Shopping-Center in Corona-Zeiten

Die Krise beschleunigt den Strukturwandel

Das Gerber: Mehr Mischnutzung. Foto: IPH

Seit dem bundesweiten Shutdown Mitte März hat sich die Lage im deutschen Einzelhandel dramatisch verändert. Lebensmittelhändler und andere Nahversorger profitierten, während die typischen Mieter von Innenstadt-Lagen und Shopping-Centern wie die Anbieter von Bekleidung/Schuhen/Lederwaren, Büchern, Consumer Electronics, Spielwaren und bedarfsorientierten Textilien nach wochenlanger Schließung nur langsam zur Normalität zurückfinden. In Einkaufszentren lag die Frequenz Mitte Juni im bundesweiten Durchschnitt laut GfK noch um 19% unter Normalzeiten.

Dadurch geraten die schon vom Strukturwandel durch die Digitalisierung bedrängten Branchen und Handelslagen weiter unter Druck. Nach den Worten von Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung und der IPH Handelsimmobilien ist die Krise nichts anderes „als ein Strukturbeschleuniger“. Die Notwendigkeit, Flächen des Nonfood-Einzelhandels, der stärker unter der Online-Konkurrenz leidet als der deutsche Lebensmittelhandel mit seinem eng geknüpften Filialnetz, durch andere Nutzungsarten auszutauschen, besteht nach seinen Worten schon seit Jahren. Das zeigen auch die Diskussionen über „Mixed-Use-Objekte“ bei den diversen Fachkongressen.

Die IPH Handelsimmobilien GmbH mit 22 Shopping-Centern „under Management“ will in diesem Kontext beispielsweise das Stadtkaufhaus Gerber mit Retail, Wohnen und Büros im Stuttgarter Gerberviertel weiterentwickeln, indem Einzelhandelsflächen durch Hotel- und Co-Working-Flächen ersetzt werden.

Auf die Frage: „Wie in diesen schwierigen Zeiten ein positiv aufgestelltes Shopping-Center aussieht“, gibt es laut Stumpf „keine Patenlösung“. Nur so viel: „Als quasi Generalaussage kann man festhalten, dass der Trend von einer monofunktionalen Retail-Struktur in eine breitere Mixed-use-Struktur unaufhaltbar ist.“ Hinzu kommt, dass Deutschland in punkto Verkaufsflächenausstattung mit 1,45 qm pro Einwohner europaweit zur Spitzengruppe gehört – deutlich vor Ländern wie Frankreich mit 1,26 qm und Großbritannien mit 1,08 qm (Quelle: GfK). Auch das eröffnet in Zeiten des wachsenden Multichannel-Handels Spielraum, Einzelhandelsflächen umzunutzen.

Dabei ist die jeweilige Nutzungsbeimischung laut Stumpf „je nach Standort, Wettbewerb und Einzugsgebiet sehr unterschiedlich“. Sie reicht von Fitness-Studios über Büros, Arztpraxen, Co-Working-Flächen, Hotels und Wohnungen bis hin zu öffentlichen Einrichtungen, Kunst, Kultur oder Kindergärten.

Entscheidend für den Einzelhandel ist, dass der neue Nutzer resp. der sogenannte „Kopplungspartner“ dem Standort zusätzliche Frequenz und damit potenzielle Käufer zuführt. Gemäß der Studie Der Mieter im Fokus von ILG, HBB und BBE schätzen Nonfood-Händler die Gastronomie, Fitness-Studios, Freizeiteinrichtungen und Ärzte als gute Kopplungspartner für ihr Geschäft. Die Vermieter resp. Investoren schätzen die Risikostreuung durch Nutzer aus anderen Bereichen, um die seit einigen Jahren bestehenden strukturellen Probleme bei typischen Center-Mietern etwa aus dem Mode-Bereich, der kaum noch expandiert, abzufedern.

