Reurbanisierung des Lebensmittelhandels

Der Weg zurück in die Innenstadt ist steinig

Platz sparende Lidl-Metropol-Filiale. Foto Lidl

Mit der Rückkehr der Wohnbevölkerung in die Städte – Stichwort Reurbanisierung – kehrt auch der Lebensmittelhandel wieder verstärkt in die Innenstädte zurück, die er seit den 1980er-Jahren zugunsten der grünen Wiese verlassen hatte. Doch die Hürden für diese Rückkehr sind hoch und die Hindernisse vielfältig. Aber die Branche hat hier, trotz ihres eng geknüpften Filialnetzes, noch weiße Flecken.

Diese Erkenntnis sammelte die Kölner Rewe Group bereits vor Jahren. „Wir haben ab Anfang der 2000er-Jahre – insbesondere im Zuge der ,Discounterisierung‘ beobachtet, dass es eine Tendenz zu Standorten auf der grünen Wiese gab“, berichtet Stephan Koof, Leiter nationale Expansion Rewe und Penny Handel Deutschland: Ziel der Discounter sei es gewesen, größere Flächen und mehr Parkplätze zu bieten. Diesem Trend seien die Lebensmittelvollsortimenter gefolgt.

Das hatte freilich Folgen für die Versorgung der Städte, zumal der starke Zuzug in die Städte zu tiefgreifenden Veränderungen führte und die Bevölkerungsstruktur vielfältiger geworden ist: „Im Zuge dieser Entwicklung haben wir bei unseren Zielgebietsanalysen festgestellt“, so Koof weiter, „dass der Versorgungsquotient an Lebensmittelverkaufsfläche in den Städten schlechter war als am Stadtrand und in ländlichen Gebieten.“ Zu dem gleichen Ergebnis war auch die GfK in einer früheren Studie gelangt. Daraus leitete der Kölner Lebensmittelhändler Potenzial für kleinere Lebensmittelflächen in den Städten ab und konzipierte mit Rewe City und Rewe to go die passenden Formate.

Im Umkehrschluss kommt laut Andreas Eisele, Vorstandsmitglied des BFW Bundesverbands und Vorstandsvorsitzender des BFW Landesverbands Bayern, die Erkenntnis hinzu, dass eine Zukunftsstrategie für lebendige Stadtquartiere und den innerstädtischen Handel „ohne den Frequenzbringer Lebensmittelhandel“ kaum eine Perspektive hat. Zumal laut Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung und der IPH Handelsimmobilien, „Nahversorger ein hohes Kopplungspotenzial mit anderen Geschäften im näheren Umfeld“ haben und sich deshalb „zum wichtigsten Anker des Handels insgesamt entwickelt haben“.

Ein weiterer Faktor, der die Reurbanisierung des Lebensmittelhandels mit Blick auf die wachsende Stadtbevölkerung fördert, ist laut Alexander Thurn aus der Geschäftsleitung des Bereichs Immobilien Lidl Deutschland, dass die räumliche Nähe zum Kunden und zeitgemäße, großzügige Filialen für den Lebensmittelhandel heute große Bedeutung haben.

„Doch der Weg zur Neuansiedlung eines Lebensmittelmarktes in hochverdichteten (inner)städtischen Lagen ist steinig“, wie es in der Studie die „Reurbanisierung des Lebensmittelhandels“ vom BFW – Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen heißt, die in Zusammenarbeit mit dem Lebensmittelanbieter Lidl und der BBE entstanden ist.

Die Nutzungskonkurrenz in den Innenstädten ist groß

Auf der einen Seite ist es das rigide deutsche Bauplanungsrecht, das der Lebensmittelhandel auch von der Expansion auf der grünen Wiese her kennt, auf der anderen Seite sind es betriebswirtschaftliche Aspekte wie die hohen Preise für Flächen und Immobilien und das knappe Angebot geeigneter Objekte in den verdichteten Stadtlagen, die auch für andere Nutzungsarten interessant sind (Stichwort: Nutzungskonkurrenz), die eine Rückkehr erschweren. Das gilt vor allem für die Top-7-Städte (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt/M, Düsseldorf und Stuttgart). Hier liegen die Mieten in den gesuchten Nebenlagen der Haupteinkaufsstraßen laut Studie bei durchschnittlich 23 Euro.

