Nach einem durchwachsenen ersten Halbjahr, das der Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie als schwierig und herausfordernd bezeichnet, erwartet der Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren (BTE), dass sich die Marktbereinigung im zweiten Halbjahr fortsetzt. Für 2024 sind sowohl Industrie als auch Händler positiv gestimmt. Dies sind die Eindrücke der Schuhbranche zur Messe „Shoes“ vom 27. - 29. August 2023 mit knapp 600 Ausstellern auf dem Aral Böhler in Düsseldorf.
Nach den Worten von Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE, wird sich die Verschlankung des deutschen Schuhmarktes im Rahmen der Insolvenzen von Unternehmen wie etwa Görtz und Reno auch in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen, weil einige Marktakteure und weitere Filialen wegfallen werden. Die Zahl der Unternehmen ist, wie Pangels auf der Presse-Konferenz zur Messe Shoes darstellt, gegenüber 2022 um etwa 100 auf rund 2 700 gesunken und die Zahl der Geschäfte ging in diesem Zeitraum deutschlandweit um 450 bis 500 auf rund 9 500 zurück. Weitere Schließungen werden wahrscheinlich noch folgen.
Mut machen laut Pangels allerdings auch die Neueröffnungen, die es selbst in diesen herausfordernden Zeiten gibt – auch wenn deren Zahl die der Schließungen nicht ausgleichen kann. Gründe für die Insolvenzen, die gerade 2023 die Schlagzeilen füllen, sind neben den bekannten Restriktionen zur Corona-Bekämpfung und der fehlenden Nachfolge vor allem im mittelständischen Fachhandel und der ausufernden Bürokratie in Deutschland auch fehlerhafte Entscheidungen der Unternehmer selbst, wie der BTE-Hauptgeschäftsführer nicht verhehlen will.
Wie sehr aber auch die überbordende Bürokratie, für die Deutschland weltweit bekannt ist, vielen Einzelhändlern das Leben schwer macht, erläutert er am Beispiel von Schuhhändlern, die zwar noch weiter machen könnten, die aber wegen der Bürokratie keine Lust mehr haben und ihre Läden schließen. Themen wie die Anforderungen des Lieferkettengesetzes und die Herausforderungen durch das Thema Nachhaltigkeit beschäftigen nach den Worten des Hauptgeschäftsführers des HDS/L, Manfred Junkert, auch die deutsche Schuh- und Lederwarenindustrie.
So belasten nach Feststellung des Bundesverbands der Schuh- und Lederwarenindustrie (HDS/L) die Regulierungsvorhaben der Europäischen Union die Stimmung für das zweite Halbjahr – nicht zuletzt, weil einerseits fraglich ist, ob damit die gesteckten Ziele erreicht werden können und weil andererseits mit den Regulierungen weitere Belastungen auf die Hersteller zukommen werden.
Bei der Erweiterten Herstellerverantwortung (EPR), in der auch die in Schuhen enthaltenen Materialien genannt werden, hofft die Branche darauf, dass kein weiterer bürokratischer Aufwand entsteht, der vor allem die von kleinen und mittleren Betrieben geprägte Schuhindustrie finanziell und in punkto Zeitaufwand zu stark belastet. „Ohnehin stellt die durch Brüssel und Berlin verursachte Bürokratie mittlerweile eine enorme Belastung des Mittelstandes und der gesamten deutschen Wirtschaft dar“, kritisiert der Hauptverband.
Im ersten Halbjahr 2023 konnte die deutsche Schuhindustrie ihren Umsatz – gegenüber dem Vorjahreszeitraum – um 5,4% von 1,11 Mrd. auf 1,17 Mrd. Euro erhöhen. Dabei blieb die Zahl der Betriebe ab 50 Beschäftigte stabil bei 33 und die Zahl der Beschäftigten stieg um 11% von 8 067 auf 8 990 in Deutschland. Einschließlich der kleineren Betriebe arbeiten 17 000 Personen in der deutschen Schuhindustrie. Auch der stationäre Schuheinzelhandel konnte in den ersten sechs Monaten 2023 die Folgen der Corona-Bekämpfung hinter sich lassen und seine Erlöse nach den vorläufigen Hochrechnungen des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren (BTE) nominal um etwa 8,9% steigern. Denn, wie Pangels betont, stehen den Schuhhändlern, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, auch erfolgreiche Unternehmen wie Deichmann oder größere Platzhirsche des Schuhmarktes gegenüber, die teilweise auch bereits wieder über dem Vor-Corona-Niveau liegen.
Es gibt auch erfolgreiche Schuhhändler
Gleichwohl gibt der Spitzenverband zu bedenken, dass die ersten vier Monate des Jahres 2022 noch stark von den letzten Corona-Beschränkungen wie 2G- und 3G-Regelungen geprägt waren und am 24. Februar der russische Angriffskrieg für weitere Irritationen wie die Eintrübung der Kauflaune sorgte. Die Zuwachsraten in den ersten vier Monate 2023 basierten somit auf vergleichsweise niedrigen Werten im Vorjahr und seien daher erwartbar gewesen.
Hinzu kommt die hohe Inflationsrate, die dazu führt, dass viele Schuheinzelhändler preisbereinigt nur knapp im Plus oder sogar im Minus sind. Dass das Statistische Bundesamt nach seinen vorläufigen Zahlen für den deutschen Schuheinzelhandel in den ersten sechs Monaten sogar einen Zuwachs von 17% errechnete, begründet Pangels mit der anderen Berechnungsmethode, die das Amt in Wiesbaden seinen Berechnungen zugrunde legt.