Diese strukturellen Probleme werden durch die aktuelle Pandemie noch verschärft. Laut Stumpf müssen viele Nonfood-Retailer insbesondere aus den Segmenten Fashion ihre Priorität zunächst auf die Stabilisierung ihres in die Krise geratenen Unternehmens richten und die Zukunftsfähigkeit ihrer Standorte prüfen. Bei diesen Unternehmen seien neue Mietvertragsabschlüsse derzeit deshalb zurückgestellt.

Aus den Erfahrungen mit 22 gemanagten Einkaufszentren weiß er, dass die Vermietung derzeit sehr stark geprägt wird durch die Forderung nach „Corona-Beiträgen“ bei stark betroffenen Mietern und Laufzeitanpassungen bei den Mietverträgen. Die gewünschten Mietnachlässe liegen laut Stumpf in einer sehr großen Spannbreite und differieren stark nach Branche und wirtschaftlicher Unternehmensstärke. Sie reicht von „keinem Nachlass“ bis hin zu „mehreren Monatsmieten“ bzw. „dauerhafter Mietreduzierung“.

Es gibt aber auch Mieter, die in dieser schwierigen Zeit für sich auch Chancen sehen. Dazu gehören laut Stumpf „leistungsstarke regionale Anbieter“ genauso wie „Filialunternehmen“, die die Gelegenheit für eigenes Wachstum darin sehen, dass sie auf freiwerdende Flächen spekulieren, die vorher für sie nicht verfügbar schienen: „Dazu gehören vor allem auch die Warenhausstandorte.“

Sehr große Schwankungen bei den Umsätzen der Mieter

Weitestgehend normal läuft dagegen das Geschäft der Mieter in den von der Corona-Krise weniger betroffenen Unternehmen aus dem Nahversorgungsbereich, die nicht schließen mussten sowie dem Bereich „Living“ mit Baumärkten, Garten-Centern, Einrichtungshäusern und Anbietern von Heimtextilien sowie dem Einzelhandel mit Fahrrädern, der laut IFH durch die Corona-bedingten Beschränkungen des Shutdowns sogar ein kräftiges zusätzliches Umsatzwachstum verzeichnen konnten.

In der Phase des Shutdowns von Mitte März bis Mitte April konnten 19 der 22 von der IPH gemanagten Shopping-Center über die Nahversorger in ihrem Branchenmix zumindest eine Grundfrequenz von 15 bis 25% generieren. Nach den ersten Lockerungsmaßnahmen ab dem 20. April haben sich die Frequenzen laut Stumpf mit den ersten erlaubten Öffnungen von Nonfood-Händlern mit bis zu 800 qm Verkaufsfläche bis Anfang Mai relativ schnell auf ein Niveau von minus 40% gegenüber dem Vorjahreszeitraum eingependelt, die Verbesserung auf minus 30% im Zuge weiterer Lockerungsmaßnahmen wie die Aufhebung der Verkaufsflächenbegrenzung im Nonfood-Handel, sei aber eher zäh verlaufen.

Da die Umsatzleistung laut Stumpf sehr stark mit der Frequenz korreliert, hätten die Erlöse der Mieter – allerdings mit den oben aufgezeigten sehr großen Schwankungen zwischen den einzelnen Branchen und Konzepten – Ende Juni noch etwa 25 bis 35% unter dem Vorjahresniveau gelegen. Allerdings beobachtet der Geschäftsführer, dass die „Konversionsrate“ etwas höher als üblich ist, da sich unter den Kunden, die ein Shopping-Center aufsuchen, ein höherer Anteil an Zielkäufern befindet. Oder anders ausgedrückt: Es kommen primär die Kunden, die gezielt einkaufen wollen. Einkaufsbummel sind derzeit weniger angesagt.

Diesen Trend beobachtet auch der Mode-Anbieter Gerry Weber. Merkliche Besserungen verzeichnete die IPH dann ab Mitte Juli, als immer mehr erlaubt wurde. „Aktuell liegt das Minus über alle IPH-Center-Standorte bei 15 bis 20%“, berichtet Stumpf.

