Vermietungsmarkt Einzelhandel

Der Markt ist in einer Phase der Neujustierung

Die Pandemie hinterlässt Spuren. Foto: Ruth Vierbuchen

Unter dem Eindruck des wachsenden Online-Handels und verstärkt durch die Folgen der Zwangsschließungen im Nonfood-Handel war die Mieternachfrage zuletzt stetig gesunken, so dass sich der Vermietungsmarkt für Retail Assets vom „Vermietermarkt“ zum „Mietermarkt“ gewandelt hat. Dadurch ist der Druck auf die Spitzenmieten gestiegen. Doch das Ende des langen Lockdowns gibt Hoffnung auf eine Belebung im zweiten Halbjahr.

„Der deutsche Einzelhandelsvermietungsmarkt kommt mit starken Signalen aus dem fast fünfmonatigen Lockdown im ersten Halbjahr 2021“, schreibt der Immobiliendienstleister JLL in seinem „Einzelhandelsmarktüberblick“ für die ersten sechs Monate im zweiten Corona-Jahr 2021. Und BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) konstatiert: Auch wenn es zu früh sei, schon von einer Kehrtwende zu sprechen und viele Händler mit der Restrukturierung und Stabilisierung ihrer Marke und ihres Filialnetzes befasst seien, „spiegelt ein Blick auf das Vermietungsgeschehen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres eine gewisse Aufbruchstimmung wider“.

Getragen wird diese Belebung nach den Worten von Olaf Petersen, Geschäftsführer und Chef der Research-Abteilung von Comfort, nach Überwindung des Lockdowns vom privaten Konsum, der mit den Lockerungen neuen Schwung für Einzelhandel und Gastronomie bringe. Dies umso mehr, als die Bundesbürger in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 mit jeweils 100 Mrd. Euro überdurchschnittlich viel gespart haben. Petersen ist überzeugt, dass ein Großteil des Geldes im zweiten Halbjahr wieder in den Konsum fließen wird. Vorausgesetzt, es gibt im Herbst/Winter keine erneuten Beschränkungen für Nonfood-Handel und Gastronomie.

Der neue Optimismus schlägt sich im Vermietungsmarkt für Handelsimmobilien laut JLL in einem Flächenumsatz nieder, der mit 211 000 qm im ersten Halbjahr um 11% über dem Vorjahresergebnis lag und bei den Einzel-Anmietungen mit 450 den Vorjahreswert sogar um 17% übertraf. Knapp ein Drittel des gesamten Flächengesamtumsatzes oder 66 000 qm entfiel dabei auf die zehn wichtigsten deutschen Einkaufsstädte. An der Spitze stehen dabei Berlin mit einem Volumen von 17 100 qm und Düsseldorf mit 13 500 qm.

BNPPRE ermittelte für die deutschen Innenstadtlagen für die ersten sechs Monate sogar ein Flächenergebnis von etwa 220 000 qm, weist aber auch darauf hin, dass dieser Wert um 24% unter dem Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 lag. Das zeigt, wie sehr die Restriktionen zur Pandemie-Bekämpfung den schon durch die Digitalisierung belasteten Markt weiter beeinträchtigen.

Für Comfort-Geschäftsführer Petersen und seinen Kollegen Manfred Schalk, der bei Comfort für die Koordinierung des Vermietungsgeschäfts zuständig ist, dürfte mit den jüngsten Zahlen das während der Krise „vielbeschworene Licht am Ende des Tunnels deutlich erkennbar“ sein. Dafür sprechen auch die namhaften Vermietungen in den 1A-Lagen selbst in Zeiten der Corona-Krise und die sich durch die Lockerungen nun abzeichnende Erholung des Marktes.

Motive für die Anmietungen im gebeutelten Nonfood-Handel waren Standortverlagerungen bzw. die Optimierung von Lagen und Mieten. Comfort nennt hier expansive Einzelhändler wie Globetrotter, New Yorker, s.Oliver, Calzedonia/intimissimi, Tally Weijl, JD Sports, Decathlon, Söstene Grene, Maison du Monde, Butlers,Teufel Lautsprecher, Dyson, Victorinox, Brillenkonzepte wie den Online-Anbieter Mister Spex sowie Eyes+More und Gastronomie-Konzepte wie Five Guys, Dean & David, L’Osteria, The Ash oder Frittenwerk. Die zahlreichen Schutzschirm- und Insolvenzverfahren zur Filialnetzbereinigung insbesondere im Mode-Handel haben in den Innenstädten Flächen freigesetzt.

„Erfreulich“ ist aus Sicht von BNPPRE zudem, „dass trotz der schwierigen Lage immer wieder internationale Einzelhändler den Markteintritt in Deutschland wagen und in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 15 Deutschlandstarts beobachtet werden konnten“. Beispiele dafür sind die kanadische Bekleidungs-Kette Canada Goose, die japanische Outdoormarke Goldwin, des US-Möbelhändler Restoration Hardware und die Mobilitäts- bzw. Automobilkonzepte Lynk & Co sowie Polestar.

Die Usancen im Vermietungsgeschäft ändern sich

Comfort nennt noch Showroom- und Experience-Konzepte wie Huawei und Xiaomi aus China und den deutschen Traditionshersteller Miele sowie neuartige Concept-Stores wie The Latest, Blaenk oder Vaund.

Der Einzelhandel zeigt mit diesen Aktionen aus Sicht von Dirk Wichner, Head of Retail Leasing bei JLL Germany, „dass er lebendig und innovativ ist und seine Stärken gegenüber dem eCommerce gezielt ausspielen will, um die Menschen mit Genuss und Unterhaltung in die Einkaufsstraßen zu locken“. Dass die Zeiten, in denen die Einzelhändler hohe Summen für Schlüsselgeld bezahlt haben, um an die besonders begehrten Standorte zu kommen, mit der Abschwächung des Vermietungsgeschäfts erst einmal vorbei sind, spielt derzeit den Mietern in die Hände.

