Handelsimmobilien Gipfel kompakt

Die Innenstädte laufen nicht von alleine

In den Innenstädten wird sich viel ändern. Foto: R. Vierbuchen

In Deutschlands Innenstädten ist – beschleunigt durch die Pandemie – viel im Fluss und neben dem innerstädtischen Einzelhandel stehen die Eigentümer der Handelsimmobilien vor großen Herausforderungen. Denn der Shutdown wird bei Einzelhandelsflächen, Immobilienpreisen und Mieten deutliche Spuren hinterlassen und viele Eigentümer gehen davon aus, dass sie für die Neupositionierung ihrer Objekte fünf bis zehn Jahre brauchen werden.

Allein 2020 war nach den Worten von Manuel Jahn, Head of Business Development bei der Habona Invest GmbH, den stationären Nahversorgern ein Umsatzvolumen von etwa 20 Mrd. Euro zugeflossen, während 33 Mrd. Euro aus dem innerstädtischen Einzelhandel abgeflossen seien, wie er beim Online-Webinar zum Handelsimmobilien-Gipfel kompakt darlegte. Nach Jahns Erfahrung muss der Einzelhandel heute nah bei den Menschen sein, um zu funktionieren.

Das zeigte sich besonders deutlich in der Corona-Pandemie mit ihren Zwangsschließungen im innerstädtischen Einzelhandel, während der Lebensmittelhandel und die Drogeriemärkte in den Randlagen weiter öffnen dürfen. Doch während insbesondere in den Innenstadtlagen der Großstädte selbst die wenigen geöffneten Nahversorger nicht die Frequenz sicherstellen können, sind die Stadtteilzentren relativ belebt.

Dieser Trend wurde schon vor Ausbruch der Pandemie durch die Zeitknappheit verstärkt, die viele Berufstätige seit Jahren plagt. Hinzu kommt aktuell die Arbeit vieler Berufstätiger im Homeoffice, so dass in den Innenstadtlagen die Käufer fehlen, die nach Dienstschluss auf dem Weg nach Hause schnell noch ihre Besorgungen erledigen. Das Geld geben sie jetzt im Einzelhandel an ihrem Wohnort aus. Das gilt auch für die vielen Besucher aus dem Umland, Messebesucher und Touristen, die in normalen Zeiten zum Shopping in die Großstädte kommen.

Das „New Normal“, über das gerade in der aktuellen Krisenzeit viel diskutiert wird, ist laut Jahn schon längst da. Die Wertmaßstäbe der Konsumenten haben sich in den vergangenen zehn Jahren und verstärkt durch Corona verändert: Weniger Reisen, Events, Erlebnis und Ich-Bezogenheit und dafür mehr Gemeinschaft und Zugehörigkeit, Ökologisches Gewissen und Gesundheit. Bei Büroimmobilien zählt für die Nutzer heute weniger die Top-Lage als vielmehr, ob Tageslicht in die Büroräume fällt. Stichwort: Wohlfühlatmosphäre. Bei Shopping-Centern kann sich für viele die Frage stellen, ob der Weg dahin zu weit ist. Die Einkaufswege werden immer kürzer.

Und den Trend zu mehr Qualität bei Lebensmitteln, für die der Verbraucher inzwischen bereit ist, mehr Geld auszugeben, haben Deutschlands Lebensmittelhändler bereits vor über zehn Jahren aufgegriffen und so ihr Umsatzwachstum gesteigert. Das ist bei vielen Innstadthändlern etwa im Mode-Bereich mit ihrem Fast-Fashion-Angebot aus Fernost schwerer umzusetzen. Hier zwingt das Überangebot immer wieder zu Preisnachlässen, zumal der Online-Handel für Preistransparenz sorgt.

Die Handelsimmobilienbranche denkt langfristig und in Steinen

Um sich auf diese neuen Trends im Einzelhandel einzustellen, veranschlagt die Handelsimmobilien-Branche, die langfristig und in Steinen denkt, einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren, wie Jahn berichtet. In den Großstädten habe man die Gestaltung der Innenstädte in der Vergangenheit den Eigentümern überlassen, heute sei es wichtig, in städtebauliche Konzepte zu investieren. Die Gestaltung einer Stadt muss laut Jahn gesteuert werden, denn die Innenstädte laufen nicht von alleine.

Das gilt vor allem in der aktuellen Situation nach den Verwerfungen im innerstädtischen Einzelhandel durch die Zwangsschließungen, wie Mona Neubauer, NRW-Landesvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen, zu bedenken gibt. Man dürfe jetzt nicht abwarten, bis der Einzelhandel wieder von selbst anspringt, gab sie in ihrem Vortrag „Umbau Innenstadt – Perspektiven nach dem Lockdown“ zu bedenken. Die Politik muss aus ihrer Sicht ihre Hausaufgaben machen und den Kommunen bei der Neugestaltung ihrer Innenstädte helfen, wobei sie die Einrichtung eines Innenstadt-Fonds für sinnvoll hält.

