Fashion-Handel 2030

Wie sieht der Modehandel von Morgen aus?

Inszenierung auf der Fläche. Foto: Messe Düsseldorf

 

rv DÜSSELDORF. Der Online-Anteil am Umsatz mit der Mode wird bis 2030 drastisch steigen. Auch bei den stationären Einzelhändlern. Das wird sich unweigerlich auf den Flächenbedarf auswirken. Und das wird auch die Stadtentwicklung vor neue Herausforderungen stellen.

Die Zwangsschließungen zum 16. Dezember 2020, mitten im Weihnachtsgeschäft, haben beim deutschen Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren tiefe Spuren hinterlassen. Unter dem Strich bleibt im Dezember ein Umsatzrückgang von real -39,6% und für das Gesamtjahr von real -23,4%. Wie sich die Lage in diesem Jahr weiterentwickelt und wie viele Unternehmen am Ende übrigbleiben, wird auch davon abhängen, ob die Staatshilfen ankommen.

In diesem schwierigen Umfeld hat sich die KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Kooperation mit dem Kölner EHI Retail Institute mit der Frage befasst, wie sich der Mode-Handel in den nächsten zehn Jahren entwickelt und wie Modehandel und Innenstädte im Jahr 2030 aussehen werden. Dabei sei es notwendig gewesen, die überdominante Gegenwart zur Seite zu schieben, räumt Stephan Fetsch, Head of Retail und Consumer Goods bei der KPMG AG im Vorwort zur Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“, ein.

Die zentralen Themen der Branche wie Kundenorientierung, Digitalisierung und Emotionalisierung des Leistungsangebots und Nachhaltigkeit haben aber auch in Zeiten der Pandemie nichts von ihrer Bedeutung verloren, wie der Geschäftsführer des Handelsverbands Textil (BTE), Prof. Siegfried Jacobs, schreibt. Zwar werde die Branche im Zuge der Pandemie-Bekämpfung durch die politischen Maßnahmen stark eingeschränkt, doch müsse sie nach Überwindung der Pandemie ihr unternehmerisches Handeln an der Gestaltung der Zukunft ausrichten.

Und die wird derzeit – und wohl auch künftig – vom Online-Handel mitgeprägt, ein Trend, der durch die aktuellen Zwangsschließungen verstärkt wird. Viele angestammte stationäre Akteure der Branche stehen laut Studie deshalb vor großen Herausforderungen. „Bereits in zehn Jahren wird der Mode-Online-Handel einen ebenso hohen Marktanteil aufweisen wie Modegeschäfte vor Ort“, schreiben die Autoren der Studie. Nach Einschätzung von Marco Atzberger, Mitglied der EHI-Geschäftsleitung, bedeutet der Umsatzrückgang im stationären Bereich für den Handel, dass er seine stationären Flächen reduzieren muss.

Im vergangenen Jahr erreichte der Online-Handel mit 16,5 Mrd. Euro einen Anteil von 25% am gesamte Modeumsatz von 66 Mrd. Euro. Dabei zählen die Forscher die „Pure Player“ und die Online-Shops der Hersteller dazu. Hinzu kommen anteilig die Hybridformen aus Online- und stationären Angeboten. 2025 erreicht der Online-Vertrieb des Mode-Verkaufs nach Schätzung der Forscher mit 29 Mrd. Euro einen Anteil von 40% am Gesamtumsatz von 72,6 Mrd. Euro, um dann bis 2030 mit einem Umsatz von 39,6 Mrd. Euro mit dem stationären Handel gleich zu ziehen – bei 79,2 Mrd. Euro Gesamtumsatz.

Entsprechend sinken die Erlöse der stationären Geschäfte in der nächsten Dekade von 49,5 Mrd. Euro auf gleichfalls 39,6 Mrd. Euro 2030. Allerdings dürften im Zuge des Digitalisierungsdrucks auch immer mehr klassische Anbieter ihr Online-Geschäft ausbauen. Laut Studie gab es 2018 hierzulande 24 346 Filialen, nach 26 039 im Jahr 2017. Die Zahl schwankte in den vergangenen zehn Jahren in der Bandbreite zwischen gut 24 000 und dem erwähnten Spitzenwert von über 26 000 Filialen.

„Für den Handel bedeutet der Umsatzrückgang im stationären Bereich, dass er seine stationären Flächen reduzieren muss“, schlussfolgert Atzberger beim Blick auf den Trend, dass der Marktanteil des Online-Modehandels künftig stärker steigen dürfte als der gesamte deutsche Modemarkt. Dadurch komme es für den stationären Bekleidungshandel zu einem Schereneffekt, das heißt, weniger Umsatz bei gleichen Kosten. Insofern müsste aus Sicht der Autoren der Fixkostenanteil – wie auch die Ladenmieten - dauerhaft gesenkt werden, um eine Harmonisierung beider Vertriebskanäle zu erreichen und Kannibalisierungseffekte zu verhindern.

