rv DÜSSELDORF. Mit der Zinswende Mitte 2022 wurden die Karten im europäischen Immobilienmarkt ganz neu gemischt. Zum einen, was die Bewertung der Immobilien anbelangt und zum andern, was die Refinanzierung von Assets angeht, die in der Niedrigzinsphase teilweise zu Preisen erworben wurden, die bei normalen Zinsniveaus nicht gezahlt worden wären. Vor diesem Hintergrund blicken die Marktakteure auf das derzeit drängende Problem: die Refinanzierung der zum Teil sehr teuer erworbenen Objekte bei deutlich höheren Zinsen.
Bereits bei der Expo Real 2023 in München diskutierten Experten darüber, dass sich die Immobilienbewerter bei ihren Gutachten mehr oder weniger im luftleeren Raum bewegen, weil sich Käufer und Verkäufer nur selten auf einen Preis einigen können, so dass es mangels Transaktionen im Gewerbeimmobilienmarkt kaum Vergleichswerte gibt. Zwar zeichnet sich inzwischen ab, auf welchem Niveau sich die Marktzinsen einpendeln, doch liegen in den meisten Fällen die Preisvorstellungen von Verkäufern und Käufern immer noch weit auseinander. Klar ist aber, dass die Immobilienwerte in der Regel bereits nachgegeben haben.
So berichteten Experten im vergangenen Jahr auf der Expo Real, dass Finanzierer bei Anschlussfinanzierungen vielfach nur noch 80% statt 100% der Summe verlängern würden, so dass der Investor 20% Eigenkapital zuschießen muss. Für den gesamten deutschen gewerblichen Investmentmarkt summiert sich die Refinanzierungslücke im Zeitraum von 2024 bis 2028 nach der Berechnung von Prof. Felix Schindler (Foto: HIH), Head of Research & Strategy der HIH Invest sowie Professor u.a. für Finanzwirtschaft an der Steinbeis Hochschule auf ungefähr 20 Mrd. Euro, wobei der Höhepunkt im Jahr 2026 erreicht wird, wie er bei einem Online-Panel darlegte.
Welche Auswirkungen diese individuellen und gesamtwirtschaftlichen Refinanzierungslücken haben und wie Kreditnehmer und Kreditgeber damit umgehen, diskutierte Prof. Schindler im Rahmen des Panels mit Ingo Glaeser, Leiter Gewerbliche Immobilienkunden Deutschland bei der Münchener Hypothekenbank, mit Francesco Fedele, CEO der BF. direkt AG sowie mit Torsten Hollstein, Geschäftsführer von CR Investment Management. Dabei erläuterte Schindler anhand eines Rechenbeispiels, wie sich diese veränderten Finanzierungsbedingungen für den einzelnen Kreditnehmer auswirken.
Als Beispiel dient ihm ein solventer Bestandshalter, der 2020 eine Büroimmobilie im Wert von 100 Mio. Euro mit 65% Beleihungsauslauf finanziert hat – also zu einem Bankkredit von 65 Mio. Euro. „Würde er dieselbe Büroimmobilie heute finanzieren, wäre sie nach einer angenommenen Preiskorrektur von 20% nur noch 80 Mio. Euro wert“, so der Experte: „ Akzeptiert die Bank dann auch nur noch 55% LTV (Loan to Value), erhält der Bestandshalter nicht mehr 65 Mio. Euro, sondern nur noch einen Bankkredit über 44 Mio. Euro“. Entsprechend müsse der Bestandshalter für die Differenz von 21 Mio. Euro zusätzliches Eigenkapital aufbringen. Nach Schindlers Berechnung geht es bis 2029 um die Refinanzierung von gut 170 Mrd. Euro.
Gefahr einer Eigenkapital-Klemme
Vor diesem Hintergrund könnte eine spürbare Eigenkapital-Klemme entstehen. Und abgesehen davon, dass Eigenkapital knapp ist, wie Schindler anmerkt, sinkt durch das Nachschießen auch die Eigenkapitalrendite weiter ab. Erschwert wird die Lage, wenn der Bestandshalter oder der Mieter über keine gute Bonität verfügen, die Immobilie technisch veraltet ist, was angesichts der zuletzt stark wachsenden energetischen Anforderungen schnell passieren kann, oder wenn die Lage nicht günstig ist, dann verschlechtern sich die Chancen für eine Anschlussfinanzierung weiter. „Im schlimmsten Fall bekommt der Bestandshalter Zahlungsschwierigkeiten oder wird sogar insolvent“, zeigt der Professor den „Worst Case“ auf.