Entsprechend stuften 53,3% der Befragten nach den Daten von BBE und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die Verfügbarkeit von Flächen in A-Städten als „schlecht“ ein und 35,5% als „befriedigend“. Mit „gut“ bezeichneten nur 11,3% das Angebot. Mit durchschnittlich 11 Euro sind die Mieten in den Innenstadtlagen der zwölf Regionalstädte Augsburg, Bremen, Darmstadt, Dresden, Essen, Hannover, Karlsruhe, Leipzig, Mainz, Mannheim, Münster und Nürnberg, dagegen zwar niedriger, doch ist das laut Studie immer noch deutlich mehr als in den klassischen Fachmarktlagen gezahlt wird. Hier wird die Verfügbarkeit von passenden Flächen aber von 60% der Befragten als „gut“ bezeichnet und von 29% immer noch als „befriedigend“.

Für eine Branche, die mit sparsamen Kunden wie den Deutschen konfrontiert ist, gilt es hier genau abzuwägen. Das gilt vor allem für die Discounter und ihre Kunden, die besonders am Monatsende genau kalkulieren müssen. Was die Rückkehr in die teureren Lagen erleichtert und Spielraum eröffnet, ist die Tatsache, dass viele Bundesbürger, die es sich leisten können, nach den zahlreichen Lebensmittelskandalen bereit sind, mehr Geld für Qualität auszugeben.

Eine interne Herausforderung für den Lebensmittelhandel sind die Grundrisse der Verkaufsflächen in den Bestandsimmobilien. Sie seien oft nicht kompatibel mit den klassischen Konzepten der Branche: zu klein und zu verwinkelt – im Kontrast zu den passgenauen, großflächigen Objekten auf der grünen Wiese. Bei der Anpassung des Konzepts an die räumlichen Gegebenheiten geht es dann um die richtige Zusammenstellung des Angebots.

Laut Studie haben die Lebensmittelhändler in den vergangenen Jahren ihre Konzepte bereits an die innerstädtischen Gegebenheiten angepasst und entsprechende Formate entwickelt. Dabei gilt aber eine Grundregel: „Frische und Convenience sollten auf Grund der Nachfrage städtischer Bewohner prozentual deutlich stärker vertreten sein“, heißt es. Auch gibt es höhere Ansprüche an das Design der Märkte und die Kunden leben in der Nachbarschaft und kommen hier eher zu Fuß oder mit dem Fahrrad als mit dem Auto. „Der Wandel im Mobilitätsverhalten spricht vielerorts für eine Fokussierung auf die fußläufige Kundschaft im unmittelbaren Umfeld der Märkte“, heißt es.

Ein anderes wesentliches Hindernis ist auch in den integrierten Lagen, in denen sich der Handel nach Vorstellung der Stadtplaner bevorzugt ansiedeln soll, das restriktive deutsche Baurecht. Dazu gehören die langwierigen Genehmigungsverfahren und die restriktive Handhabung des Baurechts. Kontraproduktiv aus Sicht der Studie etwa ist die Stellplatzverordnung, wonach die Lebensmittelhändler an ihren Standorten Parkplätze zur Verfügung stellen müssen. Das sei in diesen hochverdichteten Lagen aufwendig und teuer und nicht immer sinnvoll – anders als an autoaffinen Standorten.

