Krisenfeste Innenstadt

Der lange Weg zur Post-Corona-City

Rostock bietet viel mehr als Handelsangebote. Foto: Comfort

Mit den wachsenden Problemen im Einzelhandel und Filialschließungen werden in den Innenstädten die Frequenzbringer knapp. Mit der Frage, wie die Städte kurz- und langfristig gegensteuern können, um ihre Stadtzentren für weitere Krisen wetterfest zu machen, befasste sich die Studie „krisenfeste Innenstädte“.

Keine Online-Welt könne das reale Gefühl, in einem neuen Kleid vor einem Spiegel zu stehen, ersetzen: Nach den Worten von Marjoke Breuning, Vizepräsidentin des DIHK, hat Corona durch die Phasen der Zwangsschließungen im innerstädtischen Einzelhandel vielen Menschen deutlich gemacht, was Innenstädte alles bieten. Dadurch sei eine neue Wertschätzung entstanden, aber auch die Hoffnung auf neue Anstöße für die Verbesserung der Innenstädte.

Offen zutage getreten sind allerdings vor allem die Probleme, mit denen typische Innenstadthändler wie etwa die Modebranche schon seit längerem zu kämpfen haben und die durch die Zwangsschließungen verschärft wurden. Nicht wenige Einzelhändler haben Schutzschirm- und Insolvenzverfahren genutzt, um kurzfristig aus ihren Mietverträgen herauszukommen und ihr Filialnetz zu verkleinern.

„Der Innenstadt gehen die Frequenzbringer aus“, konstatiert Peter Markert, geschäftsführender Gesellschafter der Imakomm Akademie GmbH in Aalen, bei Präsentation der Studie Krisenfeste Innenstädte, die das Institut für Marketing und Kommunalentwicklung mit Unterstützung des DIHK e.V., des BCSD e.V., des CMVO e.V., des DVWE e.V. sowie des Deutschen Städtetags und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes erstellt hat. An der Studie haben 747 Vertreter und Vertreterinnen von Kommunen und innenstadtnahen Wirtschaftsvereinigungen teilgenommen. Das Gros entfällt dabei auf Klein- und Mittelstädte mit 5 000 bis 100 000 Einwohnern, doch waren auch 118 Großstädte vertreten.

Hinter diesem Verlust an Frequenzbringern und damit auch von Frequenz steht nicht zuletzt der wachsende Trend bei jüngeren Kunden, viele Einkäufe ins Internet zu verlagern und vom Stadtbesuch heute mehr zu erwarten als den reinen Einkaufsbummel durch die Geschäfte. Zumal viele stationäre Innenstadthändler im aktuellen Strukturwandel noch nicht die richtige Mischung aus Erlebniskauf vor Ort und Digitalisierung gefunden haben. Auch wenn die Zwangsschließungen bei vielen Einzelhändlern den Aufbau einer Multichannel-Strategie forciert haben.

In dieser Gemengelage des Übergangs verfolgte die Imakomm mit ihrer Studie die Ziele, „mit konkreten Kennziffern einem umfassenden Schadensbericht der Pandemie mit Blick auf die Cities näherzukommen, Ansatzpunkte für eine schnelle Stabilisierung zu identifizieren und Wege für eine langfristige Weiterentwicklung hin zur Post-Corona-Innenstadt aufzuzeigen“. Dabei gibt es laut Breuning jedoch keine einfache und schnelle Lösung und auch kein Patentrezept. Jede Gemeinde brauche ihre eigenen, auf sie zugeschnittenen Lösungen.

Die Einkaufslagen könnten schrumpfen

Zu den wesentlichen Kennziffern des „Schadensberichts“ gehört, dass in den Städten die innerstädtische Frequenz „nach Corona“ in der Zeit zwischen 9.00 und 18.00 Uhr dauerhaft im Schnitt um 9% und in der Mittagszeit zwischen 12.00 und 14.00 Uhr um 6% zurückgehen und die Zahl der Einzelhandelsbetriebe um 13 bis 14% unter dem Vor-Corona-Niveau liegen wird. Die Einzelhandelslagen würden um 10 bis 12% schrumpfen. Bei den Gastronomiebetrieben wird laut Markert ein Rückgang von 6 bis 7% erwartet und bei der Anzahl der Gewerbebetriebe von 4%.

