rv DÜSSELDORF. Knapp zwei Jahre nach der abrupten Zinswende im Sommer 2022, an die nach der langen Niedrigzinsphase bis zuletzt viele nicht glauben wollten, ist die weitere Entwicklung in der deutschen Immobilienwirtschaft noch immer mit vielen Fragezeichen versehen. Das schleppende Transaktionsgeschehen zeigt, dass sich die Preisfindungsphase hinzieht. Vor diesem Hintergrund hat die Berlin Hyp für ihr „Trendbarometer April 2024“ über 200 Immobilienprofis zu den aktuellen „Chancen und Risiken“ befragt.
Angesichts der zahlreichen Insolvenzen und der Tatsache, dass die für 2024 ersehnte Zinssenkung bislang auf sich warten lässt, während gleichzeitig die Inflationsrate spürbar gesunken ist, das Wachstumschancengesetz endlich durchgebracht wurde und sich auch der eine oder andere Deal wieder in der Pipeline befindet, hat der Immobilienfinanzierer Berlin Hyp die Umfrageteilnehmer für das Trendbarometer April 2024 gefragt, wie sie die Entwicklung der Immobilienbranche im weiteren Jahresverlauf bewerten. Die Antwort fiel dabei ziemlich eindeutig aus. Die überwiegende Mehrheit (71%) ist überzeugt: „Wir werden noch einen langen Atem brauchen, denn die Durststrecke ist noch nicht vorbei.“
Und eine kleine Gruppe von 8% sieht noch keinen Anlass für Optimismus, weil sich die Krise aus ihrer Sicht noch weiter verschärfen wird. Die Gruppe von Optimisten (21%), die inzwischen glaubt, dass die Talsohle durchschritten ist und es jetzt langsam bergauf geht, ist vor diesem Hintergrund in der Minderheit. Auch viele andere Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Marktakteure vor allem auf die sinkenden Inflationsraten in Deutschland und Europa blickt, in der Hoffnung, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit Zinssenkungen möglichst die alten Niedrigzins-Verhältnisse wieder herstellt.
Deshalb – und mit Blick auf die Herausforderungen für die Branche wie die energetische Transformation – lautete die zweite zentrale Frage, ob die Immobilienwirtschaft genügend Veränderungsbereitschaft zeigt. Hier schätzt die Mehrheit (53%) der Immobilienprofis die Veränderungsbereitschaft als „eher niedrig“ ein, 42% beurteilen sie als „eher hoch“. Diese Gewichtung korrespondiert mit den vielen Einschätzungen in der Immobilien- und Bankenbranche, dass die EZB in diesem Jahr gleich mehrere Zinssenkungen plant und damit den Markt stützen wird.
Dagegen sind die Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Zinsen auf unabsehbare Zeit hoch bleiben werden und sich der Markt darauf einstellen muss – das heißt auch mit Preisanpassungen – in der Minderheit. Das spiegelt auch die zähe Preisfindungsphase in Deutschland wider. Vor allem im Wohnungsmarkt spielen viele auf Zeit und setzen darauf, dass die steigenden Mieten die hohen Bewertungen langfristig stützen werden. Im Handelsimmobilien-Segment haben sich im Zuge des Strukturwandels der vergangenen Jahre dagegen schon viele Preise angepasst, andere Branchen wie der Lebensmittelhandel sind sogar recht konjunkturresistent.
Auf die Frage, wo die Immobilienprofis in der aktuellen Konjunkturlage noch Chancen für die Branche sehen, benennt die Mehrheit (65%), dass auf Grund der Flaute Bau- und Handwerksfirmen wieder mehr freie Kapazitäten haben. Dass ein stärkerer Fokus auf mehr Qualität bei den Objekten gelegt wird, sehen 40% als Chance und 35%, dass die energetische Transformation vorangetrieben wird.
Auch nach ihrer Einschätzung über die Risiken, die in der aktuellen Lage unterschätzt bzw. vernachlässigt werden, wurden die Immobilienprofis befragt (siehe Grafik). Hier nennt die Mehrheit mit 61% den Fachkräftemangel durch Abwanderung und Demografie, vor einem zu langsamen Ausbau der Infrastruktur im Bereich erneuerbare Energien (52%), den Refinanzierungsrisiken und Eigenkapitallücken (51%) sowie den Beschäftigungsverlust in der Baubranche mit 42%.
Als Gegenmaßnahme um den Fachkräftemangel zu kompensieren, nannte genau die Hälfte der Befragten die Beschleunigung der Digitalisierungsprozesse. Weniger eindeutig fielen laut Trendbarometer die Antworten auf die Frage aus, wie Menschen für die Branche gewonnen und gehalten werden können. Mehr „Angebote für ältere Beschäftigte“ können sich 44% der Befragten vorstellen und Weiterbildung für die Mitarbeiter 46%.
Nicht fehlen durfte bei der Befragung das sehr zentrale Thema Wohnungsmangel in den großen Städten und Metropolen und die wichtige Frage, wie das Problem aus Sicht der Immobilienprofis gelöst werden kann – zumal der Wohnungsneubau seit der Zinswende laut Trendbarometer in einer „grundsätzlichen Krise“ steckt. Um den Mangel zu beheben, fordert mit 73% die überwiegende Mehrheit vor allem den Abbau der Bürokratie in Deutschland. In eine ähnliche Richtung geht auch die Forderung nach weniger baulichen Auflagen, auf die 59% der Nennungen entfiel. Auch die Fokussierung auf mehr serielles und modulares Bauen (47%) ist angesichts der drastisch gestiegenen Baukosten für viele ein probates Mittel.
Eine weitere Maßnahme gegen den Wohnraummangel sieht die Immobilienwirtschaft in der Transformation der Innenstädte, indem leer stehende Büros und Einzelhandelsflächen in Wohnungen umgebaut werden. Hier sehen 92% der Befragten die Umwandlung von Büroflächen, die sich zum Teil in prominenten Lagen befinden, als sinnvolle Maßnahme. 61% der Nennungen entfielen auf die „Nachnutzung großer Ladenflächen“. Für die „Nachverdichtung für mehr Wohnraum“ sprachen sich 49% der Befragen aus und für eine „angepasste Infrastruktur“ 48%.
Der Nachteil ist hierzulande allerdings, dass vor allem die Umnutzung von Büros zu Wohnimmobilien mit vielen Auflagen und erheblichen Kosten verbunden ist. Dadurch entsteht unter dem Strich vor allem teurer Wohnraum, an dem eher kein Mangel besteht. „Hier könnte sich der Blick ins europäische Ausland lohnen, wo dieses Potenzial bereits intensiver ausgeschöpft wird“, heißt es dazu: „Jedoch kann dies nur ein Baustein auf dem Weg zu einer Linderung der Wohnungsnot sein.“