Regionale Online-Marktplätze

Auch die „digitale Aufenthaltsqualität“ zählt

Lozuka-Geschäftsführer Schulte (vorne), Haderlein (hinten). Foto: Lozuka Siegen

Der Aufbau von regionalen Online-Marktplätzen ist heute insbesondere für den örtlichen Facheinzelhandel unabdingbar, um auch im Internet gesehen zu werden und das eigene Potenzial auszuschöpfen. Ein solches Projekt muss aber an die Besonderheiten der Stadt und der Region angepasst werden, um die Händler vom Nutzen zu überzeugen, wie beispielsweise bei Lozuka Siegen.

„Die Digitalisierung und die Protagonisten aus der Internetwirtschaft – allen voran Google und Amazon – verändern unsere Städte und Regionen fundamentaler als es uns recht sein kann“, so die Erkenntnis von Andreas Haderlein, Leiter von Cima.digital, der als Berater lange Zeit auch die Online-City Wuppertal (OCW) begleitet hat. Daraus ergibt sich aus seiner Sicht für die Innenstädte, dass ihre Einzelhändler und deren Angebote „online“ sichtbar sein müssen, da vor allem junge Kunden ihre Umwelt primär durch das Smartphone wahrnehmen. Wer da nicht drin ist, existiert nicht mehr.

Neben der architektonischen Attraktivität und dem guten Mix aus Einzelhandelsangebot,Gastronomie und Dienstleistungen brauchen Städte heute also auch eine „digitale Aufenthaltsqualität“, wozu neben dem kostenlosen W-LAN auch die Online-Sichtbarkeit von Stadt und Handel gehören. Die Kunden wollen heute online sehen, welche Händler und Produkte es in der Stadt gibt, bevor sie sich auf den Weg in die City machen. Das habe mit der „Smart City“, über die allenthalben diskutiert werde und Künstlicher Intelligenz noch gar nichts zu tun, so Haderlein.

In diesem Kontext sieht er „lokale bzw. Online-Marktplätze als eine infrastrukturelle Grundleistung für Gewerbestandorte“. Diese sind vor allem für den mittelständischen Facheinzelhandel wichtig, der nicht so ohne weiteres die Kapazitäten hat, einen Online-Shop zu betreiben, wie die Filialisten. Und diese Facheinzelhändler, deren Zahl immer geringer wird, sind vor allem für Mittel- und Kleinstädte von großer Bedeutung. Aber umzudenken und diesen neuen digitalen Vertriebsweg zu gehen, ist nach Erfahrung des Experten für viele nicht einfach.

„Technisch sind lokale Digital-Initiativen ja kein Hexenwerk“, so Haderlein, doch das erforderliche Veränderungsmanagement der verschiedenen Akteure solcher Online-Marktplätze werde bisweilen „sträflich vernachlässigt“, was sich dann spätestens in der Vertriebsphase eines solchen Infrastrukturgebers zeige, wenn die Händler nur zögerlich bereit seien, bei einem gut gemeinten Online-Projekt mitzumachen.

Deshalb ist es nach Erkenntnis von Professor Björn Niehaves von der Universität Siegen wichtig, ein solches Projekt an die Besonderheiten der jeweiligen Stadt und Region anzupassen. Es müsse der Nutzen für die regionale Entwicklung festgelegt und das spezifische Denken berücksichtigt werden. Und es müssten für die Region sinnvolle Ziele gesteckt werden, so dass am Ende der für einen Online-Marktplatz notwendigen kritischen Masse gute Lösungen angeboten werden können. Dann lassen sich die Händler auch überzeugen.

In der Region Siegen ist das im Jahr 2016 gut gelungen. Hier bildete sich die kritische Masse für den lokalen Online-Marktplatz Lozuka (Lokal zuhause kaufen) mit heute 30 angeschlossenen Einzelhändlern sowie 1 Mio. Produkten im Angebot und kostenloser „Same Day Derlivery“ – an der Internet-Größen wie Amazon mit der Verdichtung ihres Logistiknetzes noch arbeiten. „Die Händler in Siegen sind zu aktiven Mitgestaltern geworden und sehen Lozuka als einen wichtigen Bestandteil ihres Alltags an“, so Niehaves.

Das gesteckte Ziel des Online-Marktplatzes, den Umsatz des örtlichen Einzelhandels in der Region zu halten, damit er nicht von Online-Händlern wie Amazon abgeschöpft wird, wie Patrick Schulte, Geschäftsführer von Lozuka darlegt, konnte viele vor allem lokale Händler überzeugen, mitzumachen. Dabei ist die Rechtsform eines solchen Marktplatz-Betreibers zunächst einmal egal. Sie kann mit Blick auf die gesteckten Ziele dennoch eine wichtige Rolle spielen. Die Rechtsform der GmbH, die für Lozuka Siegen bei der Gründung gewählt wurde, bietet laut Schulte eine „hohe Flexibilität“.

Aber mit Blick auf die regionale Verankerung, die Bürgernähe und die breite Finanzierung des Online-Marktplatzes beispielsweise, indem Bürger, die angeschlossenen Einzelhändler, die IHK, Genossenschaftsbanken oder andere lokale Sponsoren  an einem solchen Projekt Anteile erwerben, ist die Rechtsform der Genossenschaft vorteilhafter. Ein solcher Kreis von Personen, Unternehmen oder Organisationen würden sich laut Lozuka-Geschäftsfüher Schulte nicht an einer solchen Plattform beteiligen, wenn sie eine GmbH wäre. Deshalb loten die Betreiber von Lozuka in der Region Siegen derzeit aus, wie die Rechtsform der Genossenschaft beim Kreis der Interessenten ankommt. Der erste  Eindruck ist, dass das Thema gut aufgenommen wird.

