Retail Real Estate Report

Der neue Megatrend heißt „Omnichannel“

Fachmarkt-Lagen sind derzeit gesucht. Foto: Hahn Gruppe

rv DÜSSELDORF: Die Sorgen im Einzelhandel und in deutschen Innenstädten ist groß, dass die Kollateralschäden der Zwangsschließungen viele Nonfood-Händler und damit die Innenstädte vor große Probleme stellen. Aber es gibt auch die andere Seite des Einzelhandels, die weiter wächst und auch an Expansion denkt. Dazu gehören Lebensmittelmärkte, Drogeriemärkte, Bau- und Gartenmärkte, Möbel-Häuser sowie die Hobby- und Freizeitbranche. Betrachtet man den Einzelhandel insgesamt, dann plant die Mehrheit (58%) aber keine Neueröffnung, manche sogar eine Ausdünnung ihres Filialnetzes.

Das sah vor Corona noch anders aus. Im vergangenen Jahr wollten sich mit 44% noch deutlich weniger Einzelhändler mit der Expansion zurückhalten, heißt es im 15. Retail Real Estate Report, den die Hahn Gruppe in Zusammenarbeit mit CBRE, Bulwiengesa und dem EHI Retail Institute erstellt hat. Aber auch dieser niedrigere Wert von 2019 signalisierte bereits, dass in Teilen des deutschen Einzelhandels Konsolidierung angesagt ist. Das zeigt auch der Blick auf den Zeitraum zwischen 2017 und 2020, in dem der Anteil der befragten Expansionsverantwortlichen im Einzelhandel, der auf Expansion setzt, stetig zurückgegangen ist und der Anteil, der auf Filialnetzverkleinerung setzt, stetig gestiegen ist (s. Grafik Seite 10).

Der Anteil der Befragten, der auch im Corona-Jahr 2020 expandieren will, ist mit 42% aber auch ganz beachtlich und zeigt die Zweiteilung des deutschen Einzelhandelsmarktes, die durch den Shutdown noch verstärkt wurde. Laut Thomas Kuhlmann, Vorstandsvorsitzender der Hahn Gruppe, will vor allem der Grundversorgungsorientierte Einzelhandel weiter expandieren. Unternehmen aus den Bereichen Lebensmittel, Drogerie, Bau- und Gartenmärkte, Möbel-Häuser sowie die Hobby- und Freizeitbranche würden ständig vor allem auch größere Flächen nachfragen. Das erklärt, weshalb diese Asset-Klasse für viele Investoren als sichere Anlage gilt.

Davon hängt aber auch die bevorzugte Standortwahl ab, denn der Nahversorgungsorientierte Einzelhandel sowie Bau- und Gartencenter oder Möbelanbieter etablieren sich auf Grund der Flächengröße bevorzugt in Lagen am Stadtrand. Vor diesem Hintergrund beurteilt die Mehrheit der Expansionsverantwortlichen aus dem Einzelhandel (56%) derzeit vor allem die Fachmarktzentren positiv. Hier zeigt sich auch, dass es der Lebensmittelhandel seit der Finanzkrise mit seinen Konzepten verstanden hat, auf die Ansprüche der Kunden einzugehen. Und 32% der Befragten gehen davon aus, dass in diesen Lagen alles unverändert bleibt.

Knapp ein Drittel der Einzelhändler (31%) erwartet auch für die Mixed-Use-Objekte eine positive Entwicklung, während 53% davon ausgehen, dass sich diese Objekte gleichbleibend entwickeln. Positiv bzw. gleichbleibend werden auch die Stadtkerne der Mittelzentren (64%) gesehen, die von ihrer Nahversorgungsfunktion profitieren und von den kurzen Wegen zu den Wohngebieten. Es folgen die Toplagen der Oberzentren mit 68% positiver bzw. gleichbleibender Bewertung.

Positive Entwicklung in Mischobjekten erwartet

Etwas ungünstiger wird die Lage der Shopping-Center beurteilt. Nur 6% sehen die Standorte derzeit positiv und 18% erwarten, dass sie sich gleichbleibend entwickeln. Eine Unbekannte bleibt hier – genauso wie in den Top-Lagen vieler Großstädte – wie das Gros der Mieter etwa aus der Mode-Branche durch die Krise kommt. Wie Ralf Peter Koschny, Vorstandssprecher der Bulwiengesa AG in Erinnerung ruft, mussten zahlreiche namhafte Einzelhändler aus dem Bereich Textil und Mode Insolvenz anmelden wie Appelrath Cüpper, Runners Point, Tom Tailer, Reserved und der Warenhaus-Betreiber Galeria Karstadt Kaufhof.

„Dies führt zu einem Flächenüberhang, gerade bei Shopping-Centern und Innenstadtlagen“, stellt Koschny fest. „Bedingt durch Kostenreduzierungsprogramme der Händler ist die Miete extrem unter Druck geraten. Dies führt zu einer Selektion von Standorten durch den Einzelhandel. Die Gewinner sind gut eingeführte Standorte, die eine hohe Anziehungskraft auf die Kunden ausüben.“ Gleichwohl gibt es auch Center-Betreiber, die von einem kontinuierlichen Anstieg der Frequenz in ihren Einkaufszentren und steigenden Umsätzen bei den Mietern berichten. Man kann nicht alle Objekte über einen Kamm scheren.