In diesem Jahr war der Geschäftsverlauf der deutschen Schuhhändler in den ersten sechs Monaten vom Auf und Ab der Witterung geprägt. Während die Branche im kühlen Mai ein Umsatzminus hinnehmen musste, begünstigten die hochsommerlichen Temperaturen im Juni den Verkauf von offenen Sommerschuhen. Der verregnete Juli dagegen schuf gute Voraussetzungen für den Verkauf von geschlossenen Schuhen und der Herbst-Winter-Kollektion, während die hohen Temperaturen im August dazu führten, dass die Kunden auf den Schuhkauf verzichteten.
Erfreulich ist in diesem Kontext, dass der stationäre Schuhhandel im ersten Halbjahr 2023 mit der Normalisierung des Einkaufens in den Innenstädten laut Pangels Marktanteile zurückgewinnen konnte. Denn nach den ersten Hochrechnungen des BTE entfielen knapp zwei Drittel der erzielten Umsätze in Deutschland auf die stationären Schuhspezialisten. „Der Online-Handel, der in den Hochzeiten der Pandemie weit über die Hälfte der Umsätze eroberte, kommt aktuell auf einen Anteil von 18“, berichtet der BTE-Hauptgeschäftsführer. Andere Betriebsformen wie die Waren- und Bekleidungshäuser kommen auf einen Umsatzanteil von 17%.
Zu den Problemen, die die Branche derzeit umtreiben, gehören die Kostensteigerungen beispielsweise bei den Mieten (Stichwort: Indexmieten) und den Personalkosten, wobei Pangels zu bedenken gibt, dass gutes Personal im stationären Einzelhandel sehr wichtig und damit auch teuer ist. Und auch die Energiekosten, die zuletzt zwar gefallen sind, liegen immer noch deutlich über den Preisen von 2021. Bei den Erzeugerpreisen hat sich der Auftrieb nach den Worten von Hauptgeschäftsführer Junkert zwar von 6,1% im Jahr 2022 auf 1,7% in diesem Jahr abgeschwächt, doch dämpft der Anstieg der Verbraucherpreise um durchschnittlich 3,1% – der BTE sieht sie sogar bei 5% – die Kauflaune vor allem in der breiten Mittelschicht. Im Luxus-Segment spielt die Inflation dagegen keine große Rolle.
Schlechtere Rahmenbedingungen in den Cities
Zudem berichten viele stationäre Einzelhändler laut Pangels über schlechtere Rahmenbedingungen in den Innenstädten, etwa weil sie schlechter erreichbar sind – Stichwort: ausgedünnter Busverkehr auf Grund von Fahrermangel – und der Mängel bei Sicherheit und Sauberkeit. Die Schuhindustrie, an deren Partnerschaftlichkeit zuletzt 115 Schuheinzelhändler in einem „Offenen Brief“ angesichts ihrer prekären Lage appelliert hatten, wünschen sich von den Händlern mehr Digitalisierung, um schneller an Informationen etwa über die Abverkaufszahlen zu kommen. Und wichtig ist den Herstellern eine schnelle Kommunikationsplattform, um mit den Händlern auf allen Ebenen stetig einen intensiven Dialog führen zu können – über die sporadischen Treffen auf Messen wie der „Shoes Düsseldorf“ hinaus.
Beim Blick auf das zweite Halbjahr ist HDS/L-Hauptgeschäftsführer Junkert nicht optimistisch gestimmt. Er erwartet noch schwierige Monate, unter dem Strich für 2023 insgesamt ab er ein akzeptables Ergebnis. Er blickt dagegen sehr positiv auf das Jahr 2024, da er davon ausgeht, dass es bis dahin gelungen ist, die Kosten für Energie und die Inflation in den Griff zu bekommen.
Auch Pangels geht davon aus, dass die Entwicklung im zweiten Halbjahr zunächst herausfordernd bleiben wird. Was den BTE für die Branche allerdings zuversichtlich stimmt, ist, dass viele Schuheinzelhändler laut Pangels ihre Geschäfte wieder auf Vordermann bringen und das ist nach seiner Beobachtung keine Eintagsfliege. „Auch das Engagement für die Innenstädte nimmt spürbar zu – genauso wie im Bekleidungshandel“, so der BTE-Hauptgeschäftsführer weiter. Und viele würden ihr Online-Engagement forcieren. Das könnte sich vor allem 2024 positiv auswirken. In diesem Kontext weist Ulrike Kähler, Project Director Shoes Düsseldorf darauf hin, dass die Schuhmesse dem Einzelhandel eine gute Plattform bieten kann, um Impulse für den eigenen Laden zu erhalten. Für die Teilnahme der Händler an der Messe wirbt laut Pangels auch der BTE. Positiv bewertet der Verband, dass die Händler wieder mehr Mut fassen. So wollen 44% der Schuhhändler genauso viel ordern wie im Vorjahr und 11% wollen etwa 5% mehr ordern.
Erfolgreiche Handelskonzepte zeichnen sich laut Pangels durch ein adäquates Warenangebot aus, durch die richtige Mischung aus online und offline, also eine ausgewogene Multichannel-Strategie, bei der er in der Branche noch Nachholbedarf sieht, und Dienstleistungen wie Reparaturen oder – im Interesse der Nachhaltigkeit – das Angebot von Up-Cycling-Schuhen. Pangels: „Wir brauchen Läden, bei denen die Leute Freude haben, hineinzugehen.“
Im Trend lagen im ersten Halbjahr 2023 laut BTE vor allem sportive Modelle wie Sneaker und auch Loafer-Typen in allen Standardfarben. Im offenen Bereich waren in diesem Jahr Pantoletten die Favoriten. Weniger gefragt waren dagegen elegante Schuhe, Kinder- und Wanderschuhe, was eher auf eine Sättigung der Nachfrage hindeutet.