Ein größeres Angebot an attraktiven Mietflächen

Am stärksten werde diese Verkleinerung der Handelsflächen für Mode die Kaufhäuser und mehrstöckigen Formate treffen, heißt es weiter. Denn für die freiwerdenden Flächen müssen andere Nutzungen gefunden werden. Allerdings dürfte es in Kaufhäusern mit ihren zentralen Lagen Alternativen geben. Denn auch die Kauf- und Warenhäuser arbeiten an neuen Konzepten. Darüber hinaus empfehlen die Experten dringend, weitere Veränderungen bei den Flächen, der Verteilung und der Anzahl der Filialen und natürlich auch bei den Geschäftskonzepten.

Bei ihrer Marktanalyse sind die Autoren auch der Frage nachgegangen, wie der betroffene Einzelhandel selbst die Entwicklung einschätzt. Bei den Interviews gaben Händler an, dass sie eine Flächenreduktion von 50% erwarten und in der Spitze sogar von bis zu 70%. Viele können sich aber auch vorstellen, dass der verbleibende Teil des Mode-Handels in den nächsten zehn Jahren dezentral über die Nahversorgung erfolgen könnte.

Gleichwohl eröffnen die Veränderungen und Krisen der Branche auch Chancen: Es gibt ein größeres Angebot an attraktiven Mietflächen und so die Möglichkeit, „sich durch eine strategische Bereinigung der eigenen Filialnetze, eine Flächenanpassung und eine zielgruppengenaue Ausdifferenzierung der Konzepte – in Verbindung mit smarten digitalen Lösungen – zukunftsfähig aufzustellen“, heißt es in der Studie.

Gleichzeitig birgt der massive Flächenabbau im Einzelhandel große Herausforderungen für die Stadtentwicklung, denn die Vielfalt dürfte abnehmen, was die Frequenz in den Cities mindert und die Attraktivität der Innenstädte schmälert. So weisen die Studienautoren darauf hin, dass die vorübergehenden genauso wie die dauerhaften Teil-Ent-mietungen oberer Etagen in großflächigen Gebäuden von Modehändlern in den Cities aus Sicht vieler Kommunen einen Verlust von Besuchermagneten darstellen. Gepaart mit der zu befürchtenden weiteren Ausdünnung der Filialnetze hat diese Entwicklung Konsequenzen für die verbleibenden Einzelhändler. Denn die Kunden kommen in der Regel wegen der Angebotsvielfalt.

Hinzu kommt ein gleichlaufender Trend der Ausdünnung in anderen Branchen wie bei den Finanzdienstleistern oder dem traditionellen Handwerk, wodurch die Mischung der Angebote abnimmt. Der Vorschlag der Autoren lautet deshalb: „Die Zukunft für Vitalität und Attraktivität in den Innenstädten liegt in Kooperationen aller beteiligter Akteure vor Ort sowie in der Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden.“ Die Cities müssten vital und attraktiv sein und Unterhaltung bieten. Im Gegensatz dazu stehen die Stadtteilzentren und Nahversorgungsbereiche mit ihren Gütern des täglichen Bedarfs, die durch die Pandemie gewonnen haben und die mit ihren kurzen Wegen punkten können.

Das Gros bevorzugt das Modegeschäft vor Ort

Dem stationären Modehandel empfehlen die Autoren – im Interesse von Kundentreue und Vertrauen - stärker in Emotionalität zu investieren und IT-Lösungen zu nutzen. „Ob im Laden oder im Netz, die Kundschaft wünscht ein zielgruppengerechtes und nahtloses Einkaufserlebnis, was für Handelsunternehmen bedeutet, die Systeme geschickt miteinander zu verknüpfen.“ Ein wichtiger Service ist in diesem Kontext, dass die Kunden herausfinden können, ob das gesuchte Kleidungsstück in der gewünschten Größe im Laden vor Ort erhältlich ist.

Über den technischen Fortschritt sollte aber nicht vergessen werden, dass für 60% die Begegnung mit Menschen im stationären Einzelhandel eine immer wichtigere Rolle spielt. Das dürfte nach dem langen Shutdown noch zunehmen. Denn trotz aller Online-Alternativen bevorzugt ein Großteil das Modegeschäft vor Ort.