Weiter erschwert wird die Refinanzierung derzeit dadurch, dass sich die Finanzierungskosten etwa verdreifacht bis vervierfacht haben. „Für Core-Objekte werden aktuell 3,5 bis 4,0% Zinsen bei einer Refinanzierung fällig, für Non-Core eher 4,5 bis 5,0%“, zählt er weiter auf. Bei den heutigen Finanzierungskosten reichen häufig die Mieteinnahmen nicht mal mehr aus, um die Fremdkapitalkosten zu decken. Das heißt: Die ursprüngliche Kalkulation beim Kauf des Objekts wird durch die neue Realität an den Kapitalmärkten und bei den Zinsen konterkariert. Und Schindler geht davon aus, dass sich die Zinsumgebung in nächster Zeit auch nicht wesentlich verbessern wird. Denn von der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet er gegenwärtig nur kleine Zinsschritte nach unten, wie sich in der jüngsten Sitzung am 12. September nach der Senkung des Einlagensatzes von 3,75 auf 3,5% gezeigt hat: „Auch die langfristigen Swap-Sätze werden eher stabil bleiben und nicht stark sinken“, erwartet er.
Wenn sich Schwierigkeiten abzeichnen, sollten Immobilienunternehmen frühzeitig auf die Finanzierer zugehen, rät Ingo Glaeser (Foto links: Münchener Hypothekenbank). in dieser Situation. Konkret empfiehlt Francesco Fedele (Foto unten rechts: BF.direkt) den Kreditnehmern, mindestens ein Jahr im Voraus aktiv zu werden, denn die Kreditprüfungen beanspruchen sehr viel Zeit. Erschwert werden kann die Refinanzierung nach seiner Erfahrung auch dadurch, dass viele Banken Kredite bestimmter Nutzungsarten, meist Büroimmobilien, in ihren Beständen haben und die bevorstehende Refinanzierung als Chance nutzen, sich davon zu trennen.
Das von den Kreditinstituten heute wegen der gesunkenen Beleihungsausläufe und der Immobilienwerte verlangte frische Eigenkapital kommt oft nicht aus der ursprünglichen Quelle, wie die Diskussionsrunde berichtet, sondern von externen Eigenkapitalgebern wie Private-Equity-Fonds oder Joint-Venture-Partnern. Betrifft die Refinanzierung einen Fonds, dann legen nicht selten die bestehenden institutionellen Investoren Eigenkapital nach. Wie Professor Schindler weiter beobachtet, kommt es bisweilen auch vor, dass Kapital, das für Ausschüttungen geplant war, einbehalten wird, um das Eigenkapital aufzustocken.
Es ist viel Geld aus Europa abgeflossen
Dabei müssen sich laut Torsten Hollstein (Foto: CR Investment Management) Institutionelle oder Private-Equity-Fonds für diese Aufstockungen genauso rechtfertigen, wie wenn es sich um ein neues Investment handelt. Anders als während der Finanzkrise 2008/2009 stehen nach seiner Beobachtung dieses Mal aber „eigenkapitalstarke Akteure an der Seitenlinie“, um in solchen Fällen ihr Geld anzulegen. Ein Problem ist allerdings, dass „aus Europa erheblich Geld abgeflossen ist, das nun nicht mehr für Refinanzierungen verfügbar ist“, wie Hollstein bedauert.
Von Vorteil für die betroffenen Bestandshalter ist aus Sicht der Experten, dass die Finanzierer wenig Interesse an Verwertungen haben. Vielmehr würden sie versuchen, andere Lösungen zu finden, so Hollstein weiter: „Im günstigsten Fall erreicht der Gläubiger eine Stillhaltevereinbarung mit der Bank und bietet dann eine Lösung an. Im schlechtesten Fall wird der Kredit abgewickelt.“ Dass gegenwärtig aber wenig passiert, ist für Fedele ein Zeichen dafür, dass die Parteien im Dialog sind. Wie er weiter berichtet, bereitet sich der Markt gleichzeitig auf Loan-Verkäufe vor, da die Kreditgeber Kapazitäten für Neugeschäft schaffen wollten.
Bei der Frage, ob womöglich eine Distressed-Asset-Welle auf die Immobilienbranche zurollt, weil immer mehr Anschlussfinanzierungen scheitern, erwartet Glaeser „nicht so starke Ausschläge wie in den USA, dafür flacher und länger anhaltend“. Und auch Hollstein rechnet nicht mit „hawaiianischen Superwellen, sondern eher mit Sylter Nordseewellen: klein, schnell und heimtückisch“. Die Problematik werde Deutschland noch länger erhalten bleiben. Auch Fedele stellt sich auf einen längeren Prozess ein. Außerdem sei auch die Insolvenzwelle bei Projektentwicklern noch nicht zu Ende.