Dabei gilt es auch die Fehlentwicklungen aus den früheren Jahren wie die Monotonie und die Beliebigkeit vieler Cities durch die immer gleichen Filialisten auszugleichen, die kaum noch Einkaufserlebnis bieten. „Man hat vielleicht zu lange zugeschaut“, räumt Neubauer ein. Aus ihrer Sicht ist es notwendig, Milliarden in die Cities zu investieren und dabei auch auf das zu schauen, was die Bürger eigentlich wollten und die Städte mit ihnen zu gestalten, nicht gegen sie.

Jetzt gilt es aus Sicht der Politikerin, die Gelegenheit zu nutzen und die Akteure zusammen zu bringen, um ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten. Dabei muss auch das Thema Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen, denn viele Städte seien so gebaut, dass sie sich im Sommer viel zu sehr aufheizen und die Menschen an heißen Tagen wegbleiben. Wichtig ist für Neubauer dabei eine langfristige Strategie, bei der das klassische Modell der Immobilienwirtschaft, eine „Rendite de Luxe“ zu erzielen, in den Hintergrund tritt.

In seinem Vortrag „Visitenkarte der Quartiere: Ansätze für das Comeback der Erdgeschosse“ befasste sich Michael Ehret, geschäftsführender Gesellschafter der Ehret + Klein GmbH, mit den Details einer attraktiven Innenstadtgestaltung. Die beginnt nach seinen Worten bei der Gestaltung des öffentlichen Raums, der vor allem lokales Flair ausstrahlen sollte. In diesem Punkt ist in vielen Städten zweifellos noch Luft nach oben.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Gestaltung der Erdgeschosse als Visitenkarten von Quartieren, die laut Ehret mehr zu Wohnräumen werden müssen. Wichtig seien auch kreative Zwischennutzungen, um für Abwechselung zu sorgen: „Sie müssen sich schnell verändern können“. Und auch Kunst und Kultur sollte in den Innenstädten wieder mehr Raum finden, um die Cities mehr zu beleben.

Welche Rolle spielt der Lebensmittelhandel in der City?

Bleibt schließlich noch die Frage, welche Rolle der Lebensmittelhandel, der bislang von der Pandemie eher profitiert hat, beim Thema Innenstadtgestaltung spielen kann. Mit dem Thema, ob die Branche gar als „Retter der Innenstadt fungieren kann“, setzte sich Angelus Bernreuther, Leiter des Bereichs institutionelle Investoren und Immobilienwirtschaft bei der Kaufland Stiftung & Co KG, auseinander. Dabei ist nach seiner Beobachtung klar, dass sich die Innenstädte wieder mehr für den Lebensmittelhandel öffnen, nachdem die Branche in den 1970er-Jahren in die großflächigen Märkte am Stadtrand gezogen war.

Zwei Aspekte spielen laut Bernreuther bei der Rückkehr in die City-Lagen aber eine Rolle. Zum einen kann der Lebensmittelhandel diese Standorte nicht allein beleben. Dazu gehören noch andere Anbieter wie etwa Gastronomie und vieles mehr. Das hängt vom Standort ab. Zum andern brauchen Lebensmittelhändler – vor allem die größeren Formate – Grundvoraussetzungen wie etwa die richtige Grundstücksgröße (ca. 6 000 qm bei Kaufland), ein großes Einzugsgebiet (25 000 Menschen), genügend Parkplätze, um den Großeinkauf abzutransportieren und eine Stadt mit mindestens 10 000 Einwohnern und mindestens 2 500 qm Verkaufsfläche. Aus heutiger Sicht ist Bernreuther sicher, dass der Lebensmittelhandel eine größere Rolle in den Innenstädten spielen wird – je kleiner der Ort, umso größer die Rolle.

In der Diskussionsrunde „Innenstadt wieder beleben – Ladensterben verhindern“ präsentierten Annerose Kiesel, Vorstand des Verbands Sales keep local und die Einzelhändlerin Heidi Houy, das Gutschein-Projekt der Stadt Saarlouis, das darauf abzielt, die Kaufkraft bei den Einzelhändlern in der Region zu halten. Gloria Göllmann, Geschäftsführerin der ISG Immobilien- und Standortgemeinschaft von Solingen-Oligs, wies darauf hin, wie wichtig bei der Problembewältigung vor Ort wie beim Leerstandsmanagement ein Quartiersmanagement ist, das sich um die Akteure vor Ort kümmert und sie einbezieht.

Christian Krömer, geschäftsführender Gesellschafter der Spielwaren Krömer GmbH, beklagte, dass der Nonfood-Handel im Rahmen der Zwangsmaßnahmen wesentlich strenger behandelt werde – beispielsweise bei der Testpflicht – als große Lebensmittelmärkte, die weiter alles verkaufen dürften, während der Fachhandel dicht sei. Mit Blick auf die geplante Veränderung des Infektionsschutzgesetzes richtete er an die Politiker die Frage, ob das der richtige Weg sei?