Die Verödung der Stadtzentren während der Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung hat das Bewusstsein der Akteure für die Defizite der Einkaufslagen endgültig geschärft. Vorausgegangen waren die Klagen des innerstädtischen Einzelhandels über stetig sinkende Besucherzahlen in den Einkaufslagen – nicht zuletzt, weil mehr online gekauft wird. Vor diesem Hintergrund befasste sich auch der Highstreet Report 2023 von Columbia Threadneedle Real Estate Partners in Zusammenarbeit mit Bulwiengesa mit der Transformation der Innenstädte.
Da die „Highstreets“ nach den Worten von Iris Schöberl Managing Director & Head of Institutional Clients Germany bei Columbia Threadneedle Real Estate Partners „ein entscheidender Teil der Identität einer Stadt sind“, ist den Innenstadtakteuren der Handlungsdruck, den aktuellen Abwärtstrend aufzuhalten und umzukehren, zunehmend bewusst. Dabei sei die Veränderung resp. Aufwertung der „Innenstadt“ eine „Transformationsaufgabe“, die von den unterschiedlichsten Akteuren gemeinsam angegangen werden müsse, so Schöberl.
Denn wenn zumindest ein Teil der Einkäufe ins Internet verlagert wird, muss der stationäre Einzelhandel einerseits ein anderes Einkaufen anbieten als die Internet-Konkurrenz und die Innenstädte müssen andererseits über das Einzelhandelsangebot hinaus weitere Nutzungen bieten und vor allem mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Wie Schöberl anmerkt, werden aus den einstigen monostrukturierten Einkaufsstraßen zunehmend mischgenutzte Erlebnisräume.
Mit Blick auf die Tatsache, dass für die Besucher eines Stadtzentrums auch das Erscheinungsbild der Einkaufsstraße – also die Architektur der Gebäude und Geschäfte – eine wichtige Rolle spielt und sich die Anforderungen des Einzelhandels an die Verkaufsflächen stetig verändern, kommt bei der Stadtentwicklung den innerstädtischen Bestandsimmobilien und der Möglichkeit, sie umzubauen, eine wesentliche Bedeutung zu. Zumal die Umwandlung von der Monofunktionalität als reine Einkaufsstraße zum Mischgebiet mit mehr Wohnungen, gastronomischen Angeboten und Büros mehr Flexibilität bei der Nutzung der Gebäude erfordert.
Dieser baulichen Transformation in den Einkaufslagen stehen hierzulande jedoch einige Hürden im Weg, wie Iris Schöberl in der Studie Highstreet Report 2023 von Columbia Threadneedle Real Estate Partners unter der Headline „Innenstadt als Transformationsaufgabe“ darlegt. Für den Report, der nun zum vierten Mal seit 2020 in Zusammenarbeit mit Bulwiengesa erarbeitet wurde, wurden die A-Lagen in 141 Städten und 145 innerstädtische Shopping-Center untersucht.
Es gibt nicht selten ein Problem mit der Umsetzung
Das Problem bei der Transformation ist, dass der Gesetzgeber auf Grund „eines sehr festgefahrenen Rahmenwerks die Flexibilität bei der Umsetzung deutlich einschränkt“, wie Schöberl kritisiert. Dadurch seien auch bereits in der Vergangenheit gute Ideen und Ansätze nicht realisiert worden, weil Eigentümer diese für den Umbau nicht flexibel umzusetzen konnten. In diesem Kontext fordert sie, dass auch der Gesetzgeber den notwendigen Wandel der Innenstädte akzeptiert, denn von einer gemeinsamen Lösung würden alle dauerhaft profitieren. Deshalb müssen aus Sicht der Geschäftsführerin Eigentümer, Investoren und Politik an einem Strang ziehen „und sich für Umbau sowie Umnutzungsideen öffnen“. Dafür ist es aber nötig, die baurechtlichen und -technischen Grundlagen zu schaffen.