Unter dem Eindruck der Zwangsschließung, die viele Nonfood-Händler gerade während des wichtigen Ostergeschäfts zur Untätigkeit verurteilte, haben selbst die Nachzügler erkannt, wie wichtig es ist, auch in solchen Zeiten mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben. So hat sich laut Koschny der „Omnichannel-Handel“ als neuer Megatrend etabliert: „Inzwischen setzen fast alle Händler auf einen funktionierenden Online-Kanal.“ Nur durch die Präsenz im Internet sei es möglich der wachsenden Konkurrenz aus dem Online-Handel zu begegnen.

Von Vorteil für den stationären Handel gegenüber den „Pure Playern“ ist jedoch, dass die Kunden heute Services wie „Click & Collect“ oder die Abgabe von Retouren im stationären Handel erwarten. Und das geht nur mit einer Offline-Präsenz vor Ort. Ein weiterer Schritt des stationären Handels in die Zukunft ist denn auch der Megatrend „Digitalisierung“, die es der Branche laut Koschny ermöglicht, die Kosten zu senken. Die Digitalisierung der Abläufe beginnt bei der Steuerung der Warenwirtschaft geht über Self-Check-out bis hin zum Einsatz von Algorithmen zur Erfassung von Kundenwünschen.

Die Rückkehr der jungen Generation mit ihrer Aktion „Fridays for Future“ in die Öffentlichkeit zeigt zudem auch in Corona-Zeiten, dass das Thema „Nachhaltigkeit“ auf der Tagesordnung bleibt und damit auch für den Einzelhandel von Bedeutung ist. Koschny ist überzeugt, dass die verstärkte Anforderungen an die Nachhaltigkeit immensen Einfluss auf die Warenwirtschaft – Stichwort: Verkehre, Verpackungen, Recycling –, auf Produkte und Produktentwicklung wie Bio-Produkte oder nachhaltige Modeproduktion und Unternehmensführung sowie den Umgang mit den Zulieferern hat.

Investoren überraschend optimistisch

Befragt wurden im 15. Retail Real Estate Report auch die Investoren, deren Kaufinteresse und Optimismus laut Kuhlmann überraschend zugenommen haben, die aber wählerisch bleiben. So wollen 58% bis zum Ende des Jahres 2020 „zum bestehenden Immobilienbestand stark bzw. moderat hinzukaufen“. Im Vorjahr lag der Anteil bei 44%. Fast genauso viele wie im Vorjahr (2020: 33%, 2019: 32%) der befragten Anleger will den verwalteten Immobilienbestand halten. Deutlich weniger als im Vorjahr (8% nach 24% im Jahr 2019) wollen im nächsten Halbjahr den Immobilien-Bestand entweder moderat oder stark verkleinern.

Dass die Investoren vor diesem Hintergrund primär auf Formate mit Schwerpunkt Lebensmittel und Nahversorgung setzen, ließ sich bereits in den vergangenen Jahren daran ablesen, dass Fachmärkte und Fachmarktzentren andere Anlage-Klassen vom Spitzenplatz verdrängt haben. Auf der Wunschliste ganz oben stehen laut Report mit 65% der Nennungen Supermärkte und Lebensmittel-Discounter, vor Fachmarktzentren (61%) und SB-Warenhäuser/Verbrauchermärkte (43%). Aber auch Baumärkte und Garten-Center sind gefragt. Dass das Interesse an Geschäftshäusern in 1A-Lagen (26%) und an Shopping-Centern derzeit geringer ausfällt, ist angesichts der Probleme verständlich.

Aus Sicht von Jan Dirk Poppinga, Co-Head of Retail Investment und Chairman des German Retail Boards bei CBRE werden die Pandemie und die Gesamtwirtschaft über die Nachfrage am Investmentmarkt entscheiden. Er geht davon aus, dass das Transaktionsvolumen im Markt für Retail Assets im weiteren Jahresverlauf in den verschiedenen Segmenten einerseits durch ein mangelndes Angebot und andererseits durch eine verhaltene Nachfrage gebremst werden wird. Nicht unerwartet sieht er die meiste Dynamik bei kleineren und mittelgroßen Fachmarktzentren, „die keinen größeren Fashion-Anteil haben, sowie bei Supermärkten und Discountern“, so der Experte.

Nicht zuletzt auf Grund der niedrigen Zinsen (bei Staatsanleihen) und der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird laut Poppinga gleichzeitig der Druck auf die institutionellen Anleger, in Immobilien zu investieren, im Jahresverlauf deutlich zunehmen. „Treiber dieser Entwicklung sind der Nachholbedarf der Investoren auf Grund des verhaltenen zweiten Quartals sowie insbesondere auch die weiterhin niedrigen Niveaus fest verzinslicher Alternativinvestments.“ Davon dürften aus seiner Sicht auch Einzelhandelsimmobilien in Deutschland, als einem der größten Märkte in Europa, profitieren. Zumal das Land bislang auch noch vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen ist.