rv DÜSSELDORF. Mit 3,7 Mio. Einwohnern ist Berlin ohnehin die größte Stadt Deutschlands. Zusammen mit den Bewohnern im nahen brandenburgischen Umland bietet sich dem Einzelhandel ein Einzugsgebiet mit 5,5 Mio. Menschen. Hinzu kommt die bundesweit höchste Zahl an Touristen, die auch viel Geld im Einzelhandel lassen. So wurde 2022 auf den 4,9 Mio. qm Verkaufsfläche in der Bundeshauptstadt ein Einzelhandelsumsatz von 23,2 Mrd. Euro erzielt.
Das ist eines der Ergebnisse des neuen Insight Berlin Reports über die Marktlage für Einzelhandelsimmobilien in der Bundeshauptstadt, den der Immobilienberater Comfort in Zusammenarbeit mit der CIMA Beratung + Management GmbH herausgegeben hat. Von anderen deutschen Metropolen unterscheidet sich Berlin vor allem durch seine polyzentrale Struktur. So hat die Stadt mit der Tauentzienstraße und dem bekannten Kurfürstendamm im Westteil und der Friedrichstraße sowie Berlin Mitte im Ostteil von jeher zwei Stadtzentren, deren Bedeutung durch die langjährige Teilung der Stadt in Ost- und Westberlin noch verstärkt wurde.
Zudem gibt es vier weitere Stadtteilzentren. Dazu gehören laut Studie die Schlossstraße als wichtigste Einkaufsstraße im kaufkraftstarken Südwesten, der Alexanderplatz als zentraler Einkaufsstandort für den Ostteil von Berlin, der Hackesche Markt als Trend- und Szenemeile für den jungen nationalen und internationalen Einzelhandel sowie die Wilmersdorfer Straße als einzige echte Fußgängerzone in Berliner City-Lage. Allein auf diese sechs innerstädtischen Top-Lagen entfallen laut Comfort/Cima 660 000 qm Einzelhandelsfläche und rund 2,5 Mrd. Euro Umsatz.
Hinzu kommen die vielen Stadtteilkieze und zum Teil sehr namhafte Shopping-Center, die, wie etwa die Potsdamer Platz Arkaden – heute The Playce – , die Mall of Berlin am Leipziger Platz oder das Alexa am Alexanderplatz in die klassischen Einkaufslagen integriert sind. Andere bilden einen eigenständigen Einkaufskosmos. Insgesamt hat Berlin mit 40 Einkaufszentren mehr Center als jede andere deutsche Stadt. Dass sich aus dieser Zusammenballung von Centern und namhaften Einkaufslagen ein erheblicher Wettbewerbsdruck zwischen den einzelnen Standorten aufgebaut hat, liegt auf der Hand. Vor diesem Hintergrund sind laut Report einige Einkaufszentren, die sich in peripheren Lagen befinden und in die Jahre gekommen sind denn auch „in einer ausgeprägten Neupositionierungsphase“.
Wachsendes Vertrauen in den Berliner Markt
Beim Blick auf den Vermietungsmarkt, der – wie in allen Städten – während der Corona-Krise unter dem drastischen Einbruch der Flächennachfrage im Nonfood-Einzelhandel gelitten hat, registriert Ronald Steinhagen, geschäftsführender Gesellschafter und Vermietungsexperte der Comfort Berlin GmbH, seit Mitte 2021 wieder eine deutliche Belebung. Als Grundlage dafür sieht er das wachsende Vertrauen der Händler in die Stabilität des Berliner Marktes und in das Potenzial ihres eigenen Geschäfts: „So expandieren deutlich mehr Einzelhändler und Gastro-Formate oder optimieren ihre Standorte“, weiß der Experte. Dass dies auch wieder vermehrt für den innerstädtischen Textileinzelhandel gilt, der immerhin einer der traditionellen Kernbranchen der Innenstädte ist, wertet Steinhagen als gutes Zeichen.
Zu dieser Marktbelebung hat zudem beigetragen, dass auch die Immobilieneigentümer zunehmend die Realität auf dem Vermietungsmarkt für Handelsimmobilien anerkennen und sich bei den Mieten kompromissbereiter zeigen. So geht Steinhagen davon aus, dass die Mieten nicht mehr ohne weiteres auf das Niveau der Vor-Corona-Jahre zurückkehren werden – auch wenn sie in einzelnen Lagen wieder zulegen könnten. Die zahlreichen Insolvenzen als Folge der Zwangsschließungen sind immerhin ein Beleg dafür, wie stark der innerstädtische Einzelhandel durch die Corona-Pandemie belastet wurde. Doch die wachsende Zahl von Abschlüssen in Berlin und die Stabilisierung der Mieten ist eine gute Basis für die Zukunft.
