ZIA-Frühjahrsgutachten 2021

Der „Weltrekordlockdown“ muss endlich enden

Übergabe des Frühjahrsgutachten 2021. Foto: ZIA

Der harte Shutdown im Frühjahr 2020 und der „Lockdown light“ im Herbst haben deutliche Spuren in der deutschen Wirtschaft hinterlassen. In diesem Umfeld haben sich die verschiedenen Segmente der Immobilienwirtschaft in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt.

Während die deutsche Wirtschaft im Corona-Jahr 2020 mit einem Minus von real 4,9% so stark eingebrochen ist, wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr, wie Prof. Lars P. Feld von der Universität Freiburg, bei Analyse der gesamtwirtschaftlichen Lage im Frühjahrsgutachtens 2021 des Rats der Immobilienweisen darlegte, zeigt der deutsche Immobilienmarkt ein heterogenes Bild, in dem es klare Verlierer gibt und Krisengewinner, wie der Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Andreas Mattner, bei Vorstellung des Gutachtens feststellte.

In diesem Umfeld zeigt sich der Wohnimmobilienmarkt bislang ziemlich unbeeindruckt von den Verwerfungen, die in einigen Wirtschaftszweigen mit den Zwangsmaßnahmen zur Pandemiebekämpfung einhergehen. Gerade junge Menschen zieht es weiterhin in die Städte, weshalb Mattner mit Blick auf die Knappheit von Wohnraum und den damit verbundenen Preisanstieg für den Bau neuer Wohnungen plädiert, statt den Markt über Regulierungen zu steuern.

Demgegenüber sind Wirtschaftsimmobilien – abgesehen von Logistikimmobilien, die auch vom Online-Handel profitieren – laut Feld von der Corona-Krise stark betroffen, so dass sich die Mieten und Preise kurzfristig kaum noch so stark entwickeln dürften wie in den Jahren zuvor. Bislang, so der Immobilienweise, würden Liquiditätssteigernde Hilfen die kurzfristigen Auswirkungen der Pandemie abfedern, „so dass sich noch kein erheblicher Rückgang der Miet- und Immobilienpreise bei Wirtschaftsimmobilien zeigte“. Zu Ausfällen bei Wirtschaftsimmobilienkrediten dürfte es aber durch Unternehmensinsolvenzen kommen.

Nach dem langen Shutdown von nunmehr siebeneinhalb Monaten in der Gastronomie und der Hotellerie und von sechs Monaten im stationären Nonfood-Handel wird es für viele Unternehmen allmählich eng - insbesondere im stationären Handel. Nachdem zum 30. April die Sonderregelung bei Insolvenzen ausgelaufen ist, könnte sich in den nächsten Wochen zeigen, wie viele Unternehmen in Insolvenz gehen. Aus Sicht von Feld wäre „ein Durchschlagen auf die Banken dann wahrscheinlicher“.

„Der Non Food-Handel ist der klare Krisenverlierer“, bestätigt ZIA-Präsident Mattner auch mit Blick auf die zum Teil nur schleppend fließenden staatlichen Hilfen für die Branche: Der „Weltrekordlockdown“ müsse endlich enden und eine vollständige Öffnungsperspektive aufgezeigt werden. Nur so könnten Insolvenzen noch verhindert werden, nachdem Handel, Hotels und Gastronomie in keinem anderen Land so großen Einschränkungen unterworfen waren wie in Deutschland.

Der Nonfood-Handel ist der „Krisenverlierer“

Allerdings spiegelt sich die aufgezeigte Heterogenität des deutschen Immobilienmarktes auch in der hiesigen Einzelhandelslandschaft wider. Denn trotz des ersten massiven Lockdowns im März und April wuchs der gesamte Einzelhandel im Jahr 2020 um 5,7% oder 31,2 Mrd. auf 577,4 Mrd. Euro, wie der Immobilienweise Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institutes und zusammen mit seinen Kollegen Autor des Einzelhandelsimmobilien-Kapitels im Gutachten, darlegte.

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass zum einen der Lebensmittelhandel als größte Branche weiterhin öffnen durfte und zum andern immer mehr Bundesbürger ihre Einkäufe ins Internet verlegt haben. Die diversen Untersuchungen des IFH Köln zu Beginn der Pandemie zeigen, dass die meisten zunächst zögerten, vermehrt online einzukaufen, diese Zurückhaltung aber später aufgaben. Ablesen lässt sich das an einem stark wachsenden Online-Handel, der im Vorjahr laut Gerling um 24,1% zulegen konnte. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Wachstumsrate lag in den vergangenen zehn Jahren bei 13,5%.

