rv DÜSSELDORF: Auch mehr als ein Jahr nach der abrupten Zinswende im Juli 2022 ist die Unsicherheit in den europäischen Immobilienmärkten groß. Das zeigt auch der Blick auf die Ergebnisse der Studie Emerging Trends in Real Estate Europe von PwC und Urban Land Institute (ULI), wonach 75% der 1 089 befragten europäischen Führungskräfte glauben, dass die aktuellen Immobilienbewertungen immer noch nicht alle Herausforderungen und Chancen im Markt widerspiegeln. Der Abstand zwischen den Preisvorstellungen von Käufern und Verkäufern ist groß.
Der deutliche Einbruch bei den Transaktionsvolumina um etwa die Hälfte ist ein anschaulicher Beleg für die Zurückhaltung der Marktakteure, wie Thomas Veith, u.a. Head of Real Estate beim Beratungsunternehmen PwC Deutschland bei Vorstellung der Studie darlegte. Abgerundet wird das aktuelle Bild der europäischen Immobilienmärkte noch von der Sorge der Marktakteure, dass sie in der nächsten Zeit auch noch mit schwächeren Vermietungsmärkten konfrontiert werden könnten. Das gilt sicherlich in den innerstädtischen Einkaufslagen, wo die stationären Händler noch mit den finanziellen Folgen der Zwangsschließungen kämpfen, und in vielen Büromärkten hinterlassen die Ausweitung von Homeoffice und die wachsenden Ansprüche an Energieeffizienz Spuren. Selbst im Logistikimmobilienmarkt macht sich etwa die schwächere Nachfrage im eCommerce bemerkbar.
In diesem Umfeld, in dem vor allem Deutschland und Großbritannien Schwächen zeigen, stellt sich nach den Worten von Sabine Georgi, Geschäftsführerin des Urban Land Institute (ULI) Deutschland/Österreich/Schweiz die Frage, ob der deutsche Immobilienmarkt seinen jahrelangen Nimbus als „sicherer Hafen“ halten kann. In der Rangliste der für Investoren und Entwickler attraktivsten europäischen Städte sind deutsche Metropolen gemäß der Studie „Emerging Trends in Real Estate Europe“ von PwC und ULI abgerutscht. Hinter London (1), Paris (2), Madrid (3) folgt Berlin nun erst auf Platz 4, München auf 7 und Frankfurt/Main auf 9. Darin spiegelt sich laut Georgi die Performance des gesamten Landes wider.
Kurzum: In dieser europaweit unsicheren Gemengelage befürchten viele der befragten Immobilienexperten derzeit, in ein fallendes Messer zu greifen. Es darf ja auch nicht vergessen werden, dass die Immobilienpreise im Rahmen eines mehr als zehn Jahre währenden Booms nicht selten Höhen erreicht haben, die über den Fundamentaldaten des Marktes liegen. So wie die Deutsche Bundesbank vor einigen Monaten darauf hinwies, dass die Preise für Wohnimmobilien in den angespannten Märkten der Großstädte auch nach den ersten Wertkorrekturen noch um 40% über den Fundamentaldaten des Marktes liegen würden.
Des Weiteren brennen den Markteuren die veränderten Finanzierungsbedingungen bei neuen Projekten wie auch bei der Refinanzierung unter den Nägeln. Laut Georgi rechnen 45% der in der Studie von PwC und ULI Befragten im Jahr 2024 damit, dass weniger Finanzierungsmittel zur Verfügung stehen werden. Vor allem der Anteil der Marktakteure, die sich Sorgen um ihre Refinanzierung machen ist nach Georgis Worten von 30% im Jahr 2022 über 53% in diesem Jahr auf 65% im kommenden Jahr gestiegen. Die aktuelle Stimmungslage gibt das Zitat eines Experten treffend wieder, der darauf hinweist, dass sich die Kapitalmärkte derzeit in einem Umwandlungsprozess befinden, der nur unwesentlich weniger krass ist, wie während der globalen Finanzkrise und so wie es aussehe, habe die Branche gerade die Hälfte des Weges hinter sich.
Veränderte Finanzierungsbedingungen belasten
Und Harald Heim, u.a. German Head of Real Estate Deals & Construction PwC, ergänzt: „Wir gehen davon aus, dass die Verfügbarkeit von Fremd- und Eigenkapital in den kommenden Jahren deutlich eingeschränkt sein wird und zeitgleich erhebliches Kapital für Refinanzierungen und die Transformation von Immobilien benötigt wird.“ Hierbei spielen die Top-Themen Klimawandel und Transformation von Bestandsimmobilien sowie der Bau neuer Objekte nach den ESG-Kriterien eine Rolle, wodurch ein erheblicher Finanzierungsbedarf entsteht. Laut Studie sind vier Fünftel der Befragten der Ansicht, dass die ESG-Kriterien in den nächsten 12 bis 18 Monaten große Auswirkungen auf die Bewertung der Immobilien haben werden. Bis 2050 könnten sie den größten Einfluss haben.
Laut Heim wird sich dieser Effekt der Kapitalknappheit insbesondere im Bereich der institutionellen Immobilienallokation zeigen, da konkurrierende Anlagen wie Rentenpapiere deutlich an Attraktivität gewonnen haben. „Bei so viel Unsicherheit sind Immobilieninvestoren vorsichtiger denn je, wie und wo sie ihr Kapital in Europa anlegen“, lautet die Quintessenz der Studie. Dabei schneidet der deutsche Markt nicht so günstig ab, wie schon das Abrutschen der deutschen Städte andeutet. So sieht Oxford Economics die deutschen Städte vor einem stagnierenden Wirtschaftswachstum mit einem durchschnittlichen realen Plus von 0,1% in diesem Jahr.
Als Manko sehen einige Interviewpartner auch, dass sich die Immobilienpreise hierzulande bislang langsamer angepasst haben als in den meisten anderen europäischen Ländern. Und auch die Stimmung der Investoren und Entwickler gehört zu den schlechtesten in Europa, auch wenn es immer noch Investitionsmöglichkeiten gibt. Die hohen Zinsen, der Krieg in der Ukraine, die (bislang) gestiegenen Baukosten und die Sorge um die Energieknappheit machen den Marktakteuren zu schaffen.
Laut Befragung wird zudem erwartet, dass hierzulande notleidende Vermögenswerte auf den Markt kommen und die Verfügbarkeit von Eigenkapital zurückgehen wird. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Beleihungsquote hier inzwischen von 60% auf 50% sinkt und Immobilien mit geringer Energieeffizienz ein höheres Risiko für den Cashflow darstellen, könnte es für diese Objekte ohne ausreichendes Eigenkapital kurzfristig keine Finanzierung geben. Bis sich der Markt wieder stabilisiert, dürfte es also noch geraume Zeit dauern.