Das Interview

Das Gegenteil von Ladenbau ist Inszenierung

Foto: Schwitzke

Gespräch mit dem Architekten, Designer und Generalunternehmer Klaus Schwitzke über die aktuellen Herausforderungen, die richtigen Strategien und den Einzelhandel von Morgen.

Steffen Gerth/HIR: Herr Schwitzke, nach zweieinhalb Jahren Pandemie ist immer noch kein Ende in Sicht. Das Leben vieler Menschen hat sich verändert, wie wirkt sich das auf den Einzelhandel aus? Brauchen wir etwa größere Läden, weil die Kunden Abstand halten wollen?

Klaus Schwitzke: Das Thema Abstand spielt keine Rolle mehr. Vielmehr gab es auch schon vor der Pandemie den Trend, dass die Konsumenten in den Läden mehr Platz bekamen, in allen Branchen. Aber, dass man dafür auf Ware verzichtet, ist abhängig von der jeweiligen Konzeption. Ein Deichmann verzichtet nicht auf Ware, um hier nur ein Beispiel zu nennen.

Also gibt es keine pandemiebedingten Auswirkungen auf den Ladenbau?

Ladenbau ist etwas für Schreiner! Wir machen Markenentwicklung und gestalten Markenpersönlichkeiten. Der Begriff „Ladenbau“ ist einengend und meint in erster Linie Warenträger, als ein Produkt, das hilft, die Ware zu präsentieren. Das war immer zu wenig, jetzt erst recht. Das Gegenteil von Ladenbau ist Inszenierung.

Meinen Sie mit Inszenierung etwa den Flagship-Store von Hilfiger auf dem Kurfürstendamm in Berlin, den Sie im Jahr 2021 in Kino-Optik umgestaltet haben? Ist das die Zukunft?

Das würde ich nicht sagen. Einzelhandel ist eine breite, vielfältige Branche. Eine Aldi-Fläche gehört ja auch dazu. Wir dürfen das Thema nicht auf Lifestylemarken verengen. Handelsformate für den täglichen Bedarf haben ja in ihrer jetzigen Form ihre Berechtigung. Selbstverständlich spielt überall Einrichtung eine wichtige Rolle, aber nicht in dem Maße, wie immer behauptet wird. Andere Themen sind wichtig geworden. Wir reden beispielsweise über Digitalisierung, meinen damit aber etwas anderes, als es verstanden wird. Denn die Prozesse, die digitalisiert werden, sind wichtig. Also alles, was man im Laden nicht sieht.

Sie wollen keine Computerterminals in den Läden?

Das ist alles Unsinn. Hier ist vieles versucht worden, auch, um modern und innovativ zu gelten. Aber die Kunden haben das meiste davon nicht angenommen, und das hat inzwischen jeder in der Branche verstanden. Alle haben ihre Smartphones in den Taschen, um damit alles zu erledigen, was man braucht. Warum also sich noch an so ein Terminal stellen? Wichtiger ist hingegen, mit verbesserten digitalen Prozessen den Komfort für die Kunden, zu erhöhen – ohne, dass sie es merken.

Wie denn?

Wenn ich über einen digitalen Prozess meine Wareneinsteuerung verbessern kann, etwa über Künstliche Intelligenz, und damit den Kunden eine genauere Warenverfügbarkeit biete, dann haben sie etwas davon. Aber auch der Kassiervorgang muss komfortabler werden. Die Kunden wollen sich nicht mehr zum Kaufabschluss in eine Schlange stellen. Es geht um einen nahtlosen Kaufprozess, von der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt bis zum Bezahlen, doch der ist oft noch nicht realisiert.

Hier kann der Handel von der Gastronomie lernen, wo man am Platz bezahlen kann, wenn man fertig ist und gehen möchte. Niemand käme auf die Idee, sich erst in irgendeine Schlange anstellen zu müssen. Gerade im konsumigen Bereich wird es im Handel neue Bezahlformen geben, da bin ich mir sicher.

Wie fällt dann Ihre Bilanz für den von Ihnen gestalteten Intersport-Laden im Berliner Center Alexa aus? Dort gibt es viel Technik, etwa digitalisierte Umkleidekabinen.