Konsum.Plus firmiert als Genossenschaft

Denn es gilt zu bedenken, dass das Prozedere bei der Gründung einer Genossenschaft laut Schulte „facettenreich ist und es gut überlegt sein will, wie man die Genossenschaft in der Region aufsetzt“. So ist es notwendig, eine Satzung zu erarbeiten und die Genossenschaft muss vom Genossenschaftsverband genehmigt werden. Sofern bei Lozuka die Entscheidung zugunsten einer Umwandlung in die Rechtsform der Genossenschaft fällt, wird das laut Schulte im Rahmen einer Neugründung passieren.

Im Altkreis Delitzsch bei Leipzig sind die Würfel zugunsten der Genossenschaft bei dem neuen Online-Marktplatz nach Lozuka-Vorbild dagegen schon gefallen. Beim Aufbau einer regionalen Online-Plattform, auch plakativ Webkaufhaus genannt, arbeitet Lozuka mit der traditionsreichen Konsumgenossenschaft „Konsum“ mit 63 Filialen zusammen, die auch als Treiber des Projekts fungiert, das im September 2019 gestartet ist. Mit Blick auf die Bekanntheit der Marke wird der Marktplatz laut Schulte „Konsum.Plus“ heißen. Und die interessierten Einzelhändler, denen die Wahl gelassen wurde, als normaler Plattform-Nutzer und/oder als Genosse teilzunehmen, entschieden durchweg, sich auch als Genossen zu beteiligen.

Bislang haben sich dem „Konsum.Plus“ 25 Einzelhändler angeschlossen und es sollen laut Schulte 30 werden. Derzeit arbeitet Lozuka daran, die teilnehmenden Einzelhändler auf die Plattform aufzuschalten. Bereits Anfang 2018 ging der lokale Lozuka-Marktplatz im ländlich geprägten Emsaue im Münsterland an den Start. Nach bislang 19 Teilnehmern wird sich die Zahl der Einzelhändler demnächst auf 25 erhöhen. Auch hier entwickelt sich das Geschäft laut Schulte gut.

Gut drei Jahre nach dem Start des ersten lokalen Marktplatzes in Siegen, der damals noch Lokaso hieß, später aber in Lozuka umbenannt wurde, registriert Schulte ein unvermindert großes Interesse an der Initiative, von Seiten der Presse und von Interessierten aus anderen Regionen. Um weitere Teilnehmer zu gewinnen und um in weiteren Regionen Impulse zu setzen, sind jährlich Workshops geplant. Nach Schultes Plan sollen in der nächsten Zeit fünf bis sechs neue Regionen aktiviert werden. Geplant sind auch Roadshows in Berlin, Hamburg und Frankfurt.

Werbung um Teilnehmer in anderen Regionen

Dabei haben lokale Plattformen wie Lozuka.Siegen  gegenüber den großen Marktplätzen und Online-Pure-Playern nicht nur Vorteile durch ihre Nähe zum Kunden, wodurch die Bewältigung der letzten Meile erleichtert wird und Same-Day-Delivery zum Tagesgeschäft gehört, sie kommen laut Schulte auch mit ganz minimalem Raum aus. Es sind keine große Infrastruktur und Lagerhallen notwendig, wie bei den großen Plattformen. „Wir verbinden auf minimalem Raum den Einzelhandel mit dem Kunden“, erläutert der Geschäftsführer. Das minimiert die Raumkosten. Lozuka fungiert als Drehscheibe zwischen dem Einzelhandel einerseits, bei dem die Ware direkt abgeholt wird, und dem Kunden andererseits, dem sie geliefert wird. Zwischenlagerung ist nicht nötig. Der Zustell-Radius im Raum Siegen umfasst etwa 20 bis 25 km in alle Richtungen.

Bei Lozuka ist laut Schulte inzwischen der gesamte Prozess von der Bestellung bis zur Bezahlung und der anteiligen Zuweisung der Summe an die einzelnen Händler – die Kunden können pro Bestellung bei verschiedenen Händlern einkaufen – digitalisiert. Zuletzt wurde auch eine Delivery App eingeführt. Seit dem dritten Monat nach dem Start der Plattform im September 2016 – pünktlich zum Stadtfest in Siegen - schreibt die Plattform laut Schulte eine schwarze Null. Es geht hier nicht in erster Linie um die Gewinnmaximierung, sondern auch um den Idealismus für die Region.

Der Grundstein für den Internet-Marktplatz Lozuka.Siegen wurde im Herbst 2015 von einer Internetagentur aus der Region gelegt. In enger Abstimmung mit der IHK Siegen, dem Bürgermeister, dem Landrat, den Einzelhändlern, dem Stadtmarketing, den Wirtschaftsförderungen sowie den Sparkassen wurde die Vision von einem regionalen Webkaufhaus entwickelt, wie es im Magazin Lozuka.Connect heißt. Der Kunde sollte auch im Kreis Siegen stationär und „online“ bei seinen regionalen Anbietern einkaufen können. Und die Einzelhändler erzielen dadurch eine größere Reichweite und können „Offline“ und „Online“ mit Unterstützung der Plattform vernetzen.

Um die gesamt Breite des Einzelhandelsangebots abdecken zu können, ist Lozuka offen für weitere Teilnehmer. Zuletzt gaben Kunden die Anregung, dass sie beispielsweise auch gerne Desinfektionsmittel online bestellen würden – diesen Wunsch dürfte die Corona-Epidemie noch vergrößert haben. Dafür würde Schulten gerne noch Apotheken und Drogeriemärkte integrieren. Große Filialisten wie die Drogeriemarktbetreiber halten sich bislang noch zurück.