Habona Report Nahversorgung

Das Zeitmanagement spielt eine große Rolle

Raum für Entschleunigung ist heute wichtig. Foto: Habona

rv DÜSSELDORF. Lange Jahre prägte – angetrieben von den Discountern - der günstigste Preis den deutschen Lebensmittelmarkt und seine Immobilien. Mit den jungen Konsumenten, die Familie, Beruf, Freizeit und „Quality Time“ unter einen Hut bringen wollen, verändern sich die Ansprüche an die Standorte der Märkte, ihre Aufenthaltsqualität und ihre soziale Funktion, wie der neueste Habona Report zeigt.

Optik, Größe und Lage der deutschen Lebensmittelmärkte haben sich seit den 1950er-Jahren mit dem Wohlstand und den Konsumgewohnheiten gravierend verändert. Nostalgische Gefühle weckt der Tante-Emma-Laden, bei dem der Einzelhändler/die Einzelhändlerin hinter einer ausladenden Theke stand und die gewünschte Ware und Menge abwog und abpackte. Das war sehr umweltfreundlich.

Revolutioniert wurde die „Zeit der Tante-Emma-Läden“ von den Supermärkten mit ihrem Selbstbedienungsprinzip. Die fertig abgepackte Ware im Regal verkürzte die Einkaufszeit erheblich, der Lebensmittelhändler konnte viel mehr Kunden zur gleichen Zeit bedienen und musste an der Kasse nur noch kassieren. Dem Siegeszug der Selbstbedienung hatte Tante Emma nichts entgegen zu setzen.

Die Supermärkte waren in den 1950er- und 1960er-Jahren fester Bestandteil der innerstädtischen Einkaufslagen, ergänzt um die Discounter von Aldi und später Marken wie Lidl, Plus, Penny und Netto, die mit ihrem kostensparenden Ladendesign das Preisniveau revolutionierten und die Supermärkte unter Druck setzten. Mit wachsenden Sortimenten, einem steigenden Flächenbedarf und getragen von der „Automobilität“ der Bevölkerung verließen die Vollsortimenter ab Mitte der 1970er-Jahre die Innenstädte und bauten auf der kostengünstigen grünen Wiese Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser mit Gratisparkplätzen.

Sie distanzierten die Discounter mit der schieren Größe ihrer Sortimente und boten mit ihren No-Name-Produkten ein preisgünstiges Einstiegssortiment auf Discount-Niveau, während die Supermärkte zwischen Großfläche und Discounter aufgerieben wurden. Um ihre Sortimente und die Flächen auszuweiten und Parkplätze zu schaffen, zogen auch die Discounter zunehmend an den Stadtrand. Kleinere Supermärkte und kleinere Discounter blieben als Nahversorger in B-Lagen, Stadtteilen und kleinen Gemeinden zurück. Das damalige Leitmotiv des deutschen Lebensmittelhandels umschrieb sehr treffend der frühere Werbeslogan von Media Markt: „Wir können nur billig“. Das galt auch für die Einkaufsstätten, um die Baukosten niedrig zu halten, und um das günstige Preisniveau widerzuspiegeln.

Mit ihrer hallenförmigen Einfachbauweise und den unspezifischen Standorten weit außerhalb der Innenstädte weckte diese Immobilien-Klasse bei Investoren keine Anlagephantasien. Viele glaubten nicht, dass die „Flachmänner“ 30 Jahre halten würden. Diese Einschätzung hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. „Neue demografische Trendgruppen lösen die noch von Sparsamkeit und Genügsamkeit geprägte Nachkriegsgeneration ab“, stellt der Dienstleister JLL fest: „Die stark gestiegene Nachfrage nach Bio, Fairtrade, Regionalem oder Superfood macht den Einkauf nunmehr immer mehr zur Bühne von politischen und sozialen Einstellungen.“

Neue demographische Trendgruppen prägen den Markt

Zahlreiche Lebensmittelskandale, die Diskussion um den Klimawandel und der wachsende Wohlstand haben das Qualitätsbewusstsein der Bundesbürger jedenfalls bei Lebensmitteln in den vergangenen zehn Jahren steigen lassen. Mit der Digitalisierung und dem Smartphone entstand die vernetzte Gesellschaft, wie es im neuesten Habona Report heißt, die es jedem ermöglicht, zu jeder Zeit zu arbeiten, mit jedem zu kommunizieren und soziale Kontakte zu knüpfen und immer mehr in immer kürzerer Zeit zu erledigen. Mit der Konsequenz, dass der individuelle Mobilitätsbedarf steigt. Die Reisezeit resp. die zurückgelegte Reisestrecke der Bundesbürger hat sich in den vergangenen 15 Jahren im Zuge der Globalisierung um fast 20% erhöht.

In einer Welt, in der immer mehr erledigt werden kann, wird nach Erkenntnis des Habona Reports „Zeit zur Mangelware“. Für viele junge Konsumenten gilt es, Familie, Beruf, Freizeit und den Wunsch nach „Quality Time“ in der man der Familie, dem Partner oder Freunden besondere Aufmerksamkeit schenkt, unter einen Hut zu bringen. Das wirkt sich auch aufs Einkaufen aus. „Während die Wege der Deutschen immer länger werden, haben sie den Einkauf als willkommene Zeitsparmöglichkeit entdeckt, und zwar um rund 20% in 15 Jahren sowohl durch kürzere Einkaufswege als auch weniger Einkaufsvorgänge“, heißt es im Report weiter.

