Fashion-Emotion 4.0

Der stationäre Einzelhandel ist das Rückgrat, aber ohne Digitalisierung geht es nicht

Der Modehandel kommt nur langsam in Schwung. Foto: BTE

In seiner Begrüßungsrede zum BTE-Kongress „Fashion-Emotion 4.0“, der diesmal ganz im Zeichen der Corona-Zeit als virtuelles Webinar durchgeführt wurde, sparte Verbands-Präsident Steffen Jost nicht mit drastischen Worten und Bildern: Die Corona-Krise sei ein „epochales Ereignis“, das die Mode-Branche tief ins Mark getroffen habe. Wie viele Unternehmen diese schwierige Situation überleben werden, hängt aus Sicht des Experten, der gleichzeitig Inhaber der Modehäuser Jost ist, von der Umsatzentwicklung in den nächsten Monaten ab. Denn der Verkauf kommt nur langsam wieder in Schwung.

Die Covid-19-Pandemie wirkt nach Beobachtung von BTE-Präsident Steffen Jost wie ein Brandbeschleuniger vor allem für die liquiditäts- und finanzschwachen Betriebe des Mode-Handels, der sich schon durch die Konkurrenz des Online-Handels und der vertikalen Anbieter im Umbruch befindet. Viele würden geschwächt aus der Krise hervorgehen. Dabei sieht Jost vor allem die Existenz der Multilabel-Anbieter gefährdet, was mittelfristig auch die Attraktivität der Cities beeinträchtigen dürfte.

Mit Blick auf die Tatsache, dass der massive Veränderungsdruck, auf den die Branche bislang nicht im erforderlichen Maße reagiert habe, schon seit 15 bis 20 Jahren besteht, sei nun der letzte Zeitpunkt gekommen, um grundlegendes zu verändern. Diese Einschätzung teilten auch andere Redner beim virtuellen Kongress „Fashion-Emotion 4.0“ des Bundesverbands des Textileinzelhandels (BTE): „Wir sind zu teuer, zu langsam und die Abschriften sind zu hoch“, so Jost. Deshalb sei es notwendig, vieles zu verändern: Die zu frühen Order- und Messe-Termine, die zu langen Lieferzeiten, die mangelnde Produktivität in der Lieferkette und die zu geringen Renditen, die letztlich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mindert.

Diese schwierige Lage illustrierte Klaus Harnack, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Hachmeister + Partner, in seinem Vortrag „Handlungsbedarfe von Handel und Industrie mit Blick nach vorn“ anhand von Zahlen. So ging der Umsatz des Bekleidungseinzelhandels mit Damenoberbekleidung (DOB) sowie Herren- und Knabenbekleidung (Haka) allein im Mai, dem Monat der Lockerungen, gemessen am Vorjahresmonat um 36,1% zurück, wobei das Minus bei Damenmode (-33,7%) etwas geringer ausfiel als bei Herrenmode (-41,5%).

Für das Gesamtjahr 2020 erwartet Harnack vor diesem Hintergrund ein Minus von 25%, wobei auch er sich der Einschätzung von Jost anschließt, dass die Branche vor allem ein Rentabilitätsproblem hat. Die Bilanz werde bei vielen Händlern blutrot sein, das könnten die Betriebe nicht lange durchhalten.

Nach den Worten von Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE, hat der Bekleidungseinzelhandel durch den behördlich angeordneten Shutdown im März/April noch das Sonderproblem, dass seine Läger voll sind mit Ware, die aus der Mode gekommen ist, während gleichzeitig die neue Ware für den Herbst angeliefert wird und bezahlt werden muss. Da die Erholung nur langsam vonstattengeht, wie die Mai-Zahlen belegen, geht Pangels davon aus, dass dieses Problem die Branche noch bis zum Frühjahr 2021 begleiten wird. Wobei Harnack ergänzend darauf hinweist, dass die großen Bestandsverluste vor allem bei den Herstellern liegen.

