Stadtrettung in Corona-Zeiten

Auf die ausgewogene Mischung kommt es an

Der Modehandel gibt den Städten ihr Gesicht. Foto: R. Vierbuchen

rv DÜSSELDORF. Zwangsschließungen für Monate, Lockerungen für negativ auf Corona getestete oder Click & Meet sowie die erneute Schließung bei Inzidenzwerten von über 100 in der dritten Welle: Der Alltag von stationären Textil-, Schuh- und Lederwarenhändlern ist seit dem 16. Dezember 2020 alles andere als planbar und einträglich. Viele bangen ums Überleben. Nun hat sich der Spitzenverband BTE der zur Krisenbewältigung gegründeten Initiative „Die Stadtretter“ angeschlossen.

Nach den Worten von Rolf Pangels (Foto), Geschäftsführer des Handelsverbands Textil (BTE), der in diesen Krisenzeiten mit den Verbänden BDSE (Schuhhandel) und BLE (Lederwarenhandel) zusammenarbeitet, müssen alle innerstädtischen Akteure gemeinsam konkrete Vorstellungen und Maßmahnen zur Weiterentwicklung der Innenstädte kreieren und umsetzen, statt umfangreiche Positionspapiere und hochgestochene Absichtserklärungen zu schreiben. Durch den offiziellen Anschluss an die Initiative Die Stadtretter will der Verband sich das Netzwerk aus über 700 Kommunen, Stadtmarketinggesellschaften, Wirtschaftsförderungen und anderer Unterstützer, die der Initiative angehören, zunutze machen.

Dabei will auch der BTE seinen Teil zur Lösung der vielfältigen Probleme der Innenstädte beitragen und gemeinsam im Rahmen der Initiative über Problemlösungen diskutieren, wie Pangels darlegt. Um Gegenmaßnahmen gegen das drohende Ausbluten der Innenstädte bedingt durch den ersten Shutdown im Frühjahr 2020 mit seinen verheerenden Folgen für den vor allem betroffenen Modehandel, zu entwickeln, wurde die Initiative „Die Stadtretter“ am 2. Juni gegründet.

Denn mit Blick auf die schon seit Jahren bestehenden Probleme im innerstädtischen Einzelhandel wie sinkende Frequenz, Warenüberangebot und Preisschlachten braucht es nach Ansicht des Modehandels neue Ideen, kreative Lösungen und vor allem starke Netzwerke, um voranzukommen und von guten Beispielen zu profitieren.

Der Verlust an Attraktivität und Multifunktionalität, den viele deutsche Innenstädte etwa durch zu viele gleichförmige Filialisten seit Jahren schon erleben, wird durch die Zwangsschließungen nun noch verstärkt. Denn unklar ist vor allem nach dem langen zweiten Shutdown seit vergangenem Dezember, wie viele Einzelhändler am Ende überleben und wie hoch der anschließende Leerstand ausfallen wird.

Das hat fatale Folgen für die Einkaufslagen, wie Boris Hedde (rechts) Mitinitiator der Initiative und Geschäftsführer des IFH Köln, mit Blick auf Verbraucheranalysen im innerstädtischen Kontext vor der Pandemie darlegt: Danach gibt „Fashion der Stadt ihr Gesicht“. Die Mode-Branche sei jene Kategorie, die von Seiten des Handels am stärksten in die Innenstadtattraktivität einzahle. Wenn große Teile des Marktes und gerade mittelständisch geprägte Akteure wegfielen, dann würden sich langfristig zwar andere Formate und Wirtschaftszweige ansiedeln. Doch in der Zwischenzeit würden gerade die loyalen älteren Kunden Modeangebote erwarten.

Es ist wichtig, über dem Tellerrand zu schauen

Weil die Rettung der Innenstädte aus Sicht von Ariane Breuer (links), Mitinitiatorin der Stadtretter-Initiative eine Herausforderung ist, die nur gemeistert werden kann, wenn alle Akteure „auf Augenhöhe zusammenarbeiten“, sei die Mitarbeit von Verbänden wie dem BTE, der eine gesamte Branche und Interessengruppen vertrete, von Bedeutung. Deshalb begrüßt sie auch, dass sich mit dem BTE ein Verband des Textileinzelhandels dem Netzwerk anschließt.

