Das Interview

Betriebswirtschaftliche Fehler kann man sich kaum noch leisten

Rolf Pangels

Axel Augustin

Im Gespräch mit dem Handelsimmobilien Report äußern sich Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer und Axel Augustin, Geschäftsführer des Handelsverbands Textil, Schuhe, Lederwaren (BTE), über die Gründe für die aktuelle Misere im innerstädtischen Einzelhandel, Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und die Folgen von Indexmieten.

Handelsimmobilien Report:Als zur Pandemie-Bekämpfung der Innenstadt-Handel 2020, 2021 bis Anfang 2022 zwangsweise schließen musste, haben viele Experten vor den gravierenden Folgen für die Innenstädte gewarnt. Aber erst nachdem die Pandemie abgeflaut ist und es wieder aufwärts zu gehen scheint, kommt es vermehrt zu Insolvenzen. Woran liegt das?

Rolf Pangels (links), Axel Augustin (rechts): Während der Pandemie gab es seitens der Politik einige Hilfen. Mittelständische Betriebe bekamen Überbrückungshilfen, die Großbetriebe erhielten primär KfW-Kredite, die jetzt zurückgezahlt werden müssen. Das belastet die Liquidität ebenso massiv wie die allgemeinen Kostensteigerungen, vor allem im Energiebereich und Personalsektor. Überdies hat die Branche – bei großen Unterschieden – immer noch nicht das Vor-Corona-Umsatzniveau erreicht. Im ersten Quartal liegt der Umsatz im stationären Bekleidungshandel laut Statistischem Bundesamt immer noch um rund 10% unter dem Niveau von 2019.

HIR:Womit könnte man den Einzelhändlern, die gefährdet sind, jetzt helfen?

Vorstellbar wäre aus unserer Sicht, dass etwa für die KfW-Kredite nachträglich ein Zinsverzicht gewährt wird oder längere Rückzahlungszeiträume eingeräumt werden. Es muss darüber hinaus grundsätzlich alles unterlassen werden, was das Wirtschaften des innerstädtischen Einzelhandels erschwert und verteuert. Zu nennen sind etwa die hohen Bürokratieauflagen und Dokumentationspflichten (z.B. für Datenschutz, Arbeitsschutz/Arbeitsrecht, Bauanträge, Energie- und Klimaauflagen) sowie auch exorbitante Tarifsteigerungen im Einzelhandel.

Von den Kommunen verlangt der BTE sinnvolle Maßnahmen zur Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels. Langfristige Pläne und Visionen zum umfangreichen Innenstadt- bzw. Stadtumbau sind zur allgemeinen Attraktivitätsverbesserung zwar richtig und wichtig, brauchen jedoch längere Zeit zur Umsetzung. Während dieser langwierigen „Umbauphase“ der Innenstädte/Städte müssen einfache und schnell realisierbare Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt werden, um den Menschen den Aufenthalt in den Innenstädten wieder angenehmer zu machen. Die Kommunen müssen auch unbedingt an den Basics arbeiten, hier liegt unserer Auffassung nach doch Vieles im Argen. Manchmal reicht z.B. das regelmäßige Leeren von Mülleimern sowie die Beseitigung von Müll und Dreck oder das Bereitstellen öffentlicher Bänke und sauberer öffentlicher Toiletten, um eine angenehmere Aufenthaltsatmosphäre zu schaffen.

Wichtig ist eine Einzelhandelsansiedlungspolitik

Unbedingt notwendig ist zudem eine Einzelhandelsansiedlungspolitik, welche die Innenstädte nicht noch weiter schwächt. Die aktuelle Misere der Innenstädte ist nach unserer Ansicht auch Ergebnis einer über Jahrzehnte extensiv betriebenen Einzelhandelsflächenausweitung außerhalb der Städte etwa in Gewerbegebieten und auf der grünen Wiese.

HIR:Welche Rolle spielen die (indexierten) Mieten und die Vermieter in der heutigen Lage?

Eine sehr entscheidende Rolle! Indexierte Mieten belasten gerade die ohnehin stark belasteten Großbetriebe, die ja in der Regel ihr Geschäft in angemieteten Räumen betreiben. Das Insolvenzrisiko wird dadurch verschärft. Vermieter müssen unbedingt berücksichtigen, dass die Branche noch nicht auf dem Niveau von 2019 ist und etliche Geschäftsmodelle betriebswirtschaftlich stark unter Druck stehen. Ansonsten sägen die Vermieter an dem Ast, auf dem sie sitzen!

HIR:Sind die Folgen der insolvenzbedingten Filialschließungen in den Innenstädten zu beobachten?

Ja, in der Tat. Mittlerweile sind schon viele Geschäfte und Filialen im Räumungsverkauf oder sogar schon geschlossen. Die Anzahl der Ladenleerstände hat nach Kenntnissen des BTE in den letzten Monaten zugenommen. Die Kommunen versuchen mit zahlreichen Maßnahmen des Leerstandsmanagements entgegenzusteuern, was zu loben ist.

