Die harten Regeln der Straße

Die richtige Wahl des Standorts will gelernt sein

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Die Digitalisierung kommt längst nicht mehr nur dem Online-Handel zugute. Denn auch für stationäre Einzelhändler führt heutzutage kaum noch ein Weg am Internet als zusätzlichem Vertriebskanal vorbei. Solche Multichannel-Ansätze machen sich den Ropo-Effekt – Research online, Purchase offline – zunutze: Erhebungen zufolge geht etwa 45% der Käufe im stationären Geschäft eine Informationssuche in Online-Shops am Bildschirm zu Hause oder unterwegs voraus.

Sowohl physisch in den Geschäften als auch digital im Internet präsent zu sein, hat also durchaus Vorteile. Wer aber glaubt, dass dadurch immer mehr physische Fläche durch Bit & Bites ersetzt werden, der irrt. Denn die Logik des Multichannel-Handels funktioniert auch umgekehrt. Denn immer mehr einstige Online-Pure-Player wie Cyberport,fahrrad.de oder 21run haben damit begonnen, in ausgewählten Städten und Lagen ‚Stores‘ zu eröffnen. Dahinter steckt weniger ein genereller Strategiewechsel zurück in die analoge Welt als vielmehr die Einsicht, dass der Vertrieb im Internet Grenzen hat: Gerade Mode- oder Freizeitartikel, die „hautnah“ zum Einsatz kommen, wollen vom Kunden erfahren und ausprobiert werden, bevor die Kaufentscheidung fällt.

Aus Marketingsicht haben eigene Flagshipstores zudem den Vorteil, dass das Produkterlebnis im Geschäft genau kuratiert und gesteuert werden kann. Der Kunde soll sich im Laden in einer ausgeklügelt gestalteten Produkt- und Markenwelt verlieren. Im schnelllebigen Internet mit Pop-up-Fenstern und blinkenden Werbebannern ist eine Immersion (Eintauchen) des Kunden nur sehr schwer möglich.

Vorhersehbar ist der Erfolg dieser „Store“-Strategie aber nicht. Vor allem bei der Standortwahl hatten Online-Händler in der Vergangenheit kein glückliches Händchen. Dass viele Läden nach kurzer Zeit wieder schließen, ist aber oft einkalkuliert und hängt mit der „Trial-and-Error-Philosophie“ der Händler zusammen. Da diese Strategie hohe Investitionssummen verschlingt, wäre es wichtig, unnötige Fehler zu vermeiden, indem bei der Standort- und Objektwahl die richtigen Akzente gesetzt werden.

Beispiel Sichtbarkeit: Gerade bei jungen Marken mit niedriger Bekanntheit kann die Sichtbarkeit des Ladens sehr wichtig sein. Allerdings gibt es Unterschiede: Ein Fahrradhändler wie Rose Bike, der eine sehr fokussierte aber treue Kundschaft hat, kann auch in einer Nebenlage erfolgreich sein – zumal Fahrräder nicht jedes Jahr gekauft werden. Schwerer haben es schnelllebige Modeprodukte wie Schuhe, wie das Scheitern des 21run-Stores in der Top-Lage Sendlinger Straße in München gezeigt hat. Der Laden konnte nicht funktionieren, weil die Immobilie auf Grund ihrer Lage nur sehr eingeschränkt sichtbar war. Den Fehler wollte der Neuling in München, der Premiumanbieter Lululemon, nicht wiederholen und mietet die gut sichtbare Fläche davor.

Für Online-Händler, die den Sprung ins stationäre Geschäft wagen, gilt es daher zu beachten, dass bei der Wahl der Lage je nach Zielgruppe, Bekanntheitsgrad und Mietbudget unterschiedliche Regeln gelten können. Für Produkte des mittelfristigen Bedarfs sollten Frequenzlagen gewählt werden, für Produkte des längerfristigen Bedarfs funktionieren auch die Nebenstraßen wichtiger Einkaufsgegenden. Analog ist die Erreichbarkeit und die Sichtbarkeit umso wichtiger, je unbekannter der Anbieter in der lokalen Bevölkerung ist und je häufiger der Kunde das Produkt benötigt.