Das Interview

Chancen für Investoren mit opportunistischer Investmentstrategie

Jörg Krechky Foto: Savills

Im Gespräch mit dem Handelsimmobilien Report spricht Jörg Krechky, Head of Retail Investment Services Germany und Chairman des European Retail Investment Boards bei Savills, über die aktuellen Herausforderungen im Einzelhandel, den Flächenüberhang in Deutschland sowie die Neuausrichtung und Umwidmung von Shopping-Centern.

Handelsimmobilien Report:Herr Krechky, was sind aus Ihrer Sicht derzeit die größten Herausforderungen für den Einzelhandel in Deutschland?

Jörg Krechky: Der Einzelhandel hat schon seit längerer Zeit mit diversen Herausforderungen wie dem eCommerce-Boom zu kämpfen, doch Faktoren wie die Corona-Pandemie, die hohe Inflation, das schwache Konsumklima oder die allgemein schwierige wirtschaftliche Lage haben die Situation für die Händler und die Eigentümer von Retail-Immobilien nicht einfacher gemacht. Allerdings sind nicht nur externe Umstände für die Lage verantwortlich – vielfach wurde es im stationären Einzelhandel verpasst, durch konzeptionelle Änderungen in den Stores auf die veränderten Kundenbedürfnisse einzugehen und sich serviceorientierter aufzustellen. Deshalb sollte man auch die Förderung, zum Teil durch staatliche Subventionen, von nicht mehr zeitkonformen Handelsformaten wie Warenhäuser kritisch hinterfragen, da diese zumeist nicht auf langfristige strukturelle Veränderungen abzielen.

Dennoch hat die nominale Umsatzentwicklung im stationären Handel seit 2016 jährlich um durchschnittlich knapp 4% zugenommen. Eine so wachstumsstarke Periode gab es zuletzt vor 30 Jahren. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der stationäre Handel unter einem strukturellen Problem leidet, das durch die gute Konjunktur in den vergangenen Jahren zwar abgemildert, aber nicht gelöst wurde. So hat spätestens die Coronakrise aufgedeckt, was bislang nur punktuell sichtbar war: Es gibt in Deutschland zu viel Verkaufsfläche – nicht nur lokal begrenzt, sondern flächendeckend. Davon sind die Innenstädte und die Shopping-Center betroffen.

HIR:Warum trifft es derzeit vor allem die Center so stark?

Krechky: Zum einen dürfte sich diese Assetklasse in den nächsten Jahren mit einem überdurchschnittlichen Überhang an Verkaufsfläche konfrontiert sehen. So hat die reine Verkaufsfläche in den deutschen Shopping-Centern in den vergangenen beiden Dekaden um etwa zwei Drittel zugelegt und damit weit stärker als im Einzelhandel insgesamt. Zwar sind zeitgleich auch die Einzelhandelsumsätze in den Centern stärker gestiegen als im Gesamtmarkt, aber nicht im selben Tempo wie das Flächenwachstum – also die in diesem Zeitraum gemieteten Flächen. Folglich gehen wir davon aus, dass die Flächenproduktivität in den letzten 20 Jahren gesunken ist.

Zudem muss man bedenken, dass in den Centern gerade die Branchen überrepräsentiert sind, deren stationäre Umsätze sich in den vergangenen Jahren besonders unterdurchschnittlich entwickelt haben. Hierzu zählt das Bekleidungssegment mit seinen oftmals nicht mehr zeitgemäßen Flächenformaten.

HIR:Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Lage in den Centern zu verbessern?

Krechky: Die Attraktivität vieler Center mag zwar zuletzt gesunken sein und die Herausforderungen haben zugenommen, dennoch gibt es einige Potenziale, um die Situation vielerorts zu verbessern. Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass ein struktureller Verkaufsflächenüberhang nicht mit dauerhaften Leerständen gleichzusetzen ist. Für viele Flächen gibt es Alternativnutzungen und verglichen etwa mit Fußgängerzonen ist die Repositionierung eines Shopping-Centers aufgrund des zentralen Managements einfacher umzusetzen.

Zahlreiche Eigentümer haben bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen, was u. a. an dem stark gestiegenen Gastronomieanteil oder dem Aufkommen von Pop-up Stores zu sehen ist – es wurden Erlebnis-Möglichkeiten geschaffen, die über das reine Einkaufen hinaus gehen. Für manche Center allerdings haben solche punktuellen Maßnahmen im besten Fall eine lebensverlängernde Wirkung.

HIR:Können Sie das näher erläutern?