Ich bin kein Fan davon, da bin ich ehrlich. Aber die Kunden wünschten sich so etwas. Gut hingegen ist dort die digitale Fußvermessung vor dem Kauf eines Laufschuhs. Davon haben die Kunden einen Vorteil, denn das ist guter Service.

Nochmal zurück zum Hilfiger-Store. Steht dieser Laden für die Begriffe „Erlebnis“ und „Inszenierung“, die seit Jahren längst schon phrasenhaft verwendet werden?

Das ist richtig. Dieser Laden ist reine Inszenierung, um die Marke aufzuladen. Daran muss sich aber nicht die komplette Branche orientieren. Für die Marke LFDY (Live fast, die young; Anm. d. Red.) haben wir eine ganz andere Inszenierung gestaltet. Das ist eine junge, dynamisch wachsende Marke, die sich in ihrem internationalen Store in Amsterdam sehr zurückhaltend inszeniert. Der Laden ist minimalistisch, cool, und das Erlebnis besteht darin, dass die Fläche ein Platz für Events ist, etwa Partys mit Rappern. Ziel der Inszenierung ist, dass sich die treue, social-media-getriebene Community im Laden trifft.

Hat die Pandemie überhaupt nicht das Kaufverhalten verändert? Die Passantenfrequenzen werden wohl nie wieder das Niveau von 2019 erreichen.

Auch das sehe ich nicht so. Es hat sehr viel mehr mit der Attraktivität der Innenstadt zu tun. Ja, das Konsumverhalten hat sich verändert, denn viele haben sich daran gewöhnt, dass das Einkaufserlebnis vielfach online besser und komfortabler ist. Es gibt aber zwei Gründe, die Kunden dafür motivieren, in die Läden einer Stadt zu gehen: Erstens für Güter des täglichen Bedarfs, zweitens das Geschäft liegt auf meinem Weg, entweder, weil es sich im Quartier befindet oder auf meiner Pendlerstrecke.

In beiden Fällen entscheiden sich die Kunden gegen den Online-Handel, denn sie fragen sich, bei welchem Einkaufsweg der Komfort höher ist. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn es ums gezielte Einkaufen in der Innenstadt geht. Das ist eine Frage des Entertainments. Dann fragen sich die Kunden: Wovon werde ich unterhalten? Was macht mir Spaß? Wo treffe ich Leute? Und in diesem Bereich muss sich viel verändern, viele Städte müssen ihre Anziehungskraft verbessern.

Das betrifft vor allem Mittel- und Kleinstädte. Was muss dort getan werden?

Der einzelne Händler kann das nicht leisten. Hier muss es vielmehr ein Zusammenspiel mit allen Akteuren der Stadt geben, und dafür braucht es eine Steuerung, ein Management. Die Städte benötigen vielerorts eine bessere, individuellere Gastronomie. Diese ist in den zurückliegenden Jahren von der Systemgastronomie verdrängt worden, weil nur von diesen Unternehmen die Mieten in den guten Lagen bezahlt werden konnte.

Deswegen müssen dort auch die Kommunen unterstützend eingreifen. Beispiel ist Monheim, wo die Stadt Häuser aufkauft, den Umbau vornimmt und damit den Gastronomen die Neuansiedlung erleichtert. Viele Städte müssten ihr Vorkaufsrecht auf Immobilien nutzen, um dort einen entsprechenden Mietermix zu etablieren, der die Innenstadt attraktiver macht.

Die Kommunen müssen unterstützend eingreifen

Aber auch Kulturangebote in jeglicher Hinsicht sind wichtig, es geht vom Straßenfest bis zum Museum. Das motiviert die Menschen, die Innenstädte zu besuchen.

Welche Beiträge müssen Händler leisten? Etwa in Form von schöneren Läden? Und haben sie nach der Pandemie noch das Geld dafür?

Da nenne ich Ihnen das Beispiel des Unternehmens Wöhrl, das erheblich in den Umbau des Stammhauses in Nürnberg investiert, im September wird es neu eröffnet. Dort wird nicht nur der Modebereich erneuert, sondern es werden neue Gastronomiebereiche gestaltet, und sie investieren viel in Services, etwa in eine integrierte Postfiliale, Einpackservice und Personal Shopping bis hin zu Änderungs- und Maßschneiderei. Sie erweitern auch ihr Sortiment, z.B. mit einer hochwertigen Beauty-Fläche, Schuhen und vielen individuelle Pop-Up-Konzepten.