Deshalb gehört in der Standort- und Marktanalyse das Erkennen der Mobilitätsmuster der jungen Konsumentengeneration heute zur neuen Disziplin. „Denn Veränderungen bei der Verkehrsmittelwahl wirken sich ganz konkret auf den Anspruch an Standorte und die Nutzung von Immobilien aus“, schreibt Habona. Und in der Tat geht in den großen Städten der Trend verstärkt zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, zum Fahrrad und es wird häufiger zu Fuß gegangen. Die Menge, die eingekauft und transportiert werden kann, ist damit begrenzt. Laut Habona Report wird vermehrt „an den Schnittstellen von Arbeit, Verkehr und Freizeit, meist spontan und ungeplant“ eingekauft. Das Stichwort bei Handelsimmobilien lautet deshalb „Anpassungsfähigkeit“.

Die Gewinner dieser Entwicklung sind laut Studie die klassischen Nahversorger wie der Lebensmittelhandel, die Drogeriemärkte, die Gastronomie und die Gesundheitsdienstleister. Obwohl diese Branchen ihren Umsatz in den vergangenen zehn Jahren bereits um 40% erhöhen konnten, registrierte die GfK für 2019 ein erneutes Erlöswachstum von real über 2%. Dieser Trend zeichnete sich auch bereits während der Finanzmarktkrise 2008/09 ab, als sich der Lebensmittelhandel vergleichsweise gut behaupten konnte. Abgesehen davon, dass der tägliche Bedarf auch in Krisenzeiten gedeckt werden muss, wollten sich die Menschen in der schwierigen Phase zumindest ein gutes Essen leisten.

Ganz neue Ansprüche an die Handelsimmobilien

Hinzu kam bei Lebensmittelhändlern wie Rewe die Erkenntnis, dass niedrige Preise allein nicht ausreichen, um auf Dauer erfolgreich zu sein und immer mehr Menschen bereit sind, für Qualität und Convenience mehr Geld auszugeben. Wettbewerber Edeka hatte insbesondere bei seinen Supermärkten schon länger mit Erfolg auf diese Karte gesetzt. Auch die Drogeriemärkte verfolgen seit Jahren ein Trading-up und inzwischen folgen auch die Discounter, die gegenüber den aufgewerteten Supermärkten zuletzt Boden verloren hatten.

Diese Botschaft müssen mit steigendem Wohlstand und Qualitätsansprüchen heute auch die Handelsimmobilien vermitteln. Wie JLL im Habona Report schreibt, müssen „Projektentwickler in der Folge immer anspruchsvollere Baubeschreibungen der Mieter umsetzen“. Themen wie umweltfreundliche und energieeffiziente Baukonstruktionen aus Holz wie sie etwa der Regensburger Entwickler Ratisbona aufsetzt, sind auch bei Fachmärkten und Fachmarktzentren mit Nahversorgungsschwerpunkt von Bedeutung. Nach JLL-Definition gehören dazu alleinstehende Supermärkte und Discounter, Fachmarkt- bzw. Nahversorgungszentren unter 5 000 qm sowie Agglomerationen mit einem Lebensmittelmarkt als Anker und Nahversorgungscharakter.

Attraktive Architektur, Helligkeit und Energieeffizienz prägen diese Immobilien-Klasse, von denen zahlreiche noch Wertsteigerungspotenzial bieten, durch Aufwertung, Erweiterung oder Neubau. Die Anlage-Klasse rüstet sich für die Langfristigkeit. Zumal sich inzwischen auch bei den Investoren herumgesprochen hat, dass etablierte, gelernte Nahversorgungsobjekte auch außerhalb der Top-Lagen von Metropolen Core-Charakter haben. Laut JLL bietet die höhere Flächenproduktivität in attraktiven Immobilien die Chance, höhere Mieten zu kalkulieren und längere Mietvertragslaufzeiten zu verhandeln, „die durch die gute Ertragslage der Mieter gedeckt sind“.

„Insofern ist eine gesunde Synchron-Entwicklung von Umsätzen, Baukosten, Mieten und Immobilienpreisen zu verzeichnen“, schreibt JLL: „Die rasch anwachsenden Baukosten können dabei allmählich durch höhere Immobilienpreise ausgeglichen werden.“ Etwa 2,5 Mrd. Euro wurden 2019 in Nahversorgungsimmobilien investiert.

Da der Erfolg von Handelsimmobilien maßgeblich davon abhängt, wie sie bei den Kunden ankommen, hat der Habona Report deren Ansprüche analysiert. Demnach erwarten die Menschen „individuelle Mehrwerte wie Komfort, Sicherheit, Schnelligkeit, Authentizität oder Entschleunigung“. Dazu gehört, dass der Nahversorger gut erreichbar ist und es möglich ist, Erledigungen zu koppeln. Auch soll der Lebensmittelmarkt als sozialer Treffpunkt geeignet sein, vor allem für ältere Menschen, die ihn täglich fußläufig erreichen können. Mit Blick auf den Zeitstress suchen Konsumenten aber auch Räume, um sich eine kurzfristige Auszeit zu nehmen. Kurz gesagt: Neben der zeitsparenden Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs wird heute der kommunikative und emotionale Mehrwert gesucht.