Krisenbewältigung im Modehandel

Der Raum als Inspiration für den Kunden

Mehr Tageslicht ist heute Trumpf. Foto: Ramelow

Mit der Frage, wie der von den Zwangsschließungen betroffene innerstädtische Einzelhandel die Krise bewältigen kann und wie sich die Innenstädte zukunftssicher aufstellen müssen, befasste sich der virtuelle Handelsimmobilien-Gipfel Teil 2.

Der deutsche Modehandel hat nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes im ersten Quartal 2021, gegenüber dem schon von der Pandemie gezeichneten ersten Quartal 2020 real 54,2% seines Umsatzes eingebüßt. Dass die Erlöse im März – als im stationären Handel leichte Lockerungen vollzogen wurden – um real 27,7% gegenüber dem schwachen März 2020 zugelegt hat, zeigt zum einen, dass die Bundesbürger gerne wieder in den stationären Handel zurückkehren, wenn man sie nur lässt. Andererseits zeigen die kumulierten Zahlen für die ersten drei Monate - gegenüber einem schwachen Vorjahr - wie stark das Geschäft durch die Zwangsschließungen belastet wird.

Wie es in einem solchen Umfeld dennoch gelingt, relativ gut durch die Corona-Pandemie zu kommen, zeigt Marc Ramelow, der als geschäftsführender Gesellschafter das fast 150 Jahre alten Modeunternehmens Gustav Ramelow KG in vierter Generation führt, am Beispiel seines umgebauten Hauses in Stendal (Foto). Dabei stellt er aber auch klar, dass eine lange Tradition noch keine Garantie dafür ist, dass es automatisch weiter geht.

Denn er ist zwar überzeugt, dass der stationäre Einzelhandel eine Zukunft hat, doch werde sich die Branche stark verändern – in Richtung Omnichannel-Angebote. Darauf hat sich das 1872 von Gustav Ramelow in Klütz in Mecklenburg gegründete Unternehmen auch bei der Modernisierung und Erweiterung seiner Filiale in Stendal, nördlich von Magdeburg, eingestellt. Zwar galt die Filiale mit einem Umsatzwachstum von 5 bis 8% jährlich schon vorher als Hidden Champion, doch brachte die Erweiterung der Fläche von 2 000 qm auf 3 000 qm ohne dabei mehr Ware anzubieten, im schwierigen Jahr 2020 ein Umsatzplus von 15%, da es gelang, die Frequenz zu steigern – auch durch die Ansprache neuer Kunden.

Dabei war der Start nach Abschluss der Bauarbeiten alles andere als einfach. Am 1. März 2020 ging das modernisierte Modehaus wieder an den Start, nur um Mitte März wieder schließen zu müssen. Laut Ramelow ist bei Lockerungen aber sehr deutlich zu spüren, dass die Kunden gerne in das Modehaus zurückkommen. Ein wesentlicher Punkt ist aus seiner Sicht, dass in Stendal erstmals aus Kundensicht geplant wurde. Früher wurden die Räume um die Produkte herum gebaut.

Die Kunden kehren gerne in die Läden zurück

So wurden die Sortimente erweitert, es gibt Gastronomie und große Community Tische, an denen Kunden bequem sitzen und einfach nur Zeit im Kaufhaus verbringen können. Zudem gibt es XXL-Umkleidekabinen mit privatem Vorraum, die reserviert werden können. Das denkmal-geschütze Haus ist nach außen offen, um viel Tageslicht einzulassen. Dafür wurden auch zwei Lichthöfe eingebaut. Wichtig sind laut Ramelow der Raum und seine Inspiration für den Kunden.

Zudem findet nach seiner Erfahrung auch „interaktives Shopping“ viel Anklang. Man dürfe die Digitalisierung nicht allein dem Online-Shop überlassen. Vielmehr sei es wichtig, die Mitarbeiter einzubinden. So setzt Ramelow auf Life Shopping oder den Service, dass die Mitarbeiter für den Kunden per Smartphone Ware bestellen, die das Modehaus gerade nicht im Sortiment hat. Dabei holen die Kunden die Bestellung meist in der Filiale ab. „Wir müssen mehr Marktplatzflair bieten“, ist er überzeugt. All das erzeugt Wachstum.

Mit Blick auf die Folgen der Zwangsschließungen für die Innenstädte kommt es laut Ramelow darauf an, dass alle betroffenen Stakeholder einschließlich der Politik und der Mieter gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Dabei sind solche Kooperationen aus seiner Sicht in Kleinstädten wie Elmshorn leichter zu realisieren als in den Top-Städten mit den meist immer gleichen Anbietern, die mehr auf Power Shopping – das heißt, auf das Massengeschäft – setzen.

