HIR DÜSSELDORF. Der demografische Wandel verändert die Kundengruppen in Deutschland grundlegend. Während junge Menschen die Selfie-Spots im Einkaufszentrum nutzen und oft Influencer-freundliche Erlebniswelten im Fokus stehen, fühlen sich ältere Kunden schon mal übersehen. Doch genau diese Generation stellt inzwischen einen großen Teil der zahlungskräftigen Kundschaft dar – ein Potenzial, das der Handel und die Betreiber von Handelsstandorten nicht ignorieren dürfen.
Denn während sich viele Einzelhandelsstandorte auf junge, technikaffine Zielgruppen konzentrieren, gerät eine wachsende und kaufkräftige Gruppe in den Hintergrund: die Generation 60+. Genau über dieses Thema diskutierten deshalb drei Experten des Retail PIN – der Denkfabrik für Handelsimmobilien – in einem Onlinepanel unter dem provokanten Titel: „Junge im Fokus, Alte vergessen? Verpassen Handelsstandorte ihre größte Zielgruppe?“
Bereits heute stellen Menschen, die über 60 Jahre alt sind, rund 25% der deutschen Bevölkerung. Bis zum Jahr 2030 wird diese Gruppe weiter wachsen und zu einer der stärksten Konsumentengruppen werden. Dennoch zeigt die Praxis in vielen Handelsstandorten ein anderes Bild. Die Zielgruppenansprache fokussiert sich häufig auf die junge Generation, während spezifische Angebote für die wachsende Generation Silber fehlen.
„Ein bemerkenswerter Trend ist bereits heute erkennbar: Im Jahr 2024 war der 60. Geburtstag der am häufigsten gefeierte Geburtstag in Deutschland“, betont Jörg Wege,Head of Strategic Development M & A beim Handelsimmobilienmanager MEC: „Gleichzeitig steigt die durchschnittliche Lebenserwartung bei verbessertem gesundheitlichen Allgemeinzustand deutlich an. Das dürfen wir nicht unberücksichtigt lassen.“ Der operative Fokus müsse stärker auf diese Zielgruppe ausgerichtet werden, denn sie stelle eine stabile Einnahmebasis dar – im Gegensatz zu jüngeren Konsumenten, die häufig preissensibler und weniger loyal seien.
Ältere Menschen bleiben heute länger aktiv und gestalten ihr Leben selbst bestimmt. Sie erwarten Komfort, Service und ein angenehmes Einkaufserlebnis. „Die Generation 60+ ist heterogener als je zuvor“, sagt Uwe Seidel,geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens Dr. Lademann & Partner: „Es gibt keine einfache Antwort auf ihre Bedürfnisse, aber klar ist: Sie suchen Qualität, nicht nur den günstigsten Preis.“
Vor diesem Hintergrund hebt das aktuelle Positionspapier des Retail PIN hervor, dass Barrierefreiheit, Aufenthaltsqualität und zielgruppenspezifische Services immer wichtiger werden. Auch eine Anreicherung der Handelsstandorte mit Nicht-Handels-Angeboten – wie Gesundheitsdienstleistungen, seniorengerechte Gastronomie und Veranstaltungen – kann helfen, Handelsimmobilien attraktiver für diese Zielgruppe zu gestalten. „Ziel ist, dass wir eine Durchmischung erreichen, die nicht nur durch den Handel allein kommt, sondern vor allem auch durch zielgruppenspezifische Nicht-Handels-Konzepte“, ergänzte Alexander Boelhauve,Assistant Fund Manager beim Investmentmanager Nuveen Real Estate: Da sieht er noch viel Potenzial.
Jung und alt müssen angesprochen werden
Was muss sich ändern? Der demografische Wandel stellt den Handel vor die Herausforderung, beide Zielgruppen – jung und alt – gleichermaßen anzusprechen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Viele Handelsimmobilien sind noch nicht ausreichend auf die Bedürfnisse älterer Kunden ausgerichtet. Verbesserungen in der Barrierefreiheit und klare Orientierungshilfen vor Ort sollten spätestens bei Refurbishments zum Standard gehören. Darüber hinaus müssen Handelsstandorte einladende Orte sein, die über den bloßen Einkauf hinausgehen.
Das Retail PIN Positionspapier beschreibt diesen Wandel als „neue Vielfalt“, bei der Handelsstandorte als Orte der Begegnung und des Erlebens fungieren. Von der Apotheke bis zum Yoga-Kurs – Handelsstandorte könnten viel mehr bieten als reine Einkaufsmöglichkeiten und dadurch auch unterschiedliche Zielgruppen stärker miteinander verbinden. Die Ergänzung des klassischen Handelsangebots durch Service- und Veranstaltungsprogramme kann die Besucherfrequenz erhöhen und die Kundenbindung stärken.
Ingmar Behrens, Generalsekretär des German Council of Shopping Places und Moderator des Onlinepanel, bringt es auf den Punkt, wenn er anmerkt: „Die heutige Diskussion um die Zielgruppe 60+ zeigt, dass der Handel und die Handelsimmobilienbranche nicht vergessen dürfen, wer am Ende die Miete zahlt – nämlich der Umsatz jedes einzelnen Kunden.“ Im Wettbewerb mit dem Online-Handel muss die Branche aus seiner Sicht viel sensibler mit den wichtigen Zielgruppen umgehen.
Fazit: Die Zukunft ist hybrid: Die Diskussion des Retail PIN zeigt deutlich, dass Handelsstandorte den Spagat zwischen jungen und älteren Zielgruppen schaffen müssen, um langfristig erfolgreich zu bleiben. Wer jetzt nicht auf die „Generation Silber“ setzt, riskiert, den Anschluss zu verlieren. Während die Generation 60+ eine stabile Umsatzbasis darstellt, bringt die jüngere Zielgruppe Dynamik und Innovationspotenzial.
Die Lösung liegt deshalb in hybriden Konzepten: Das heißt, Barrierefreiheit und Aufenthaltsqualität für die ältere Generation, kombiniert mit Erlebnisangeboten und digitalen Services für die Jüngeren. Nur so können Handelsstandorte auch in Zukunft ihre Relevanz behalten – und dabei ihre größte Zielgruppe nicht vergessen.