Dass auch der stationäre Einzelhandel noch um 3,9% oder 18,9 Mrd. Euro wachsen konnte, liegt aber in erster Linie am Lebensmittelhandel, den Drogerie- und Baumärkten, die während des ersten Shutdowns in vielen Bundesländern gleichfalls öffnen durften. In diesem Umfeld verzeichnete etwa der Modehandel einem Umsatzrückgang von 23,4% und im ersten Quartal 2021 liegt das Umsatzminus bei über 50%. Kauf- und Warenhäuser büßten im Vorjahr 12,8% an Umsatz ein.

„Trotz ausgesetzter Insolvenzanmeldepflicht und staatlicher Corona-Hilfen meldeten 2020 bereits etwa 3 300 Unternehmen Insolvenz an“, heißt es im Gutachten. Im Vor-Corona-Jahr 2019 unter normalen Bedingungen waren es 3 900 gewesen. „Unternehmen wie Galeria Karstadt Kaufhof, Esprit, Sinn, Bonita oder Hallhuber mussten teils in großem Umfang Läden schließen und ihr Filialnetz bereinigen“, heißt es weiter. Vor diesem Hintergrund erwartet EHI-Geschäftsführer Gerling, dass „2021 für den Einzelhandel schwieriger wird als das abgelaufene Jahr 2020. Die vom Lockdown betroffenen Bereiche der Branche haben ihre Reserven aufgebraucht und werden ohne staatliche Unterstützung nicht überleben“, mahnt er an die Adresse der Politik. Das gelte nicht nur für kleinere Unternehmen, sondern auch für Großunternehmen, die zunächst mit einer guten Finanzbasis in die Krise gegangen seien.

Zahlreiche Filialschließungen im Rahmen von Insolvenzen

Im Investmentmarkt für Retail Assets spiegelten sich diese aufziehenden Wolken der Pandemie dagegen noch nicht wider. Ein sehr guter Start ins erste Quartal 2020 mit einem Transaktionsvolumen von 4,6 Mrd. Euro durch die Verschiebung von Abschlüssen ins neue Jahr und das gut laufende Geschäft mit lebensmittelgeankerten Fachmarktimmobilien und Fachmarktzentren, die einen Anteil von 52% beisteuerten, ließen das Transaktionsvolumen im Vorjahr noch auf 12,3 Mrd. Euro steigen. Laut Frühjahrsgutachten spielt bei dieser Entwicklung auch „die Trägheit des Immobilienmarkts eine große Rolle, denn Neuanmietungen haben oft mehrere Jahre Vorlauf und spiegeln noch nicht die Krise wider“.

Dagegen fiel der Start ins Jahr 2021 mit einem Transaktionsvolumen, das die Immobiliendienstleister in der Bandbreite von 1,2 Mrd. und 1,9 Mrd. Euro sehen, deutlich bescheidener aus. Zudem spiegelt sich die Unsicherheit über die Perspektiven des Nonfood-Handels teilweise in steigenden Renditen wider: „Bei Shopping-Centern stieg die Spitzenrendite für Objekte in 1A-Lagen deutlich um einen Prozentpunkt auf 5,0%, die für Center in B-Standorten ebenso stark auf 6,0%,“ heißt es im Gutachten.

In die andere Richtung ging es bei Supermärkten mit einem Minus bei den Spitzenrenditen um 0,4 Prozentpunkte auf 4,8%. Stabil blieben die Renditen mit 4,15% bei Fachmarktzentren und 5,25% bei Fachmärkten. Laut Marco Atzberger, Mitglied der EHI-Geschäftsleitung, ist der Lebensmittelhandel der maßgebliche Ankermieter bei Handelsimmobilien, was sich positiv auf die Fachmarktlagen auswirkt.

Um die schwierige Lage der Mieter während des Shutdowns abzumildern, hatte der ZIA zusammen mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) einen Code of Conduct für den Umgang mit Mietstundungen oder Mietnachlässen während des Shutdowns entwickelt. In der Folge konnte laut Mattner zwischen Vermietern und Mietern „eine sehr hohe Einigungsquote von 80% erzielt werden“. Insgesamt ist Gerling aber überzeugt, dass die Mieten nachgeben werden, schon weil der Flächenbedarf sinken wird. Das eröffnet aber innovativen Konzepten die Chance, in innerstädtischen Lagen Fuß zu fassen. Hier ist laut Gerling derzeit viel in Bewegung.

Mit dem Online-Handel gehört im Corona-Jahr 2021 auch die dahinterstehende Logistikwirtschaft zu den Gewinnern, was sich 2020 auch in dem hohen Transaktionsvolumen von 7,1 Mrd. Euro, einem neuen Rekordwert nach 5,1 Mrd. Euro 2019, widerspiegelt. Weitere Folgen dieses Booms im Markt für Logistikimmobilien sind steigende Mieten in allen Standortkategorien und die Ausweitung des Neubaus auf 5,2 Mio. qm im Vorjahr. In diesem Jahr dürften laut Frühjahrsgutachten nochmals 5 Mio. qm entstehen. Damit hat die Branche ihr Nischendasein längst verlassen.