Abgeleitet aus der Headline seines Vortrags mahnte Harnack, dass Einzelhandel und Industrie nur gemeinsam aus dieser Krise herausfinden können: „Es wird keiner allein schaffen.“ Alle Marktteilnehmern einschließlich der Verbände seien gefordert, mitzuarbeiten. Einig sind sich Industrie und Einzelhandel offenbar in der Einschätzung, dass die digitale Order ausgebaut und die Digitalisierung der Prozesse vorangebracht werden muss. Dabei muss der Handel aus Sicht des Beraters „seine stationären Stärken besser ausspielen und in der Zusammenarbeit mit der Industrie die Lieferkette beschleunigen“.

Bei dieser Kooperation sieht Maximilian Böck, CO-CEO und Chief Retail Officer des Herstellers und Händlers Marc O’Polo, beim Handel allerdings noch Nachholbedarf: „Die strategische Zusammenarbeit ist wichtig, doch muss der Handel mehr in die Digitalisierung investieren.“ Es nütze wenig, wenn die Industrie in Schnelligkeit investiere, der Handel aber nicht mitkomme. „Wir müssen dieselbe Sprache sprechen.“ Auch Jost mahnt an, dass die Prozesskette auf den Prüfstand kommen muss, um die Umschlaggeschwindigkeit in der Branche zu erhöhen.

Hohe Kundenbindung als Erfolgsfaktor

Zur neuen Normalität in der Bekleidungsbranche werden aus Sicht von Harnack künftig die Digitalisierung der Wertschöpfungskette gehören, die Digitale Vernetzung der Bestände von Industrie und Handel, Datenbasierte Prognosemodelle für Best-Seller und Slow-Seller in den neuen Kollektionen, Nachhaltigkeit werde zum neuen Standard, die weitere Digitalisierung des Point of Sale und die Themen Personalisierung und Individualisierung gewinnen an Bedeutung. Harnack: „Data is the new Oil“. Oder anders ausgedrückt: „Wir brauchen Daten über das Verhalten der Kunden.“ Und an denen ist der Einzelhandel mit seinen Geschäften in den Einkaufsstraßen und Shopping-Centern ganz nah dran.

In der akuten Phase des „Fire Fightings“, also der Bekämpfung der Krise, war nach Feststellung des Beraters eine hohe Kundenbindung der zentrale Aspekt bei der Erholung der Unternehmen. Einzelhändler mit einer hohen Bindung zu ihren Kunden hätten sich schneller wieder erholt. Klar ist aus seiner Sicht aber auch, dass Stil im Bekleidungshandel künftig wichtiger sein wird als der Preis. Dabei gilt nach den Worten von Andreas Unger, geschäftsführender Gesellschafter der Hutter & Unger Werbeagentur, dass man den Kunden mit kleinen Geschenken und Events bei Laune halten muss, wenn man vom Preis als wichtigstem Verkaufsargument weg will.

Einig waren sich die Referenten beim ersten virtuellen Fashion-Kongress, dass der stationäre Einzelhandel das Rückgrat der Mode-Branche bleibt und ohne ihn nichts läuft, dass es gleichzeitig ohne Online-Vertrieb und Digitalisierung in Zukunft aber auch nicht mehr geht. Das zeigten auch die Beispiele von stationären Einzelhändlern, die sich in der Shutdown-Phase die Möglichkeiten der Digitalisierung und von Apps zunutze machen konnten.

Das gilt umso mehr, als der Online-Vertrieb als Folge der behördlich angeordneten Schließungen für die Kunden eindeutig an Bedeutung gewonnen hat. So konstatiert Dominik Benner, geschäftsführender Gesellschafter der Benner Holding, der auch die Plattformen schuhe24 und Outfits24 ins Leben gerufen hat, dass durch Corona auch ältere Menschen gezwungen waren, sich mit dem Online-Kauf auseinander zu setzen: „Plötzlich wurden viele ältere Kunden aktiv.“

Wie Multi-Channel-Händler, die bei den regelmäßigen Umfragen des Handelsverbands Deutschland (HDE) durchweg optimistischer in die Zukunft blicken, die Digitalisierung und eigene Apps in der Schutdown-Phase für sich zu nutzen wussten, zeigte Unger anhand von Beispielen. Dabei erwähnt er das Modehaus Pollozek aus Bayern, das für den 28. März noch eine Moden-Schau geplant hatte und nun via App die Kunden schnell und kostengünstig über die Absage informieren konnte. „Wir konnten nach der Veränderung extrem schnell mit unseren Kunden kommunizieren“, zitiert er den Geschäftsführer Roman Pollozek.

