Die Folgen der Zinswende haben 2023 auch im Handelsimmobilienmarkt vieles ins Stocken gebracht. Grund genug, um beim jüngsten Handelsimmobilien Gipfel über Probleme und ihre Lösungen zu diskutieren.
Nach einer Phase des Strukturwandels, gefolgt von der Corona-Delle und den Folgen der Kriege stellt sich für viele Marktakteure angesichts steigender Renditen die Frage, ob bei Retail Assets inzwischen der Boden gefunden wurde, wie Gertrud Traud, Chefvolkswirtin und Managing Director bei der Helaba beim Handelsimmobilien-Gipfel in Düsseldorf sagte. Diskutiert wurde unter der Headline: „Wie viel Leben kommt wann in den Markt? Neue Ziele, neue Märkte, neues Denken“.
Zuvor hatte Gertrud Traud in ihrer Keynote „Spotlight Retailmarkt: Zinsen & Immobilien“ mit Blick auf die aktuelle Unsicherheitsspirale, in der aus ihrer Sicht vor allem Deutschland steckt, die positiven Trends und Entwicklungen zusammengetragen. So geht sie davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) diesmal vor der US-Notenbank Federal Reserve im Juni erstmals wieder die Zinsen senken und einen Zinssenkungszyklus mit möglicherweise drei Zinsschritten beginnen könnte. In Verbindung mit steigenden Tarifabschlüssen bei sinkenden Inflationsraten in Deutschland und dem Euro-Raum erwartet sie steigende Reallöhne, die dem Einzelhandel Auftrieb verleihen dürften. Vor diesem Hintergrund könnte sich der Handel laut Traud stabilisieren, auch wenn die Mieten steigen und die Kapitalwerte weiter fallen.
Ob dieses Szenario so eintrifft, wird sich im Sommer zeigen. Denn mit Blick auf die hohen Tarifabschlüsse in Deutschland und anderen Euro-Ländern fürchten Vertreter der EZB wie Chefvolkswirt Philip Lane Zweitrundeffekte, die die Inflation antreiben, weil die Unternehmen die Lohnsteigerungen über die Preise weitergeben.
Doch ungeachtet dessen sieht Manuel Jahn, Geschäftsführer der Habona Invest Consulting, die auf das Segment Nahversorgung fokussiert ist, inzwischen die Bodenbildung erreicht und verweist darauf, dass die Anleger „uns das auch abnehmen“. Bei vielen Immobilien sei die Preisfindung schon durch. Und wie er beobachtet, würden viele Akquisiteure institutioneller Investoren sofort loslegen, wenn sie dürften. In diesem Umfeld sind Privatinvestoren offenbar mutiger. Diese vermögenden Kleinanleger nutzen laut Jahn auch die Möglichkeit, antizyklisch zu investieren.
Auch Björn Fraeb, Head of Investmentmanagement Retail Nordeuropa und Deutschland bei Nuveen Asset Management Europe, ist für den Handelsimmobilienmarkt positiv gestimmt, zumal die Preise nachgegeben hätten, wie auch er feststellt. Da es derzeit jedoch schwierig ist, institutionelle Anleger zu bewegen, antizyklisch zu investieren, erwartet Fraeb vorerst keine großen Sprünge. Er ist aber überzeugt, dass sich in der nächsten Zeit etwas bewegen wird. Doch während Fachmarktobjekte mit Schwerpunkt Nahversorgung den Investmentmarkt weiterhin dominieren, ist es laut Fraeb schwieriger, Großobjekte wie Shopping-Center zu finanzieren. Meist machen Banken das nur im Rahmen von Konsortialkrediten.
Großprojekte sind derzeit schwieriger zu finanzieren
Mit Blick auf die Tatsache, dass institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionsfonds ihr Geld bevorzugt in große Objekte investieren, wie Björn Fraeb ergänzt, und kleinteilige Objekte wie Nahversorger eher meiden, gab Jahn grundsätzlich zu bedenken: Es könne nicht darum gehen, Großprojekte zu entwickeln, nur weil der Kapitalmarkt das brauche, beispielsweise weil ein Investor 2 Mrd. Euro anlegen müsse, sondern darum, für den Endkunden zu bauen – und erntete dafür vom Publikum Applaus. Angetrieben von den niedrigen Zinsen sind womöglich zu viele Großprojekte entstanden – womöglich mehr als der Markt verkraften kann.
