Markteinschätzung

Das lange Warten auf sinkende Zinsen

Viel Geld ist in den Markt geflossen. Foto: Deutsche Bundesbank

Die Volksweisheit, dass Investoren und Kapitalmärkte regelrecht süchtig nach niedrigen Zinsen sind, wird nach der Zinswende 2022 immer wieder bestätigt. Denn seit große Notenbanken wie die Federal Reserve in den USA, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England zur Bekämpfung der exorbitant gestiegenen Inflationsraten die Leitzinsen stark erhöht haben, starren die Marktakteure unverwandt auf die Entwicklung der Teuerungsraten – augenscheinlich in der Hoffnung, dass bei Erreichen der Zielmarke von etwa 2% die Notenbanken die Leitzinsen wieder drastisch senken werden.

In der Euro-Zone hat sich die Inflationsrate zuletzt der Zwei-Prozent-Marke wieder deutlich angenähert, sodass hierzulande schon seit Anfang dieses Jahres immer wieder darüber spekuliert wird, dass die EZB die Leitzinsen nun bald wieder senken wird. Nachdem der EZB-Rat die ersten Sitzungen in diesem Jahr tatenlos hat verstreichen lassen, verdichteten sich zuletzt die Signale aus dem EZB-Tower in Frankfurt, dass in der Juni-Sitzung ein erster Zinsschritt nach unten erfolgen könnte. Als große Unsicherheit bleibt die Frage, inwieweit die hohen Tarifabschlüsse die Inflationsrate auf Dauer wieder nach oben treiben werden. Auch im arbeitsintensiven Dienstleistungsbereich ist die Teuerung immer noch konstant hoch. So ist es aus heutiger Sicht auch noch nicht sicher, ob der EZB-Rat in seiner nächsten Sitzung Anfang Juni diesen Schritt tatsächlich bereits tun kann. 

Und auch ob dieser eine Zinsschritt im Immobilienmarkt etwas bewirken könnte, ist fraglich, da die ersten Zinsschritte der Notenbanken nach den Zinsspekulationen zu Jahresbeginn bereits eingepreist wurden, worauf auch Jörg HaffnerGeschäftsführer von Qalitypool hinweist. Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings, dass die Federal Reserve in absehbarer Zeit keine Zinssenkungen vornehmen wird, da die Inflationsrate in den Vereinigen Staaten immer noch hoch ist und mit 3,4% im April recht weit von der Zwei-Prozent-Zielmarke entfernt ist. Zudem ist der Arbeitsmarkt in den USA immer noch sehr stabil. Eine zu frühe Zinssenkung könnte die Inflation deshalb wieder befeuern.

Vor diesem Hintergrund hoffen europäische Marktakteure darauf, dass sich die EZB von der bisherigen Reihenfolge löst und als erste vorangeht, um die Zinsen zu senken. Das ist für die Eurozone allerdings nicht ohne Risiken. Denn dadurch vergrößert sich die Zinsdifferenz zu den USA, die mehr Investoren anziehen wird, so dass die Nachfrage nach Dollar steigt. Im Gegenzug gerät der Euro-Wechselkurs unter Druck, was wiederum Importe, die in Dollar bezahlt werden müssen, verteuert, so dass auch in Europa die Inflation wieder steigen könnte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die zentrale Frage, warum die Inflationsrate in Europa über einen so langen Zeitraum von mehr als zehn Jahren so niedrig bleiben konnte, teilweise deflationäre Tendenzen aufwies und die niedrigen bis negativen Leitzinsen der EZB nicht zu einem Anstieg der Teuerungsraten bei den Lebenshaltungskosten führte. Viele Marktakteure kamen vor diesem Hintergrund bereits zu der Überzeugung, dass Zinsen – nicht zuletzt auch auf Grund des demographischen Wandels und der damit einhergehenden Geldflut – auf Dauer passé seien.

