Warenhaus der Zukunft

Anlehnung an die glorreiche Vergangenheit

So könnte Karstadt am Hermannplatz einmal aussehen. Bild: Chipperfield Architects

Nachdem Galeria Karstadt Kaufhof im Zuge des Schutzschirmverfahrens und der anschließenden Insolvenz in Eigenverwaltung nach dem ersten Shutdown im vergangenen Frühjahr bundesweit 47 Filialen geschlossen hat, ist das Thema Warenhäuser und Stadtentwicklung sowie die Frage, ob es eine gemeinsame Zukunft gibt und wie die aussehen könnte, wieder aktuell.

 „Die Schließung eines Warenhauses ist ein Schlag in die Magengrube eines jeden Bürgermeisters“, umschreibt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin Brandenburg (HBB) in seinem Vortrag beim 17. Deutschen Handelsimmobilien Kongress die Lage. Für manche Standorte gebe es kaum eine Chance. Doch auch für die etwa 130 Warenhäuser, die Galeria Karstadt Kaufhof hierzulande weiterführen wird, ist laut Busch-Petersen der Druck zur Veränderung unverkennbar. Er wird auch in diesem Segment durch die Beschränkungen im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung noch verstärkt.

Denn nachdem durch die Entstehung von Wettbewerbern wie SB-Warenhäusern, Bau- und Elektrofachmärkten sowie Möbelhäusern am Stadtrand und Einkaufszentren die äußere Hülle der vormaligen Gebäude für den gesamten Einzelhandel, die sich selbst genug waren, zu weit geworden sind, brauchen sie – neben der obligatorischen Digitalisierung des Verkaufsprozesses – neue Ideen, um ihre Strahlkraft in den Cities neu zu erfinden.

Bei diesem Prozess ist es aus Sicht des HBB-Hauptgeschäftsführers nicht verkehrt, auch auf die Ursprünge der Warenhäuser in der Zeit um 1900 und auf Pioniere wie Oskar und Hermann Tietz (Eigentümer von Hertie) zurückzuschauen. Sie stellten bei ihrer Strategie den Handel und die Immobilien in den Mittelpunkt, was auch an den Erweiterungsbauten und der Architektur abzulesen war: „Sie haben nie aufgegeben, ihre Häuser weiter zu entwickeln. Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen“. Auch damals schon gab es neben dem Einzelhandelssortiment andere Dienstleistungen unter dem gemeinsamen Dach.

Ein Patentrezept für die Neukonzeption der Warenhäuser von heute gibt es zwar nicht – das hängt im Einzelhandel immer vom Standort und der Zielgruppe ab –, doch ist aus seiner Sicht eine Aufwertung durch die Ansiedlung auch anderer Funktionen sinnvoll. Ein interessantes Beispiel ist für Busch-Petersen das Karstadt-Warenhaus am Hermannplatz in Berlin, der Verbindung zwischen den Berliner Stadtbezirken Kreuzberg und Neukölln. Das denkmalgeschützte Objekt am traditionsreichen Warenhausstandort gehört zum Portfolio der Signa Gruppe und soll eine neue Chance erhalten.

An diesem Standort hatte der Chefarchitekt der Karstadt AG, Philipp Schaefer, zwischen 1927 und 1929 im expressionistischen Stil das mit 72 000 qm größte Warenhaus der Weimarer Republik erbaut. Mit seinem vielfältigen Waren- und Serviceangebot, der modernen Gestaltung mit Rolltreppen, Aufzügen und der U-Bahn-Anbindung sowie dem preisgünstigen Dachgartenrestaurant mit Aussichtsplattform galt das Warenhaus als Sehenswürdigkeit. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zwischen 1951 und 1952 wieder aufgebaut und zwischen 1998 und 2000 erweitert und saniert. Mit seiner Muschelkalkverblendung lehnt es sich an den Altbau von 1927/29 an. Ein Teilstück der alten Fassade ist noch erhalten.

Mit Blick auf die heutigen Anforderungen kommt das Karstadt-Haus am Hermannplatz aus Sicht von Busch-Petersen trotz seiner guten Lage als reiner Handelsstandort nicht weiter. Bei solchen Standorten gehe das nur durch eine Qualifizierung auch über andere Funktionen. Das vom Eigentümer Signa geplante Konzept ist aus seiner Sicht ein gutes Beispiel für die Neupositionierung eines Warenhauses – über den reinen Einzelhandel hinaus als „Wohnquartier“.

Konkret plant Signa den Abriss des 1950er-Jahre-Hauses und eine denkmalgerecht interpretierte Rekonstruktion des ursprünglichen Warenhauses von 1927/29 mit seinen beiden markanten Türmen und einer öffentlichen Dachterasse mit Gastronomie sowie Kunst und Kultur. Die Geschossfläche soll auf 126 000 qm erweitert werden, sodass auch Raum für Wohnungen an der Hasenheide, Büros, Gastronomie, Vereine, Soziales, Kunst und Kultur entsteht. Die Investitionssumme liegt laut Berliner Zeitung bei 450 Mio. Euro.

Karstadt hat nach Angaben von Timo Herzberg, CEO der Signa Real Estate Germany am Hermannplatz in den vergangenen 15 Jahren viel Umsatz verloren. Um den Standort für ein Warenhauskonzept der Zukunft zu sichern, müssten dringend neue Impulse gegeben werden. „Mit der Architektur der 1920er-Jahre, von David Chipperfield neuinterpretiert, wollen wir einen solchen Impuls setzen,“ erläutert  Herzberg die weiteren Pläne. In diesem Kontext sollen Karstadt und seine Untermieter, die heute eine Verkaufsfläche von 30 000 qm bewirtschaften, in einer „zukunftsfähigen Größe“ weiterhin als starke Anbieter für die Nahversorgung des Kiezes bestehen bleiben. Zusätzliche Flächen für Einzelhandel sind nicht geplant.

Nachdem es von Seiten des Bezirks Kreuzberg heftigen Widerstand gegen die Pläne gab, hat der Senat der Stadt Berlin die Karstadt-Neubauplanungen im vergangenen Jahr an sich gezogen – mit der Versicherung des Regierende Bürgermeisters, dass die Bezirke mit ihren Interessen berücksichtigt würden.