Die „Konversionsrate“ ist höher als früher

Ganz generell zeigt sich bei Einkaufszentren, „dass Center, die in der Vergangenheit ihre Positionierung als Grundversorger schärfen konnten, in der Krise sehr viel besser aufgestellt sind“, hatten BBE und IPH bereits in ihrem Whitepaper „Quo vadis Einzelhandel im Corona-Zeitalter“ festgestellt: „Ein starker Lebensmittel- und Drogerieanker, der für eine enge Verzahnung ins Umfeld sorgt, wirkt vielerorts als eine Art „Lebensversicherung“ der Immobilie.“ Solche Center könnten aus Sicht der Experten 2020 mit Umsatzverlusten von -13 bis -18% „davonkommen“, bei Einkaufszentren mit starker Ausrichtung auf das Textilsegment könnte der Umsatzrückgang bei -20 bis - 25% liegen. Unabhängig vom Anker erwarten die Experten für 2021 aber starke Aufholeffekte.

Laut Stumpf liegen Shopping-Center „mit hohem Ziel- bzw. Bedarfskaufkunden bereits wieder nahe an ihrem Vorjahresumsatz, anders als Einkaufszentren, die eher den Erlebnis- und Spontankaufkunden adressieren. Dabei spielt die Größe der Stadt, in der sich das Center befindet, eine geringere Rolle als der Branchenmix und die anvisierte Zielgruppe. „Dort, wo aktuell viele Touristen vorzufinden sind wie in Rostock wird die Frequenz des Vorjahres sogar übertroffen“, berichtet Stumpf: „Dort, wo sich üblicherweise viele ausländische Touristen oder Besucher von Großveranstaltungen wie Opern, Sportwettbewerbe oder Konzerte unter den Zielgruppen befinden wie z.B. in der Innenstadt von Hamburg, liegt die Frequenz noch deutlich unter dem Vorjahr.“

Mit Blick auf die lange Liste der Insolvenz- und Schutzschirmverfahren im Mode-Einzelhandel und die Frage, wie viele dieser Unternehmen die Sanierungsphase mit Erfolg abschließen können, schätzt der BBE-IPH-Geschäftsführer, „dass es zu einer signifikanten Schrumpfung kommen wird, da diejenigen, die überleben, mit einem deutlich kleineren Filialnetz auskommen müssen“. Die Phase des Lockdowns und die damit verbundenen Umsatzrückgänge hätten doch mehr als deutlich offenbart, „welche Filialen schon über Jahre für sich allein betrachtet defizitär waren und nur durch ihren Beitrag zum Overhead „mitgeschleppt“ wurden“. Diese Rechnung funktioniere nun nicht mehr.

Starke Aufholeffekte im Jahr 2021 erwartet

Da diePandemie den Strukturwandel beschleunigt, wie etwa auch der Blick auf die Verringerung der Warenhausstandorte zeigt, von denen viele schon seit Jahren zu kämpfen haben, und seit die sinkende Frequenz den Bedeutungsverlust vieler Innenstädte dokumentiert, sieht sich laut Stumpf nun auch die Politik gefordert. So signalisierte etwa Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Hilfe für die Cities. Dabei geht es um vielfältige Maßnahmen für die Aufenthaltsqualität, die städtebauliche Struktur, die Förderung der Funktionsvielfalt, wobei der Einzelhandel die zentrale Nutzung bleiben sollte, die aber durch andere Angebote sinnvoll ergänzt wird.

Weitere Themen sind die Aktualisierung von Einzelhandelskonzepten, die digitale Bindung der Kunden, ein modernes Stadtmarketing und die Integration der Akteure aus Kommune, Gewerbe und Immobilienwirtschaft, denn die Probleme können nur gemeinsam gelöst werden. An der Vielfalt der notwendigen Maßnahmen sieht man laut Stumpf, wie schwer es sein wird, gezielt zu fördern. Es geht um finanzielle genauso wie personelle Ressourcen für das Management vor Ort.