandt-Straße mit einer Tunnellösung oder einer unterirdischen Fußgängerquerung überwunden wird. Entstehen könnte ein attraktiver durchgängiger Fußweg am Wasser, der kulturelle Schätze wie Kirchen und Kontorhäuser miteinander verbindet. Das hatte übrigens Olaf Scholz schon als Erster Bürgermeister der Stadt versprochen.
Richter:Derzeit liest man viel von Verkürzungen der Ladenöffnungszeiten. Wie realistisch ist das auf breiter Front?
Bartmann: Wesentliche Bereiche des Einzelhandels, werden die nächsten Jahre unter erheblichen Kostendruck und Mangel an qualifiziertem Personal leiden. Eine Reduzierung der Öffnungszeiten in den Randbereichen kann hier ein Teil der Lösung sein, deutlich Kosten zu reduzieren und von den Arbeitszeiten attraktiver sein. Dies ist ja vielfach schon Realität und wird sich auch zunächst etablieren. Wichtig dabei ist dies einheitlich in den Quartieren zu machen, damit die Besucher eine klare Orientierung haben und somit ein Umsatzniveau gehalten kann.
Richter:Wie stehen Sie zu der Forderung Autos raus aus der Stadt?
Ich glaube, dass es in Zeiten der Mobilitätswende zwingend ist, den Individualverkehr aus der Innenstadt rauszubekommen, dieses aber mit der Erreichbarkeit der bestehenden Parkhäuser bei digitaler Unterstützung mit guten ÖPNV-Angeboten und einer innerstädtischen Ringlinie mit einem Hopp-on-Hopp-off-Busverkehr zwischen Hauptbahnhof und Valentinskamp.
Die Fragen stellte Sabine Richter, Hamburg