Auf die Frage nach den aktuellen Megatrends ergänzte Francesco Fedele, Vorstandsvorsitzender der BF Direkt AG, dass es heute eher um kleine Einheiten geht, die flexibler zu handhaben sind und nennt als Beispiel das Stadtkaufhaus Gerber in Stuttgart, das in ein Mischobjekt mit Hotel, Wohnungen und verkleinertem Einzelhandel umgebaut wurde. Kleinteiligkeit, Flexibilität und Innovation sind aus seiner Sicht die zentralen Stichworte. Aus Sicht von Björn Fraeb verbindet sich für die Städte und Quartiere damit die Rückkehr zu Innenstädten, die geprägt sind von Wohnen, Arbeiten und Leben – so wie früher. Gleichwohl weist er auch darauf hin, dass ein großes Einkaufszentrum wie die Gropius-Stadt in Berlin für die Menschen in ihren bescheidenen Plattenbauten in der Umgebung auch die notwendige Abwechselung bietet und für sie eine Art Wohnzimmer ist.
Dass der Einzelhandel – also auch Supermärkte – nach den heutigen Ansprüchen der Konsumenten ein Place to be mit Unterhaltungswert, Überraschungen und Gastronomie sein muss, diskutierten Franka Jung-Larsen,International Brand and Retail Management bei der Apleona Real Estate GmbH, und Ralf-Peter Koschny, Vorstandssprecher der Bulwiengesa AG, mit Blick auf die Trends, die im Handel und bei Handelsimmobilien im Fokus stehen. Im Zentrum stand dabei die Frage, welche Mischung für Shopping-Center unter diesem Gesichtspunkt die beste ist. Denn laut Björn Fraeb sind hierzulande etwa ein Drittel der Einkaufszentren als problematisch einzustufen.
Der Unterhaltungswert ist im Handel sehr wichtig
Die Stichworte für die richtige Mischung sind laut Jung-Larsen vor allem „Convenience“ und „Shoppertainment“ – also die Mischung von Einkaufen und Unterhaltung. Da die Menschen unter großem Zeitdruck stehen und alles möglichst schnell erledigen möchten, muss das Shopping-Center nach ihren Worten eine „5-Minuten-Stadt“ sein, in der alles erledigt werden kann. Neben Handelsangeboten für „Perfect Body & Face“, Angebote für die Best Ager über 50, die immer mehr mit der jungen Generation verschwimmen, sind nach ihren Worten auch Angebote wie Dienstleistungen, Ärzte, Freizeitangebote, Personal Trainer und vieles mehr von Bedeutung, wobei die Belegung des zweiten Obergeschosses nach ihrer Erfahrung kein Problem ist.
Weil sich die Konsumgewohnheiten ständig ändern, muss der Einzelhandel nach ihren Worten auch immer wieder neue Konzepte testen. Diesen Eindruck bestätigt auch Ralf-Peter Koschny, wenn er anmerkt, dass der Handel auf der Suche ist und heute alle möglichen Konzepte testet, um den Kunden neues zu bieten. Dabei ist es bei großflächigen Modehäusern laut Jung-Larsen auch kein Problem, ständig zu messen, welche Ware gut ankommt, um Schnelldreher nachzubestellen. Ein Thema ist in diesem Kontext auch die nahtlose Verknüpfung von „online“ und „offline“, wenn beispielsweise die gewünschte Größe im Laden nicht vorhanden ist und der Handel sie online bestellt und zum Kunden nach Hause schickt.
Insgesamt ist der Einzelhandel laut Jung-Larsen sehr preissensibel, denn die Kosten sind hoch. Zudem ist der Arbeitskräftemangel spürbar, die Investitionsbereitschaft eingeschränkt und über die Mieten wird hart verhandelt, so dass das Mietniveau von vor fünf Jahren derzeit nicht zu halten sein dürfte. Dennoch ist es aus ihrer Sicht notwendig, Flächen – auch zu einem niedrigeren Preis – gut zu vermieten, um so die Frequenz zu erhöhen, was letztlich die Grundlage schafft, um die Mieten später doch noch erhöhen zu können. Wichtig ist es, den richtigen Mix zu bieten.
