Einzelhandel in Corona-Zeiten

Corona-Pandemie 2020 - ein „Jahr der Extreme“

Der Modehandel ist hart getroffen. Foto: Adler

Auf den ersten Blick kann der deutsche Einzelhandel für das Krisenjahr 2020 mit einem Wachstum von real 3,9% und nominal 5,1% eine beachtliche Bilanz vorweisen, die die Klagen über die verheerenden Folgen der Shutdowns Lügen zu strafen scheint. Doch der Einzelhandel ist eine große Branche, in der Durchschnittszahlen wenig aussagen. Neben Gewinnern gibt es viele Verlierer.

Grund für die vordergründig positive Entwicklung ist das beachtliche Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel mit real 5,1% und nominal +8,1%, was aber auch eine deutliche Inflationsrate erkennen lässt, sowie der Internet- und Versandhandel mit real +31,0% und nominal + 31,9%, der nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes von den Geschäftsschließungen „stark profitiert hat“.

Dem stehen vor allem viele stationäre Einzelhändler aus den Bereichen Textilien, Bekleidung, Schuhe und Lederwaren gegenüber, denen der plötzliche Lockdown Mitte Dezember offensichtlich das Weihnachtsgeschäft verhagelt hat, wofür der Umsatzrückgang von real 39,6% und nominal 41,3% im Dezember spricht. Im Gesamtjahr 2020 blieb die Branche nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes real um 23,4% und nominal um 23,2% hinter dem Vorjahreswert zurück. Auch die Warenhäuser mit ihrem großen Modeanteil am Gesamtsortiment, mussten im Dezember ein Minus von real 26,8% und nominal von 26,2% hinnehmen und im Gesamtjahr einen Erlösrückgang von real 12,8% und nominal 11,9% verkraften.

Gegeneinander aufrechnen lassen sich die Erfolge im Online-Handel, der in diesem Jahr einen Großteil des Weihnachtsgeschäfts an sich ziehen konnte, nicht. Denn hinter den darbenden stationären Einzelhändlern stehen noch die Vermieter, die um ihre Einnahmen fürchten oder freiwillig Mietnachlässe gewähren müssen, die Kommunen, die einen Großteil ihrer Steuereinnahmen einbüßen und die Städte, die um ihre Attraktivität fürchten, wenn aus der phasenweisen Zwangsschließung Leerstand wird.

„Wenn die Bundesregierung jetzt nicht entschlossener als bisher ihre Unterstützungsprogramme an die Realitäten im Einzelhandel anpasst, dann treibt die Coronakrise viele Handelsunternehmen in die Insolvenz“, fasst der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, die Sorgen dieser Einzelhändler zusammen. Die versprochenen Anpassungen bei der Überbrückungshilfe 3 müssten rasch und konsequent umgesetzt werden, da es andernfalls für viele Händler und viele Innenstädte zu spät sei.

Schon während des ersten Shutdowns im Frühjahr 2020 war vielen Mode-Händlern nach dem Verlust des Frühjahrs- und Ostergeschäfts die Puste ausgegangen, sodass sie in ein Schutzschirmverfahren oder in eine Insolvenz in Eigenverwaltung gingen. Acht textile Einzelhändler waren nach Feststellung des Kreditversicherers Euler Hermes in den ersten neun Monaten in die Insolvenz geschlittert. Dazu gehören Namen wie Esprit, Tom Tailor Group, Appelrath Cüpper und die Hagener Sinn GmbH, um nur einige zu nennen, die sich im Zuge der Insolvenz neu aufgestellt haben. Ein Schwerpunktthema war dabei zweifellos die forcierte Digitalisierung.

Das Weihnachtsgeschäft 2020 sollte es eigentlich richten

Hinzu kam der Warenhausbetreiber Galeria Karstadt Kaufhof, der während der Zwangsschließungen wöchentlich 80 Mio. Euro an Umsatz einbüßte, der aber nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit erheblichen Einschnitten und Filialschließungen Ende September wieder durchstarten wollte – genauso wie die Mode-Händler. Bei diesem Neustart wäre dem Weihnachtsgeschäft nach den Worten von Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz, eine wichtige Rolle zugekommen, weil sich das Geschäft im Jahresverlauf nur schleppend erholt hatte. Wie die oben genannten Zahlen für den Dezember aber zeigen, hat der Shutdown am 16. Dezember diese Hoffnung zunichte gemacht.