Um die Herausforderungen zu bewältigen ist es für Breuer letztlich aber wichtig, über den Tellerrand der einzelnen Branchen zu blicken: Denn die Städte seien weder alleine Handel, noch alleine Gastronomie, noch alleine Kultur. Innenstädte würden vielmehr erst durch einen ausgewogenen Mix aus allem zu den lebendigen Orten, die den Besuchern Aufenthaltsqualität bieten. Und der ausgewogene Mix war schon vor Ausbruch der Pandemie in vielen Innenstädten nicht mehr zu finden.

Hinzu kommt unter den aktuellen Zwangsmaßnahmen in den Innenstadtlagen der Großstädte die Beschränkung der Reisefreiheit mit dem Ausbleiben der wichtigen Touristen, der Wegfall von bedeutenden Messen, Kongressen und Veranstaltungen, die Zwangsschließung der Gastronomie und der Hotellerie für Touristen – all das hat die Frequenz in den Innenstadtlagen versiegen lassen. Und schon als die Gastronomie im Rahmen des „Lockdowns light“ ab 2. November schließen musste, spürte der Einzelhandel die nachlassende Frequenz.

In der aktuellen Krise bewirkt der Wegfall dieser Frequenzbringer für die Cities den entgegengesetzten Trend. Touristen, Geschäftsreisende und Kulturbesucher fehlen dem Einzelhandel, und die Menschen, die im Home-Office sind, würden auf dem Nachhauseweg nicht noch (schnell) in der Innenstadt einkaufen, berichtet Breuer.

Zu wenig Aufmerksamkeit für die Innenstädte

Wie BTE-Geschäftsführer Pangels aus seiner langjährigen Erfahrung im Einzelhandel weiß, wurde den Innenstädten als wichtigen Wirtschaftsstandorten in den vergangenen Jahren nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie eigentlich verdient hätten. Viele Politiker beklagten vor allem die immer wieder gleichen Filialisten in den Einkaufsstraßen. Zudem haben viele Akteure laut Pangels geglaubt, die Innenstädte seien ein Selbstläufer und die Menschen würden schon von allein zum Besuch und zum Einkaufen in die Cities strömen.

„Diese Haltung erweist sich jetzt als herber Trugschluss“, beklagt der BTE-Geschäftsführer: „Der innerstädtische Einzelhandel und speziell auch der Fashionhandel müssen ihre ‚Hausaufgaben machen‘ und zum Beispiel ihre kundenorientierten Service- und Dienstleistungen deutlich und nachhaltig verbessern.“ Zu den vordringlichen Aufgaben der Branche gehört aus seiner Sicht auch ein stärkeres gemeinschaftliches Handeln etwa im Rahmen von Citymarketing-Projekten.

Das verlangt vor allem auch den großen Mode-Filialisten viel ab. Frei nach dem Motto „All retail is local“ müssten auch die großen Modeeinzelhändler ihren Geschäftsführern vor Ort wieder mehr Spielraum geben, damit sie sich lokal mehr engagieren könnten, mahnt Pandels: „Langwierige Abstimmungsprozesse mit den Konzernzentralen hemmen unter anderem neue, oftmals kurz- oder mittelfristig umzusetzende Maßnahmen.“ Aber auch die Politik sieht er in der Pflicht: Sie müsse mit Nachdruck bereit sein, ein breit angelegtes und finanziell angemessenes Förderprogramm für die innerstädtische Wirtschaft aufzulegen.

Das Netzwerk „Die Stadtretter“ hat sich das Ziel gesetzt, die Innenstädte zu stärken und den Einzelhandel auf kommunaler Ebene zu retten. Konkret handelt es sich um eine zentrale Plattform für den Austausch von Kommunen, Immobilienwirtschaft, Unternehmen und Einzelhandel. Alle Beteiligten haben so die Möglichkeit, voneinander und miteinander zu lernen. Kapazitäten werden gebündelt, Erfahrungen geteilt, Redundanzen vermieden, Synergien identifiziert. Für Kommunen und Wirtschaftsförderungen ist die Mitgliedschaft bei den Stadtrettern kostenlos. Mehr Informationen auch unter: www.die-stadtretter.de