Dass auch die Discounter heute mehr bieten als immer modernere Märkte für den Verkauf von günstigen Lebensmitteln, erläuterte Jan Riemann, Group Director Real Estate bei Aldi Süd, in seinem Vortrag über „kosteneffiziente Projektentwicklung: Wege zum wirtschaftlichen Bau-Erfolg“. Gegen den negativen Trend investiert das Unternehmen gegenwärtig einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in verschiedene Projekte. Bei Mischobjekten wird nach seinen Worten immer nach dem besten Nutzungskonzept für den jeweiligen Standort gesucht, seien es Wohnungen, Seniorenwohnheime oder auch Kitas als Beimischung zu den Discountmärkten.
In diesem Kontext hebt er hervor, dass es dem Handelsunternehmen auch in der aktuell schwierigen Zeit für die Bauwirtschaft mit einem Kostenanstieg von über 50% gelingt, die Kosten im Griff zu behalten und um 5% unter dem Baukostenindex zu bleiben. Grundpfeiler dieser Srategie sind digitale Ausschreibungen, ein Netzwerk aus etwa 5 000 Handwerkern, die Vereinheitlichung der Baubeschreibungen und die Nutzung von Mengenvorteilen auf internationaler Ebene durch die Standardisierung von Baukomponenten. Zudem hat das Handelsunternehmen Architekten und Bauingenieure eingestellt, um sich auch bei diesen Leistungen die besten Preise zu sichern.
Der Handel muss immer wieder neue Konzepte testen
Ein Beispiel für die Weiterentwicklung eines Aldi-Filialstandorts ist das Projekt in Waldbronn bei Karlsruhe. Hier entstehen auf 12 000 qm – neben dem Aldi-Markt – weitere Handelsflächen etwa für einen Rewe-Markt und fünf mehrstöckige Aufbauten mit 115 Wohnungen. 2024 soll das Mischobjekt fertig werden. Bei der Vergabe eines solchen umfassenden Rohbaus wird laut Riemann auch der Bau der eigenen Filiale günstiger.
Eine Diskussionsrunde über die Frage, was die Einhaltung der ESG-Kriterien und die EU-Taxonomie für Handelsimmobilien und ihre Wertentwicklung sowie die Eigentümer und Mieter bedeuten, fehlte auch beim Handelsimmobilien-Gipfel nicht. Dabei stellte Maximilian Ludwig, Senior Director, u.a. im Bereich Retail & Logistics bei der Real I.S. AG gleich zu Beginn fest, dass die Einhaltung der ESG-Kriterien bei Immobilien etwa aus Sicht von Fondsgesellschaften vor allem wichtig für den Exit ist. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass das Objekt als „Stranded Asset“ endet.
Deutlich wurde während der Diskussionsrunde aber auch, dass der Zeitrahmen für das Erreichen von klimaneutralen Neubauten und Bestandsobjekten sehr knapp bemessen ist, die Branche noch am Anfang steht und vieles – wie die Datenerfassung – noch in den Kinderschuhen steckt und niemand genau weiß, wie viele Daten letztlich erhoben werden müssen, wie Benjamin Danner, Bereichsleiter Immobilien CSR im Lidl Immobilienbereich und Paul Werner Neisser-Deiters, Leiter Energiemanagement Kaufland Deutschland, zu berichten wissen. Hier ist noch viel in Bewegung und es ist noch nicht klar, wie viel die Regulatorik letztlich vorschreiben wird.
Um zu verhindern, dass in dieser Phase zu viel Aktionismus entsteht und alle möglichen und unmöglichen Daten angefordert werden, waren sich die Teilnehmer einig, dass der Dialog zwischen den Marktakteuren und die Abstimmung sehr wichtig sind. Zumal es beispielsweise im Lebensmittelhandel wie bei Kaufland und Lidl einen hohen Stromverbrauch gibt, der auf den Betrieb wie beispielsweise von (Tief)Kühlgeräten und Back-Shops entfällt, der aber mit der Immobilie selbst nichts zu tun hat, wie Danner zu bedenken gibt.