„Man wird das nicht vollständig ersetzen können“, fürchtet der Imakomm-Geschäftsführer: Am ehesten werde noch die Gastronomie zurückkommen. Die Leerstandsquote wird laut Studie von 10% in der Vor-Corona-Zeit auf 14 bis 15% nach Corona steigen, wobei vor allem B-Lagen mit +15% und C-Lagen mit +21% betroffen sein werden, während A-Lagen mit +8% noch relativ glimpflich davonkommen.

In dieser Lage „brauchen wir weitere Gründe für die Besuche in den Innenstädten“, richtet Markert den Appell an die Stadtplaner, interdisziplinäre Konzepte zu entwickeln, wenn der Einzelhandel – wie gerade jetzt – schwächelt und an Zugkraft verloren hat. Hier kommt aus seiner Sicht einem disziplinübergreifenden Nutzungs- und Lebensraummanagement eine zentrale Bedeutung zu. Des Weiteren plädiert er für ein hauptamtliches Stadtmarketing mit viel Einsatzbereitschaft und für mehr Geschwindigkeit durch autarke Entscheidungen bei der Umsetzung. Ehrenamtliche können die Aufgabe oft schon aus zeitlichen Gründen nicht leisten. Insgesamt sind laut Studie bei der Entwicklung und Vermarktung der Städte neue effektive und effiziente Strukturen notwendig. Und mehr öffentliche Fördermittel, um die Maßnahmen zu finanzieren.

Programme für einen freizeitorientierten Tourismus

Potenzial für die Belebung der Innenstädte sehen die Befragten laut Studie in gezielten Programmen für den freizeitorientierten Tourismus aus dem Umland frei nach dem Motto „das Umland als Gast“. Denn Frequenz sei kein Selbstläufer, sagt Markert, Frequenz müsse geschaffen werden. Mit Blick auf den Geschäftstourismus fürchten die Befragten aber, dass dieser nach Corona auf Dauer abgeschwächt bleiben werde.

Für die kurzfristige Stabilisierung der Innenstädte, die schon notwendig ist, um bei Leerstand einen nachhaltigen Domino-Effekt für die Nachbarschaft zu verhindern, zeigt die Studie eine Reihe von Sofortmaßnahmen auf. Dazu gehört beispielsweise die vereinfachte Nutzung von Außenflächen für den Einzelhandel und von Gehwegen oder Parkplätzen für die Gastronomie, die hier Zelte für Tische und Stühle aufstellen darf. Auch der Ausbau einer fahrradfreundlichen Infrastruktur oder die Verlängerung von Konzessionen für den Außenverkauf gehören dazu.

„Die effektivsten Maßnahmen, um die Gesamtattraktivität der Cities kurzfristig zu steigern, sehen die Umfrageteilnehmer in der Stärkung und Präsentation von regional produzierendem Gewerbe, im Erlebbarmachen von Alleinstellungsmerkmalen der Innenstadt, im Ausbau von Stellflächen für Fahrräder oder in der Ausweitung von Mikro-Events im öffentlichen Raum“, heißt es in der Studie zusammenfassend. Wünschenswert wäre für das Gros der Befragten (72%) aber vor allem, dass die Sonntagsöffnung vom „Anlassbezug“ befreit würde. Das heißt, dass der Einzelhandel auch ohne großes Volksfest oder Messen, die in Corona-Zeiten schwer auszurichten sind, an einigen Sonntagen öffnen darf.

Kontrovers wird das Thema Erreichbarkeit der Innenstädte mit dem Pkw gesehen. Während der Bürgermeister der Kreisstadt Parchim, Dirk Flörke, darauf hinweist, dass es für die Menschen einiger Gemeinden aus dem Umland ohne Auto nicht möglich sei, in die Stadt zu kommen, gibt es andere, die sich für die autofreien Innenstädte stark machen. Hier empfiehlt die Studie weniger Dogmatismus und eine teilräumliche Betrachtung. Denn auch hier sind Individuallösungen notwendig.