Nach Beobachtung von Manuel Behr, Leiter Vermietung Einzelhandel bei der Aachener Grundvermögen Kapitalverwaltungsgesellschaft, ist in vielen deutschen Städten die Erkenntnis über die notwendigen Verbesserungen zwar vorhanden, doch gebe es oft ein Umsetzungsproblem. Laut Highstreet Report 2023 ist in Einkaufsstraßen etwa eine Nutzungsänderung von Einzelhandelsflächen in Wohnungen meist mit einem immensen Genehmigungsaufwand verbunden, der viel Geld und viel Zeit kostet. „Hier ist man dann gegebenenfalls länger mit der Entwicklung beschäftigt, als es bei einem Neubau nötig wäre – weshalb solche Projekte häufig bereits im Ansatz scheitern“, beklagt die Geschäftsführerin mit Blick auf die Tatsache, dass unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit und der grauen Energie „Umbau und Revitalisierung“ besser sind als „Abriss und Neubau“.
Da die Baugesetze hierzulande für den Neubau konzipiert sind lässt sich laut Schöberl unter dieser Prämisse kein günstiger Umbau realisieren, was mit Blick auf die gewachsenen Innenstadtarchitektur nachteilig ist. Deshalb fordert sie die Erarbeitung einer „Umbaukultur“ und die Beseitigung „bauordnungsrechtlicher Hürden“ mit einer „Umbauordnung“ als erstem Schritt.
Erarbeitung einer Umbaukultur
Die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die energetische Fortentwicklung des Bestands ist auch mit Blick auf die Investoren erforderlich, die vermehrt auf ESG-konforme Immobilien in Bestlagen setzen. Andernfalls wird es schwierig, sie für die architektonische Aufwertung der Einkaufslagen zu gewinnen. Schöberl: „Das bedeutet, wir müssen einen Weg finden, um mit dem Bestand umzugehen, und diesen, wenn notwendig, anzupassen, um den Anforderungen seitens der Nutzer, Umwelt oder auch Investoren gerecht zu werden. Im Idealfall allen gleichzeitig.“
Das spielt derzeit auch bei der Neuorientierung von Warenhäusern eine Rolle, die sich meist an den prominentesten Standorten befinden, maßgeblich das Stadtbild prägen und jahrzehntelang als Magnet für die Stärkung der umliegenden Einzelhandelsstrukturen fungierten, wie Lea Scholze, Architektin und Prokuristin der AIP Unternehmensgruppe, in ihrem Gastbeitrag mit Blick auf die Schließung vieler Warenhaus-Filialen schreibt. Meist geht es bei der Neuausrichtung dieser innerstädtischen Handelsimmobilien um Mischnutzungen, die zur Reaktivierung der Innenstädte beitragen und als Katalysator fungiere können.
Scholze empfiehlt vor diesem Hintergrund zunächst den vorhandenen Nutzungsmix an dem Standort genau zu erfassen, um unnötige Konkurrenznutzungen zu vermeiden. Essenziell ist für sie ein bedarfsorientierter Nutzungsmix, der zum Standort passt, wobei aber auch gilt, dass jedes Gebäude eine für seinen Standort und die Gebäudetypologie passende Lösung benötigt, die sich auch an den Bedürfnissen der Stadt orientiert. Universallösungen gibt es nicht. Eine Zukunft als Warenhaus sieht sie noch für Premium-Häuser mit Shop-in-Shop-System in A-Städten mit 1A-Standorten.
Mit Blick auf den sozialen Aspekt, also das „S“ in den ESG-Kriterien, könnte bei der Neugestaltung der Innenstädte laut Highstreet Report das Mitdenken des öffentlichen Raums als soziale Fläche oder als „Wohlfühlort“, aber auch als Raum für Flora und Fauna ein Lösungsansatz sein. Wie Umfragen etwa des IFH Köln zeigen, wollen viele Stadtbesucher mehr Aufenthaltsqualität etwa durch mehr Grün in den Cities. Hinzu kommt, dass mit Blick auf den Klimawandel die Entsiegelung von Flächen und mehr Bepflanzung ein Thema ist, um das Aufheizen im Sommer zu verhindern.