Grund für die niedrigen Inflationsraten

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, die Dachorganisation der Zentralbanken, wies in diesem Kontext darauf hin, dass vor allem die reibungslos laufende internationale Arbeitsteilung ursächlich dafür war, dass es bei den Lebenshaltungskosten keine nennenswerte Teuerung gab. Gleichzeitig wurde von Seiten der EZB konsequent ignoriert, dass es in der Euro-Zone in Folge ihrer ultralockeren Geldpolitik auf den Vermögensmärkten zu erheblichen Preisübertreibungen kam. Nach den Zahlen des Verbands der Pfandbriefbanken (VdP) haben sich beispielsweise die Preise für Wohnimmobilien in den deutschen Metropolen seit 2010 mehr als verdoppelt. Bis zum Gipfelpunkt der Preissteigerungen entspricht das einer jährlichen Inflationsrate von fast 10%.

Die Preise für Gewerbeimmobilien erhöhten sich im Durchschnitt um 55%. Diese Spitzenpreise sind allerdings nicht mehr kompatibel mit dem seit der Zinswende im Sommer 2022 erreichten neuen Niveau bei den Bauzinsen von deutlich über 3%. In einigen Immobilienmärkten haben hier bereits Preisanpassungen stattgefunden, in anderen eher weniger. Viele Marktakteure gehen offenbar davon aus, dass mit sinkenden Inflationsraten die gute alte Niedrigzinszeit zurückkommt.

Eine negative Folge dieser Niedrigzinspolitik war in der vergangenen Dekade die systematische Umverteilung des Vermögens von unten nach oben. Immer weniger Haushalte konnten sich auf Grund der explodierenden Preise vor allem in den angespannten Märkten noch Wohneigentum zur Alterssicherung leisten. Zudem warfen die typischen Anlagen der breiten Bevölkerung wie Tagesgeld, Festgeld, Bausparverträge und Lebensversicherungen keine Verzinsung mehr ab und auch das Modell der Betriebsrente war für die Unternehmen kaum noch zu stemmen. Nur große Vermögen konnten sich eine rentable Anlage leisten.

Die negativen Folgen der langen Niedrigzinsphase

Dass eine solche Entwicklung den sozialen Frieden in einer Volkswirtschaft auf Dauer untergräbt, ist klar – zumal auf Grund des sogenannten TINA-Effekts bei Immobilien (there ist no alternative) das geballte Interesse finanzstarker Haushalte, ihr Vermögen vor dem schleichenden Verfall durch die Investition in Wohnimmobilien mit auskömmlichen Mieten zu retten, seit Jahren mit dem Bedarf breiter Bevölkerungsschichten an bezahlbarem Wohnraum konkurriert.

Die massenhafte Umwandlung von bezahlbaren Bestandswohnungen in hochwertige Eigentumswohnungen während der Boom-Phase haben den Mangel spürbar vergrößert und neu gebaut wurden vor allem hochpreisige Wohnungen. So ist schon geradezu logisch, dass es am Ende der langen Boomphase in Deutschland zu wenig „bezahlbare“ Wohnungen gibt. Gleichzeitig haben die hohen Marktzinsen zahlreiche Entwickler in die Insolvenz schlittern und die Baugenehmigungen einbrechen lassen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich mit Blick auf die Markterwartungen die Frage, wie realistisch es tatsächlich ist, dass die Inflationsrate und mit ihnen die Leitzinsen in der nächsten Zeit weiter deutlich sinken? Die Antwort auf diese Frage gibt die Diagnose der BIZ, wonach die reibungslos laufende Globalisierung das Preisniveau in der Vergangenheit niedrig gehalten hat. Nach den Folgen der Covid-19-Pandemie, den Verwerfungen durch die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, den Angriffen von Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer und die geopolitischen Spannungen zwischen den Blöcken in Ost und West ist klar, dass die Lieferbeziehungen und die internationale Arbeitsteilung auf unabsehbare Zeit gestört bleiben, so dass Inflation und damit auch höhere Marktzinsen in Zukunft ein zentrales Thema bleiben werden. Darauf müssen sich die Marktakteure einstellen.