HIR:Im jüngsten Vermietungsmarktbericht hat sich gezeigt, dass wieder mehr Textileinzelhändler vor allem große Flächen anmieten. Was steckt hinter dieser Strategie? Und wer expandiert noch?

Zum einen werden durch die Insolvenzen in attraktiven Lagen Flächen frei, die vorher nicht verfügbar waren. Das kann Unternehmen zum Standortwechsel motivieren, die vorher in schlechteren Lagen angesiedelt waren – insbesondere, wenn die Mieten günstiger geworden sind. Aber auch expansive neue (internationale) Marken haben dadurch eine Chance für eine Ansiedlung in guten Standortlagen.

Zum anderen beobachten wir bei einigen Filialisten einen Trend zu großen Flagship-Stores zu Lasten von mehreren kleineren Filialen. Ein Grund könnte sein, dass die Organisation bzw. das Betreiben einer großen statt mehrerer kleinerer Flächen angesichts des zunehmenden Personalmangels leichter zu bewerkstelligen ist.

HIR:Unter dem Eindruck des früh einsetzenden endlosen Sommers 2018 hat der Einzelhandel die zu frühe Belieferung etwa mit Herbst-/Winterware im Sommer durch die Hersteller beklagt und Lösungen eingefordert. Hat sich hier etwas geändert?

Es gibt einen grundsätzlichen Trend, die Warenbelieferung näher an den Verkaufszeitpunkt zu rücken. Die Lieferprobleme in den letzten drei Jahren haben dies allerdings in den Hintergrund geraten lassen. Es war wichtiger, überhaupt ausreichend Ware zu bekommen, der Lieferzeitpunkt war zweitrangig. Mit dem zunehmenden Verschwinden der Lieferprobleme dürfte die bedarfsnahe Lieferung aber wieder in den Fokus rücken.

HIR:Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Mode-Handel und Herstellern?

Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie im Modebereich unserer Wahrnehmung nach gut bzw. besser geworden. Auch wenn nicht alles Gold ist, was glänzt, so konnten vor allem in den letzten drei Jahre viele Probleme partnerschaftlich gelöst werden. Vor dem Hintergrund der Themen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Umweltschutz wird eine stärkere bzw. enge Kooperation von Handel und Hersteller ohnehin künftig immer wichtiger werden. Die Einsicht, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erforderlich ist, verbreitet sich immer mehr.

HIR:Der Bekleidungshandel steckt – unabhängig von den Verwerfungen durch Corona und den Online-Handel – seit Jahren in der Flaute. Gleichzeitig beklagen sich vor allem Frauen, dass sie keine passende Bekleidung finden. Ging die Mode in den vergangenen Jahren oft am Bedarf der breiten Bevölkerung vorbei?

Grundsätzlich war und ist das Bekleidungsangebot im deutschen Handel sicherlich mehr als ausreichend. Man muss aber konstatieren, dass der Modemarkt seit Jahren weitestgehend gesättigt ist. Die Kleiderschränke der Menschen waren und sind, das wissen wir alle, schon lange voll. Hinzu kommt, dass sich die Wertschätzung der Bevölkerung für (gute) Bekleidung gewandelt hat. Die Branche verschlimmerte mit zu frühen Kollektionen und ausgeprägten Preis- und Rabattschlachten die Situation selber auch noch.

Wichtig sind Zusatzangebote und Service

Heute und auch künftig werden die wenigsten Menschen Mode kaufen, weil sie etwas tatsächlich brauchen. Wer also am Markt bestehen will, der muss neben einem ansprechenden Warenangebot - das die breite Bevölkerung emotional anspricht und bewegt – diverse Zusatzangebote sowie einen guten Service und entsprechende Dienstleistungen anbieten. Was die Frauen betrifft: Frauen sind bekanntermaßen viel sensibler bzw. wählerischer beim Modeeinkauf als Männer. Dem Modehandel muss es aber in der Tat künftig gelingen, sich noch besser auf die Bedürfnisse und Wünsche der Frauen einzustellen.

HIR:Wie schätzt der BTE das Jahr 2023 für den Modehandel ein. Gibt es Konzepte, die die Nase in diesen Zeiten vorn haben?

Der BTE geht davon aus, dass es im Jahr 2023 beim Umsatz zu einer weiteren Normalisierung im Modehandel kommt. Gleichzeitig bleiben die Rahmenbedingungen mit wohl weiter stark steigenden Kosten extrem herausfordernd. Betriebswirtschaftliche Fehler kann man sich kaum noch leisten. Entscheidend wird es sein, sich voll auf die Bedürfnisse der eigenen Kundenklientel zu konzentrieren und gleichzeitig ein straffes Kostenmanagement zu betreiben. Konzepte, die einen Mehrwert gegenüber dem reinen Modeeinkauf bieten, werden erfolgreicher sein.