Die Vorschriften müssen flexibler werden

Hier machen viele, bequem zu erreichende Parkplätze Sinn, weil es für die Kunden andernfalls mühselig ist, den Lebensmittelmarkt zu erreichen. „Hieran zeigt sich, dass eine Flexibilisierung von Vorschriften in heterogenen Siedlungsstrukturen, wie sie in einer Großstadt zu sehen sind, Grundlage für die erfolgreiche Weiterentwicklung des Handels sein kann“, heißt es in der Studie, verknüpft mit der Forderung an die Kommunen, zu Kompromissen bereit zu sein, um eine bedarfsgerechte Nahversorgung in den hochverdichteten Stadtgebieten zu sichern. Denn die sei wichtig für die Attraktivität der Stadt – genauso wie die Notwendigkeit, alle innerstädtischen Interessengruppen frühzeitig in die Planung einzubeziehen.

Ein weiteres heikles Thema bei den schnell drehenden Gütern des täglichen Bedarfs ist die regelmäßige Belieferung der Innenstadt-Märkte per Lkw. „Oftmals sind eigene Ladezonen nicht umsetzbar, die benachbarte Wohnbevölkerung ist nicht gerade begeistert vom Geräuschpegel und die Immissionsschutzverordnung macht den Händlern das Leben schwer“, heißt es in der Studie. Neue Filialen müssten teilweise über den Kundeneingang beliefert werden, was meist nur außerhalb der Öffnungszeiten geht.

Aus Sicht von Thurn haben beim Thema Logistik alle Beteiligten noch erheblichen Nachholbedarf, „sowohl hinsichtlich Standortentwicklung und Genehmigungsverfahren als auch in puncto Transportplanung oder nachhaltige Fahrzeugtechnik“. Die stetige Anpassung an Veränderungen gehört im Einzelhandel aber auch zum Alltag im Strukturwandel.

Bei den innerstädtischen Nahversorgern mit ihren teuren Flächen heißt das auch die Abkehr von den solitären Flachbauten wie auf der grünen Wiese hin zu Mischobjekten mit weiteren Nutzungen wie Wohnungen oder Büros über dem Lebensmittelmarkt. Laut Studie wird den Händlern bisweilen Baurecht nur gewährt, wenn sie ihren Markt mit Wohnungen aufstocken.

Der Bau von Wohnungen ist auch bei der Aufstockung von Bestandsgebäuden ein Thema. In diesem Umfeld werden Lebensmittelhändler laut Thurn immer häufiger auch selbst zu Projektentwicklern oder Projektpartnern und der Immobilien-Bereich von Lidl stößt selbst Projektentwicklungen an, um die ideale Vereinbarkeit von Lebensmittelmarkt und Wohnungsnutzung zu gewährleisten. Deshalb sucht der Handel auch die Kooperation mit anderen Nutzergruppen und kann sich Partnerschaften mit anderen Projektentwicklern vorstellen.

Der Lebensmitteleinkauf in der City ist etwas anders

Koof beobachtet bei den Städten derzeit einen hohen Kooperationswillen: „Insbesondere im Bestand gibt es aktuell Kooperationen, bei denen wir über unsere Flachbauten Wohnungen bauen und so nachverdichten“, berichtet der Rewe-Expansionsleiter.

Eines von vielen Beispielen für eine angepasste Immobilie im Lebensmitteleinzelhandel ist etwa die Lidl-Metropolfiliale im Frankfurter Stadtteil Niederrad, die mit 3 000 qm nur die Hälfte der sonst üblichen Grundstücksgröße benötigt. Das gelingt, weil sich die Metropolfiliale über dem ebenerdigen Parkplatz im ersten Stock befindet. Die Kunden gelangen über Rollsteige in den Markt. Das Dach kann entweder begrünt oder mit einer Photovoltaikanlage versehen werden.

Wie ein Lebensmittelmarkt auch zum sozialen Treffpunkt mit Flair ausgebaut werden kann, zeigt der Rewe-Markt in Hamburg Ottensen, im Industriedenkmal Zeiserhallen. Dass hier früher Schiffsschrauben produziert wurden, ist dem Innenraum noch anzusehen. Auf einer stilechten Empore gibt es Sitzplätze und ein Klavier. Lebensmittelkauf in der City ist halt etwas anders.