So kommt es nicht überraschend, dass die Bundesregierung dem Warenhausbetreiber mit einem Nachrangdarlehen in Höhe von 460 Mio. Euro unter die Arme greifen muss und sich gegen Kritiker mit dem Argument wappnet, dass die Warenhäuser für viele Fußgängerzonen unverzichtbare Magneten und für die Attraktivität der Innenstädte von Bedeutung sind. Auch Thomas Roeb, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, verteidigte in einem Interview mit der Wirtschaftswoche mit Blick auf die gravierenden Folgen für den gesamten innerstädtischen Einzelhandel die staatliche Unterstützung: „Das Warenhaus ist nicht überflüssig, sondern spielt eine zentrale Rolle für die Stabilisierung der Innenstädte. Die Cities sind komplexe wirtschaftliche Öko-Systeme, bei denen sich nicht einfach ein Element ohne große Gefahr für die übrigen Elemente entfernen lässt.“

Das zeigte sich aus seiner Sicht schon während des „Lockdowns light“ im vergangenen November, als durch die Schließung der Gastronomie auch im Einzelhandel die Frequenz spürbar nachließ. Zum innerstädtischen Einkaufsbummel gehört nun mal auch dieser Freizeitaspekt.

Adler will sich in der Insolvenz sanieren

Wie angespannt die Lage für viele Händler in der Corona-Pandemie bleibt, zeigt zu Beginn dieses Jahres die Adler Modemärkte AG, die im zweiten Shutdown in die Überschuldung geraten ist und deshalb auch versuchen will, die Krise durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu überwinden. Wie das Unternehmen mitteilte, war es ihm trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, seine Liquiditätslücke über eine Kapitalzufuhr durch staatliche Unterstützungsfonds oder durch Investoren zu schließen. Ein weiterer Fall – aber aus einer anderen Branche - ist die vorläufige Insolvenz in Eigenregie der Marken Arko Confiserie, Eilles (Kaffee und Tee) und der Süßwaren-Kette Hussel, die alle zur Deutschen Confiserie Holding (DCH) gehören.

In diesem Umfeld hat auch die europäische Parfümerie-Kette Douglas Ende Januar ihre Pläne verkündet, das europaweite Filialnetz aus 2 400 Geschäften bis Ende September 2022 um 500 Standorte zu verkleinern und die Organisationsstruktur zu verschlanken. Zwar liegt der Schwerpunkt der Schließungen vor allem in Spanien und Italien, doch werden auch in Deutschland etwa 60 der 430 Shops geschlossen. Mit der Überprüfung seines Filialnetzes reagierte das Unternehmen auf das während der Pandemie deutlich veränderte Verhalten der Verbraucher, die seit dem ersten Shutdown immer mehr übers Internet bestellen, auch nachdem die stationären Geschäfte nach der Wiedereröffnung gut besucht waren.

Durch den stark wachsenden eCommerce gelang es Douglas den Covid-induzierten Einbruch im stationären Geschäft nach den Zwangsschließungen auf -6,4% zu drücken. Bei einem Konzernumsatz von 3,2 Mrd. Euro wurden im Geschäftsjahr 2019/20 (30.9.) bereits 822 Mio. Euro im Online-Verkauf erzielt. Im Kalenderjahr 2020 erreichte der Online-Umsatz 1 Mrd. Euro. Die stationären Geschäfte punkten laut Douglas mit Erfahrung, Service und Beratung sowie „Click & Collect".

In dieser schwierigen Lage fordert der HDE von der Politik eine langfristig tragfähige Strategie für den Umgang mit der Pandemie und Planungssicherheit. Laut HDE-Hauptgeschäftsführer Genth brauchen die Unternehmen Verlässlichkeit: „Wir benötigen einen transparenten Plan für einen Ausstieg aus dem Lockdown, der sich an realistischen und fundierten Indikatoren orientiert. Wir fordern eine Öffnungsstrategie“. Und eine solche Öffnungsperspektive dürfe nicht hinter verschlossenen Türen erarbeitet werden, sondern auf Grundlage einer breiten Debatte.