Schnelle und kostengünstige Kommunikation via App

Auch das Modehaus Stenger in Bad Kreuznach nutze eine App, um seine Kunden kurzfristig über die Schließung seines Geschäfts und später über die Wiedereröffnung – zunächst auf 800 qm – zu informieren. Das Modehaus Gutbrod konzipierte während des Shutdowns sein Online-Konzept „Fashion at Home“. So konnten die Kunden mit dem Modehändler in Verbindung treten und sich eine Fashion Box, ein Paket aus diversen Teilen, zusammenstellen lassen – inklusive Preisreduzierung von 10%. Nach den Worten von Geschäftsführer Julian Gutbrod sei es dem Unternehmen im März sehr schnell gelungen, mit dem Online-Konzept zu starten und auch gleich die erste Bestellung zu verzeichnen.

Beim Thema Ausstattung mit Apps im Mode-Handel ist nach einer Umfrage der Werbeagentur Hutter & Unger unter den deutschen Einzelhändler allerdings noch viel Luft nach oben. Demnach gaben 79% an, dass sie noch keine App haben, 13% arbeiten schon damit und 14% planen, sich damit zu befassen. 37% der Nutzer schätzen die Mehrwerte, die damit verbunden sind und 85% die Flexibilität, die diese Technologie bietet.

Mit der Frage, wie der Modehändler den Kunden nach der Corona-Krise digital erreichen kann, befassten sich Dominik Benner und Marcus Vorwohlt vom Modehaus Rübsamen in Augsburg, das schon lange online unterwegs ist und seit zwölf Jahren einen Online-Shop betreibt. Hier sei das Wachstum aber zuletzt nicht mehr so dynamisch gewesen: „Deshalb schauen wir uns nun auf Plattformen um“, erklärte Vorwohlt, wie das Unternehmen zu Outfits24 gefunden hat.

Bei Plattformen geht es darum, den großen Andrang zu bewältigen

Gestartet war der Modeanbieter im Herbst 2019 kurz vor dem Black Friday und wurde dabei so mit Bestellungen überrannt, dass er seine Präsenz schnell wieder runtergefahren hat. Im Frühjahr, in der Zeit, als sich das Corona-Virus ausbreitete, kehrte Rübsamen laut Vorwohlt auf die Plattform zurück. Das Problem für einen stationären Händler besteht nach Benners Erfahrung zunächst darin, den riesigen Andrang zu bewältigen. Am Ende habe der Verkauf über die Plattform aber einen positiven Umsatzeffekt gebracht, den jeder Händler mitnehmen sollte.

Nach Vorwohlts Erfahrung ist der Verkauf via Internet aber – wenn man es intelligent anstellt – mit geringeren Abschriften als im stationären Geschäft verbunden. Auch Benner bestätigt, dass es möglich ist, ältere Ware ohne Abschriften zu verkaufen.

Insgesamt hat sich laut Vorwohlt durch die Corona-Krise alles verändert. Die Verbindung von stationärem und digitalem Verkauf ist inzwischen bei den Kunden angekommen. Deshalb werde der Modehandel alle Kanäle bedienen müssen. In diesem Kontext merkte Benner kritisch an, dass viele Händler die Auszeit während des Shutdowns nicht genutzt hätten, ihre Digitalisierung voranzutreiben. Dabei gibt es hier noch viel Luft nach oben gibt, wie er, gestützt auf eine Umfrage, berichtet: Demnach hatten 36% der Befragten bereits einen Online-Shop und 9% gaben an, dass er in Vorbereitung sei. Aber 55% sind noch nicht aktiv. Maximal ein Drittel der Modehändler sind nach Benners Einschätzung bislang mit eigenen Online-Shops aktiv.