Dass bei der Weiterentwicklung der Innenstädte, der Beseitigung des Leerstands und der Sicherung des Bestands vor allem den Immobilieneigentümern eine Schlüsselrolle zukommt, davon sind 84% der Befragten überzeugt – Stichwort: Miete. Denn zu den Sofortmaßnahmen gehören auch zeitlich begrenzte Mietsenkungen oder Mietstundungen. Und weiter: „Aus Standortsicht wären in den nächsten ein bis zwei Jahren zudem flexiblere Mietmodelle sowie eine dauerhafte Absenkung des Mietniveaus notwendig“, heißt es in der Studie. Dazu gehört auch der Verzicht auf Mieterhöhungen, die Einführung der Umsatzmiete und die Erlaubnis für alternative Nutzungen.

Insofern ist die Weiterentwicklung der Innenstädte maßgeblich von der Bereitschaft der Eigentümer abhängig, nicht nur auf den Wert- und Mietzuwachs ihrer Immobilie zu schauen, sondern auch auf die Qualität des Standorts, die letztlich auch dem eigenen Objekt zugutekommt. Zum Problem wird es nach den Worten von Martina Tittel, geschäftsführende Gesellschafterin der Nicolaischen Buchhandlung in Berlin, dass in der Stadt beispielsweise ganze Straßenzüge Investoren gehören, die nur am Wertzuwachs interessiert sind.

Mehr Frequenz in der City durch weitere Nutzungen

Um die Post-Corona-Innenstadt zu entwickeln, ist es aus Sicht der Vertreter von Kommunen und Wirtschaftsvereinigungen notwendig, das Angebot des Einzelhandels im Interesse der Lebendigkeit durch Wohnungen (90% der Nennungen) zu ergänzen, durch Flächen für Co-Working (60%), durch Aufenthaltsbereiche und Spielmöglichkeiten (79%) sowie Frei- und Grünflächen (56%), damit eine multifunktionale Innenstadt als Ort des Austausches entsteht. Als stabilisierendes Element gilt die digitale Sichtbarkeit, die während der Pandemie zugenommen hat, nach Corona in kleineren Städten aber wieder abnimmt. Insgesamt gibt es beim Ausbau der Innenstädte zu einem solchen „Ort des Austausches“ hierzulande laut Studie noch großen Nachholbedarf.

Mit Blick auf die vielfältigen Aufgaben, die angegangen werden müssen, empfiehlt Bürgermeister Flörke, sich zunächst einen Plan zu machen und eine Strategie zu entwerfen. Er selbst hat in Parchim eine Systemanalyse gemacht, die Verwaltung neu ausgerichtet und die Wirtschaftsförderung neu aufgesetzt. Wichtig ist aber auch das Thema „Gemeinsamkeit“. So müssen laut Tittel auch die Stadtverwaltungen umdenken und erkennen, dass alle Akteure einer Stadt gemeinsam die notwendigen Veränderungen in der Innenstadt herbeiführen müssen. Der aktuelle Leidensdruck könnte die Bereitschaft der Behörden aber erhöhen.

Laut Studie ist die „Post-Corona-Innenstadt“ für die Bewohner der „multifunktionale Lebensmittelpunkt, ein Ort der Gemeinsamkeit und des Miteinanders, ein Wohlfühlort mit Qualität und Ästhetik, ein flexibler Ausprobierort, auch mit neuen Verwaltungs- und Kooperationsstrukturen“ – kurz eine resiliente Innenstadt, die Krisen trotzen kann. Für knapp 90% der Umfrageteilnehmer hat eine solche Innenstadt einen langfristigen Wettbewerbsvorteil, allerdings sehen nur 34% dieses Ziel beim eigenen Standort „auch nur annähernd realisiert“.