In diesem Kontext hat Ramelow in seinen Modehäusern auch Flächen an Pop-up-Stores vermietet, von denen einige inzwischen zu Dauermietern geworden sind. Das Modehaus ist neben Stendal mit Filialen in Elmshorn, dem Stammsitz, in Uelzen, Wedel, Heide, Buchholz und Schenefeld vertreten und beteiligt sich auch an Public Private Partnership Projekten.

Über die Frage, welche weiteren Nutzungen in größeren Immobilien das Handelsangebot ergänzen können, machte sich Michael Garstka, Managing Director der List Develop Commercial GmbH & Co. KG, Gedanken. Das Thema, das schon seit geraumer Zeit diskutiert wird, gewinnt durch die Folgen der Zwangsschließungen für die traditionellen Mieter aus dem Handel zusätzlich an Bedeutung.

So rückt das Thema Healthcare respektive Angebote aus dem Gesundheitssektor als Beimischung laut Garstka dadurch auch in die innerstädtischen Handelsimmobilien vor – nicht zuletzt auch deshalb, weil mehr Menschen in den Innenstädten wohnen. Für List Development Commercial, die sowohl in den Top-7-Städten als auch in Klein- und Mittelstädten vertreten ist, hat das Thema als wichtiger Baustein beispielsweise bei zwei Projekten in Emden und in Osnabrück Relevanz.

In den Neutor Arkaden in Emden soll Healthcare auf über 2 000 qm ein Angebot aus Einzelhandel (Drogerie Müller), ein B & B Hotel und Räume für die Stadtwerke ergänzen. Und auch im Geschäftshaus in Osnabrück, einem leerstehenden Mode-Haus von Sinn Leffers, sind Gesundheitsangebote neben Einzelhandel im Parterre und möglichen Beimischungen wie Hotel, ein Boarding House, Büros oder Wohnungen eine Option. In der aktuellen Konzeptionsphase wird in den oberen Etagen Raum für betreutes Wohnen und Tagespflege ins Auge gefasst.

Die Planungsprozesse müssen hierzulande verkürzt werden

Mit Blick auf das Thema Stadtentwicklung und die Rettung der Cities nach den Folgen der Zwangsschließungen appelliert Garstka an die Verantwortlichen, die Planungsprozesse zu verkürzen. Das deutsche Planungsrecht müsse viel flexibler werden, mahnt er, empfiehlt Entwicklern und Eigentümern aber auch, bei ihren Vorhaben gegenüber den Behörden eine klare Haltung einzunehmen und die Projekte genau zu erläutern. Denn die Behörden wollten wissen, was geplant ist.

In ihrem Vortrag „Kalter Auszug – wie die Pandemie Innenstadtlagen heilen kann“ gab Ina Marie Orawiec, Geschäftsführerin der OX2 Architekten GmbH, den Rat, vermehrt auf die Gestaltung des öffentlichen Raums zu achten: „Das Leben sollte vor den Geschäften stattfinden.“ Wichtig für die Belebung der Außenbereiche sind für sie Märkte, Veranstaltungen und Kultur, die den Handel ergänzen. Der öffentliche Raum müsse als Bühne in die Lauflagen integriert werden. So sei auch mit kleinen Maßnahmen etwas zu erreichen. In diesem Kontext bedauert Orawiec, dass sich Dienstleister wie Post- oder Banken meist nur noch auf Automaten beschränken.

Dass die Innenstadt im Interesse des Gemeinwohls heute als Quartier gedacht werden muss, gab in der Diskussionsrunde „Hart aber fair“ auch Anastasija Radke, Geschäftsführerin der KVL Bauconsult GmbH, zu bedenken. Dafür sei ein starker Moderator in der Mitte notwendig. Und davon würden auch die Investoren profitieren. Für die Resilienz sei es wichtig, die Innenstädte so zu konzipieren, dass sich die Teile gegenseitig beflügeln, mahnt Ina Marie Orawiec. Stattdessen baue im Grunde jeder nur für sich selbst.

Gleichwohl ist Dirk Wichner,Head of Retail Leasing Germany bei Jones Lang LaSalle SE, zuversichtlich, dass sich die Innenstädte relativ schnell auf das einstellen werden, was die Kunden heute wollen. Die große Zahl von Einzelhändlern, die in früheren Jahren die Innenstädte ausgemacht haben, entsprachen nach seiner Erfahrung auch dem Wunsch der Kunden, die Einkaufen als Teil ihrer Freizeitbeschäftigung sehen.

Ein Problem, das die Neugestaltung der Innenstädte behindert, sind laut Garstka die Investoren, die Objekte nur zu Spekulationszwecken erworben haben und die deshalb für das Thema Investition in Stadtentwicklung kaum offen sind. Dann könne man wenig machen. Ob Enteignung hier ein Weg wäre, ist aber fraglich.