Denn wie es im Report heißt, stehen die Architektur einer Stadt und der öffentliche Raum mit der menschlichen Psychologie in einem symbiotischen Verhältnis. Und Orte, die für alle zugänglich sind und den Rahmen für das gesellschaftliche Miteinander setzen, sind essenziell für das Zusammenleben in den Städten. Dass dazu auch viele Sitzgelegenheiten gehören, liegt auf der Hand, wobei Robin Lang, Gründer von City Decks, auf Studien verweist, die belegen, welche positiven Effekte sie für den Einzelhandel und die Wirtschaft haben.
Als Beispiel für die Verbindung von Nachhaltigkeit und Urbanität nennt der Highstreet Report die Innenstadt von Augsburg für die die Gestaltungsrichtlinien neu definiert wurden. Nun gibt es großzügige Außengastronomiebereiche entlang der Innenstadtstraßen, die für mehr Leben auf den Gehsteigen und eine bessere Nutzung des öffentlichen Raums sorgen. Im Interesse eines gemäßigten Klimas in der City werden zudem Bäume gepflanzt und die Innenstadt begrünt. Und um den Autoverkehr zu reduzieren, gibt es in der Stadt kostenlose City-Zonen für den öffentlichen Nahverkehr.
Spürbar mehr Gastronomie-Betriebe in den Cities
Beim Blick auf den Status quo in den untersuchten 141 Innenstädten ergab die Analyse 2023, dass die Zahl der erfassten Geschäfte gemessen an 2022 nur um 0,4% oder 70 Läden gesunken ist. Mit einem Anteil von 30,9% und über 6 000 Läden stellten die Anbieter des modischen Bedarfs zwar die größte Gruppe unter den innerstädtischen Händlern dar, doch ist ihr Anteil gegenüber dem Vorjahr mit 31,7% gemäß Report um 0,8 Prozentpunkte gesunken und die Zahl der Filialen lag damals bei 6 206. Das ist der stärkste Rückgang unter den betrachteten Warengruppen und „zugleich ein Indiz für den fortschreitenden Wandel in den deutschen Highstreets – weg von der Dominanz des Modehandels hin zu einer größeren Waren-, Dienstleistungs- und Nutzungsvielfalt“, heißt es.
Im Sinne von mehr Erlebnis- und Aufenthaltsqualität in den Cities und der Schaffung von mehr Begegnungsräumen verzeichnete der Gastronomiebereich mit +4,0% bzw. 107 Einheiten, den höchsten Zuwachs. Einen Aufwärtstrend gab es auch bei den einzelhandelsnahen Dienstleistungen mit +1,1% auf 9,2% und bei den „Sonstigen“ mit + 2,0% auf 7,0%, was auf die Zunahme der Geschäfte für Einrichtungsbedarf sowie DIY/Garten/Freizeit zurückzuführen ist. Zulegen konnten auch die Nonfood-Discounter wie Woolworth und Tedi, die jeweils sechs Märkte eröffneten und damit ihren Vorjahrestrend fortsetzten. Mit ihrem breiten Angebot sorgen sie laut Report für Frequenz.
Die in den Jahren vor der Pandemie sehr expansiven Drogeriemärkte verzeichneten dagegen einen Rückgang um -1,6%. Dennoch konnte der gesamte Bereich Drogerie & Gesundheit seinen Anteil mit 5,3% konstant halten, weil die Zahl von Mietern wie Optiker, Hörakustiker, Sanitätshäuser und Apotheken mit Blick auf den wachsenden Anteil älterer Menschen in den innerstädtischen Einkaufslagen seit 2020 um 12,2% gestiegen ist. Gleichzeitig zeigte sich in fast allen Einkaufsstraßen ein wachsender Trend zu mehr Regionalität bzw. mehr lokalen Anbietern.