Krechky: Gerade für Standorte, die bereits heute strukturelle Leerstände aufweisen und die mit weiter schwindenden Umsätzen konfrontiert sind, ist eine Umwidmung des Centers die bessere Option als ein Feintuning. Ich sehe da eine Menge an Nachholpotenzial. Aktuell gehe ich davon aus, dass sich ca. 80% der 493 Center in Deutschland in den nächsten Jahren mit dem Thema Repositionierung auseinandersetzen müssen.

Für ein Repurposing – also die Möglichkeit, ein Center dauerhaft zu transformieren – gibt es ein reichhaltiges Bündel an Optionen. Gerade innerstädtische Center verfügen aufgrund ihrer Zentralität über einen Lagevorteil, der immer interessante Potenziale für eine Repositionierung bietet. In vielen Städten gibt es bei einer Vielzahl von Nutzungen Bedarf – angefangen beim Wohnen mit all seinen Ausformungen über Behörden bis hin zu Logistik. Für jedes Center müssen jedoch individuelle Konzepte anhand der lokalen Nachfrage und Nutzerbedürfnisse entwickelt werden – ein „copy & paste“ ist hier nicht möglich.

HIR:Eine Repositionierung ist in der Regel mit hohen Kosten verbunden. Sind die Investoren bereit, diese Kosten zu übernehmen? Rechnet sich die Repositionierung überhaupt?

Krechky: Viele institutionelle Bestandshalter sind sich bewusst, dass sie um solche Investitionen nicht herumkommen werden, wenn sie ihre Objekte für die Zukunft aufstellen wollen. Falls jedoch die Anleger und Banken für solche Repositionierungsmaßnahmen keine Mittel bereitstellen, dann wird man sich sicherlich von Objekten im Portfolio trennen müssen.

Allerdings kann die Umwidmung von Einzelhandelsflächen langfristig für eine Stabilisierung des Kapitalwerts sorgen. Und dies gilt häufig auch dann, wenn noch gar kein Leerstand zu verzeichnen ist. So sind häufig die Obergeschosse der Center im Fokus von Repositionierungsmaßnahmen. Hier kann ein Investment am Ende auch zu höheren Mieten führen. Da höhere Mieten erzielbar sind, kann somit auch die Rentabilität der Immobilien steigen.

HIR:Was raten Sie den Investoren?

Krechky: Aktuell stehen wir vor einem düsteren Makro-Umfeld aus hoher Inflation, steigenden Zinsen und einer weiterhin möglichen Rezession. Mit schwacher Konjunktur bei gleichzeitig steigenden Zinsen wirken nun zwei parallel wirkende Negativimpulse auf die Immobilienwerte, die sich normalerweise ausgleichen. Hinzu kommen ESG-Richtlinien als teilweise unbekannte Investitionsgröße. Dies sind womöglich Gründe dafür, warum sich die Krise relativ schnell in steigenden Immobilienanfangsrenditen niedergeschlagen hat und die Phase der Preisanpassung andauert.

Je nach Zinsentwicklung rechnen wir für Shopping-Center im Core-Segment mit einem Renditeniveau von 5,2 bis 5,5% – ein Preisniveau wie zuletzt 2005. Risikobehaftete Objekte könnten ein Niveau zwischen 7,5 bis 9,0% erreichen, wobei sich die relativ große Spanne aus unterschiedlichen Revitalisierungsmaßnahmen und damit verbundenen Kosten an den Standorten ergibt.

HIR:Gibt es denn derzeit Interessenten ifür solche Center m Markt?

Krechky: Für Investoren mit opportunistischer Investmentstrategie bietet das aktuelle Marktumfeld Chancen: Insbesondere in der Phase der Preisbildung können bei wenig Wettbewerb Standorte mit Perspektive gesichert werden. Die Repositionierung erfordert allerdings Know-how und umfassende Kenntnisse des Standorts und seiner Gegebenheiten, dabei liegt die Zukunftsfähigkeit der Objekte nicht zwangsweise im Handel begründet.

HIR:Ist Retail Repurposing somit das „Zauberelixier“ für Shopping-Center?

Krechky: Wir glauben, dass Retail Repurposing „the next big thing“ am Markt sein kann. Jeder Standort, jedes Center muss dabei individuell geprüft werden und es müssen maßgeschneiderte Konzepte entlang der Nutzerbedürfnisse entwickelt werden. So werden aus reinen Shopping-Tempeln überdachte Quartiere. Auch wenn Repurposing kein Allheilmittel darstellt, eröffnet es zumindest Chancen, Standorte mit neuen Quartieren zu versehen, in denen Leben, Arbeiten und Freizeit unter einem Dach stattfinden. Im Idealfall erfährt die gesamte Mikrolage eine Aufwertung, von der alle Stakeholder profitieren können.