Das ist der neue „Mixed Use“, der in einem großen Haus einfacher zu realisieren ist als in einem kleinen. So ehrlich muss man sein.

Welche Händler in welchen Branchen investieren derzeit noch in ihre Läden?

Die größeren Textilhäuser haben die Notwendigkeit erkannt und gehen in unterschiedlicher Geschwindigkeit in diese Richtung. Das gilt auch für Galeria, allerdings mit bescheideneren Mitteln. Aber auch dieses Unternehmen ist sich bewusst, dass es in Qualität, Services und Gastronomie investieren muss.

Mixed Use ist ein Thema der Stunde?

Ja, und es gibt interessante Konzepte. In Dortmund bietet ein Unverpackt-Laden neuerdings auch nachhaltige Mode an.

Ein weiteres Immobilienthema ist ESG - zumindest wird ständig davon gesprochen. Ist es aber schon in Alltag angekommen?

Es gibt einzelne Leuchttürme, aber dass in jedem Laden eine entsprechende Zertifizierung angestrebt wird, davon kann nicht die Rede sein. In der Breite findet ESG im Handel nicht statt. Der Lebensmittelhandel ist bei diesem Thema sogar weiter als der Nonfood-Bereich.

Wenn wir über die Neugestaltung des Innenstadthandels reden, dann dürfen wir nicht die Mieten vergessen. Hier hängen viele Eigentümer immer noch an Preisen von vor sieben, acht Jahren. Ohne kräftige Nachlässe wird es nicht mehr gehen, oder?

Das lässt sich pauschal nicht behaupten, wenn Sie an eine Stadt wie München denken.

Ja, aber in den Top 7 gelten andere Regeln.

Stimmt. In der Breite ist das Thema Mietreduzierungen drängender. Problematisch sind Städte, wo es offenkundig einen hohen Leerstand gibt, etwa auf dem Westenhellweg in Dortmund. Dort können die Eigentümer nicht mehr die hohen Mieten von einst realisieren.

Bisher gilt im Handel die Regel, dass man alle sieben Jahre seinen Laden renovieren sollte. Fallen diese Zyklen künftig kürzer aus?

Das sehe ich derzeit nicht. Es geht eher in die andere Richtung. Das hängt mit den steigenden Baukosten zusammen und mit dem gestiegenen Qualitätsbewusstsein. Auch unsere Kunden investieren mehr in besseres und deswegen langlebigeres und nachhaltigeres Material. Das gilt besonders für Unternehmen wie Manufactum.

Wenn wir über Ökologie reden, dann müssen wir auch über die Folgen des Klimawandels reden. Wenn es in den Innenstädten immer heißer wird, dann werden die Menschen diese Orte meiden. Ein Schaufenster mit Südseite ist ja eher kontraproduktiv. Müssen Sie das heute berücksichtigen?

Das mussten wir schon immer. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Händler betreut, die ihre Lichtkonzepte auf LED umgestellt haben. Erstaunlicherweise gibt es aber immer noch etliche, die trotz öffentlicher Förderung hier keinen Handlungsbedarf sehen. Dabei sorgt LED für einen deutlich verminderten Wärmeeintrag innerhalb des Ladens. Entsprechend braucht man nicht mehr so eine starke Klimaanlage. Das zusammen sorgt für eine bessere Co2-Bilanz.

Sie holen sich für Ihre Gestaltungsarbeit auch Inspirationen in internationalen Handelsstädten. Wo gelingt das derzeit am besten?

In Paris. Hier wird viel getan in der Stadtentwicklung, mit neuen Mobilitätskonzepten, reduziertem Autoverkehr und dem Umbau der Champs-Élysées zu einer großen Flanierstraße. Es ist wichtig und richtig, die Städte lebenswerter zu machen und mehr Aufenthaltsqualität im Straßenraum zu schaffen. Solche Konzepte werden sich belebend auf den Handel auswirken. Die Befürchtungen, dass Geschäfte darunter leiden, wenn Autofahrer manche Straßen nicht mehr ansteuern können, waren schon immer unsinnig.

Das Interview führte Steffen Gerth.