So befinden sich nach Beobachtung von Comfort die „Usancen des Vermietungsgeschäfts in einem umfassenden Wandel“, indem die Mietverträge immer flexibler werden: Dazu gehören Umsatzmiet-Komponenten, Sonderkündigungsrechte, kürzere Vertrags-Laufzeiten, Druck auf die klassischen Nebenkosten- und Index-Regelungen. Themen sind auch die Gewährung von mietfreien Monaten sowie Investitionen oder Baukostenzuschüsse durch die Vermieter und bei der Flächenvermarktung gewinnt die Maklervergütung durch die Zahlung von Innenprovisionen durch die Vermieter zunehmend die Oberhand.

Nachdem die Mieternachfrage nach Erkenntnis des Immobilienberaters für viele Städte und Lagen schon vor Ausbruch der Pandemie nachgelassen hatte, hat sich der ehemalige „Vermietermarkt“ mit hartem Konkurrenzkampf um die besten Handelslagen nun endgültig zu einem „Mietermarkt“ gewandelt. Besonders bei Großflächen ab 1 000 qm und vertikalen Geschoss-Strukturen sei der Druck auf die Mieten groß. Laut Schalk befindet sich der Markt in einer „Phase der Neujustierung“.

Dass der Druck auf die Spitzenmieten in den früher stark gefragten Großstädten und Metropolen besonders hoch ist, war während der Shutdown-Phasen an der völlig versiegten Frequenz zu beobachten: Keine Arbeitnehmer in den innerstädtischen Büros, keine Messe-Besucher oder nationale wie internationale Touristen in den Top-Lagen. Laut Schalk liegen die Mieten in vielen Top-Städten in etwa wieder auf dem Niveau von 2010. Etwas entspannter ist laut Comfort die Lage an kleineren Standorten mit regionaler Zentralität.

Druck auf die Spitzenmieten in den Metropolen

„Bei den Spitzenmieten sehen wir nach vielen Jahren auf konstant hohem Niveau eine teilweise Konsolidierung“, bestätigt auch Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany. Das bietet aus seiner Sicht wiederum Optionen für „individuelle Konzepte in den Toplagen“, wodurch die Innenstädte bunter und attraktiver werden. Dem Interesse der Investoren an der Anlageklasse Geschäftshäuser in Top-Lagen tut das laut Scheunemann keinen Abbruch. Die Spitzenrenditen würden je nach Standort zwischen 2,4 und 3,7% liegen.

Laut JLL gaben die Spitzenmieten im ersten Halbjahr 2021 deutschlandweit um 4,7% nach und in den Klein- und Mittelstädten lagen sie um 4,5% unter dem Niveau von Ende 2020. Sofern es keine erneuten Beschränkungen gibt, dürften die Spitzenmieten in den Top-10-Städten demnach konstant bleiben. Laut Wichner kommt es gerade in den Metropolen auf die Rückkehr der nationalen und internationalen Einkaufstouristen an.

Wie BNPPRE auf der Basis von Zahlen von Hystreet.com ermittelte, „lässt sich unter Berücksichtigung der jeweils frequenzstärksten Einkaufsstraßen der sieben A-Städte festhalten, dass die Erholung der Passantenfrequenzen im Vergleich zum Mittelwert der Jahre vor der Corona-Krise im Juni bei rund 90% lag und im Vergleich zum Vormonat Mai um rund 39% Prozentpunkte zugelegt hat“. Das lässt für den weiteren Jahresverlauf hoffen.

Der Blick auf die Branchen mit dem höchsten Anteil am Vermietungsvolumen zeigt laut JLL derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Textil-Branche und den Branchen Gastronomie/Food resp. Lebensmittelhandel, wobei die Anbieter aus dem Textilsektor mit 54 800 qm knapp vorne liegen. Treiber der Entwicklung ist die Expansion der Bekleidungs-Ketten Sinn und P&C. Die Gastronomie und der Lebensmittelhandel mussten sich mit 54 600 qm mit dem zweiten Platz begnügen. Allein der Lebensmittelhandel, der bislang von der Pandemie profitiert hat, mietete 38 000 qm, der Discounter Aldi, der verstärkt in die Innenstadtlagen drängt, mietete acht neue Flächen.

Auf dem Vormarsch sieht der Immobiliendienstleister  auch die Online-Lebensmittellieferanten, die hierzulande für sich noch Nachholbedarf sehen. Dazu gehören Gorillas, Flink und Bring, die sich für die schnelle Zustellung in freien Einzelhandelsflächen in innerstädtischen Randlagen ansiedeln. Auf Flink und Gorillas entfielen in den ersten sechs Monaten demnach 25 Anmietungen in zentralen Innenstadt- und Stadtteillagen. Auf Grund des Nachholbedarfs stehen laut Scheunemann internationale Spieler wie Getir, Wolt oder Knuspr schon für die Expansion in Deutschland bereit.

Beim Blick auf die zweite Jahreshälfte stellt BNP Paribas Real Estate zusammenfassend fest, dass sich die Ausgangssituation des Vermietungsmarkts für Retail Assets derzeit positiver darstellt als im Jahr 2020, auch wenn das Niveau von 2019 noch nicht erreicht wird. Aber die Leerstände in vielen Einkaufsstraßen würden Chancen für die Verwirklichung neuer Konzepte eröffnen aber auch Risiken bei der Nachvermietung darstellen. Vieles wird davon abhängen, ob es im Herbst eine weitere Welle gibt.