Als bedeutendste und bekannteste Einkaufslagen der Bundeshauptstadt gelten laut Report der Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße mit dem besten Abschnitt zwischen KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und dem Olivaer Platz mit den Kaufhäusern am Tauentzien und den Luxusanbietern nahe des Olivaer Platzes auf dem Ku-Damm. In diesen Lagen würden sich die Top-Mieten für kleinere gut geschnittene Flächen zwischen 320 und 400 Euro je qm und Monat bewegen. Der Immobilienberater JLL sieht die Spitzenmieten am Tauentzien mit 290 Euro etwas niedriger.
Kaufpreise haben sich signifikant nach unten bewegt
Beim Blick auf den Transaktionsmarkt, der seit der Anhebung der Leitzinsen durch die EZB überall eingebrochen ist, bei Handelsimmobilien nur weniger stark, haben sich laut Björn Gottschling, geschäftsführender Gesellschafter von Comfort Berlin, die Kaufpreise „signifikant nach unten bewegt“. Nach dem stetigen Anstieg ab 2011 im Rahmen des zinsinduzierten Immobilienbooms seien die Kaufpreisfaktoren für innerstädtische Geschäftshäuser deutlich gestiegen und in den Metropolen bis etwa zum Jahr 2021 noch weitgehend stabil gewesen. Mit der Vervierfachung der Leitzinsen seit Juli 2022 stehen sie stark unter Druck – vor allem, weil Verkäufer und Käufer bei ihren Preisvorstellungen nicht zusammenfinden.
„Bei vielen Eigentümern stehen die Immobilien mit viel höheren Verkehrswerten in den Büchern als der Markt derzeit abbildet“, erläutert Gottschling, „so dass von daher auch wenig Angebot dem Markt zur Verfügung gestellt wird. Wer nicht muss, hält sich hier bis auf weiteres zurück.“ Als Interessenten seien vor allem opportunistische und eigenkapitalstarke Investoren sowie Eigennutzer unterwegs.
Handlungsdruck entsteht allerdings bei Investoren, die ihre Immobilien in den vergangenen Jahren zu Höchstpreisen erworben haben, um sie weiterzuentwickeln. Da sich die Finanzierungskosten deutlich verteuert haben, die Mieten nicht wie erwartet steigen und sich viele Entwicklungsprozesse auf Grund von Corona verzögert hatten, stehen laut Gottschling gerade viele Projektentwickler vor Problemen.
Dennoch wurde in Berlin mit dem Verkauf der 49,9% Beteiligung der Signa-Gruppe am Edel-Kaufhaus KaDeWe in der Tauentzienstraße für 700 Mio. Euro an die thailändische Central Department Store-Gruppe in diesem Jahr der deutschlandweit größte Deal abgewickelt. Auch der Verkauf einer 80%-Beteiligung am Bürohausprojekt Mynd in der Nachbarschaft des Galeria Warenhauses am Alexanderplatz an den Hausinvest-Fonds der Commerz Real ging auf das Konto von Signa, die derzeit um ihre Neuordnung unter Führung des Insolvenzverwalters Arndt Geiwitz kämpft.
Weitere Transaktionen waren der Kauf des Friedrichshainer Ring Center III für eine neue Projektentwicklung durch Haus Becken sowie der Verkauf von Geschäftshäusern am Kurfürstendamm 201, in der Schloßstraße 95 und in der Friedrichstraße. Besonders gefragt sind laut Report auch noch Objekte am Kurfürstendamm und in der Tauentzienstraße, „wo für herausragende Objekte mit nachhaltigem Mietniveau in Ausnahmefällen immer noch Kaufpreisfaktoren von rund dem 30-fachen der Jahresmiete verlangt werden“, heißt es: „Aber auch Alexanderplatz, Hackescher Markt oder Schlossstraße sowie zentrale Lagen wie Leipziger Platz und gute Stadtteil-/Kiezlagen sind für Investoren weiter interessant.“