Das Interview

Alle müssen jetzt rasch an einem Strang ziehen

Foto: HDE

Gespräch mit dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, über die Einrichtung eines Innenstadtfonds und die Gründe, weshalb Deutschlands Innenstädte dringend Unterstützung brauchen und die Haltung der Politik zu diesem Thema.

Handelsimmobilien Report: Herr Genth, der HDE fordert einen Innstadtfonds mit einem Volumen von 500 Mio. Euro, um die Stadtzentren zu unterstützen. Was veranlasst den Handelsverband, diese Forderung jetzt zu stellen?

Stefan Genth: Die Städte sind bei ihren Planungen auf eine gute und aktuelle Datenbasis angewiesen. Da die integrierten Stadtentwicklungskonzepte oder Einzelhandelskonzepte sehr teuer sind, werden diese in der Regel nur alle acht Jahre fortgeschrieben. Wenn man sich die Handelssituation jedoch vor acht Jahren vor Augen führt, erkennt man, dass allein die Umsatzverschiebungen in den Online-Handel zu einer völlig veränderten Situation im Einzelhandel und in den Innenstädten geführt haben.

Mit Blick auf die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise wird überdies deutlich, dass die Städte rasche Unterstützung benötigen, um diese in jedem Fall notwendige Vorarbeit zu leisten. Aus einer Ad Hoc-Umfrage der großen Kommunalberaterbüros wissen wir, dass nur rund 20% der Kommunen aktuell in der Lage sind, sofort Maßnahmen einzuleiten, die sich auf eine aktuelle Datenbasis stützen.

Das ist kein Vorwurf an die Städte, sondern der dringende Appell, die Kommunen zu unterstützen. Alle Beteiligten müssen jetzt rasch an einem Strang ziehen, um das kulturelle Erbe der europäischen Stadt auch für die Zukunft zu sichern. Das kann nur funktionieren, wenn wir die konkreten Probleme vor Ort erkennen und in jedem Einzelfall passgenaue Lösungen entwickeln. Dafür braucht es den vorgeschlagenen Innenstadtfonds.

HIR: Haben Sie von der Bundes- und Landespolitik schon Resonanz auf Ihre Forderung erhalten? Oder anders gefragt: Ist der Politik die Brisanz der Lage in vielen Innenstädten, verstärkt durch den Shutdown, bewusst?

Genth: Die Dramatik der Lage ist allseits bekannt, das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit als Verband. Wir stoßen bei vielen Politikern auf offene Ohren. Das zeigt auch die Bandbreite der Rückmeldungen in unserem HDE-Blog. Jetzt muss es aber darum gehen, dass wir ins Handeln kommen. Die Zeit läuft den Innenstädten davon.

HIR: Wie sieht es beim Städte- und Gemeindebund sowie beim Deutschen Städtetag aus? Gibt es hier eine Resonanz auf dieses Thema?

Genth: Wir arbeiten bereits seit Jahren eng mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen. Beispielsweise im Rahmen der „Allianz für Innenstädte“, einer quer durch Deutschland wandernden Veranstaltungsreihe. Hier besteht Einigkeit, dass etwas passieren muss, um die Innenstädte fit für die Zukunft zu machen.

HIR: Die finanziellen Mittel sollen auf drei Sonderfonds aufgeteilt werden. Zum einen zur Aktualisierung und Standardisierung von Einzelhandelskonzepten, zur Analyse der Leerstands-Lage sowie für eine aktive Ansiedlungspolitik, die den Branchenmix in den Stadtzentren attraktiv gestalten soll. Wie soll die Umsetzung insbesondere der beiden letzten Punkte organisiert werden? In vielen Kommunen fehlt das Personal mit Handels-Know-how.

Genth: Zum Teil braucht es Beratung von außen, zum Teil müssen neue, interne Stellen geschaffen werden. Noch immer hat nicht jede Kommune einen „echten Kümmerer“, wie beispielsweise einen Citymanager. Da müssen Notwendigkeiten erkannt und entsprechend finanziert werden. Dabei kann der Fonds helfen.

HIR: Wie hoch schätzen Sie die erforderliche „Manpower“ für die Umsetzung der drei Forderungen ein und wer soll die Innenstadtkonzepte erstellen und umsetzen? Die Probleme sind ja schon lange bekannt, passiert ist bislang wenig.

Genth: Das ist sicherlich je nach Größe der Kommune unterschiedlich. Die Innenstadtkonzepte müssen von anerkannten Experten erstellt werden. Umsetzen müssen das dann die Kommunen. Und nein, die Probleme sind noch nicht überall erkannt. Vielerorts liegt das auch daran, dass existierende Konzepte veraltet sind und oft die Effekte des Online-Handels nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigen.

HIR: Die Städte sollten aus Sicht des HDE aktiver gemanagt werden und in begründeten Einzelfällen die bestehenden Möglichkeiten des Vorkaufsrechts in den förmlich festgelegten Sanierungsgebieten ausüben können. Gibt es dafür Positiv-Beispiele?

Genth: Unsere französischen Nachbarn haben bereits seit Jahren ein bewährtes Projekt in Paris: (siehe unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/schutz-fuer-einzelhandel-wie-paris-seine-innenstadt-vor.979.de.html?dram:article_id=445180und https://www.semaest.fr/

HIR: Welche Hilfestellung kann und will der HDE dabei leisten?

Genth: Der HDE sieht sich mit all seinen Landes- und Regionalverbänden als Partner in diesem Prozess. Die Handelsverbände können auf Missstände aus Sicht der eigenen Branche aufmerksam machen und die Expertise des Handels einbringen. Schließlich ist der Handel nach wie vor die Schlüsselbranche der Innenstädte. Umfragen zeigen, dass der Hauptgrund für den Besuch einer Innenstadt das Einkaufen ist.

HIR: Welche Rolle soll die Stadt- und Gemeindeverwaltungen übernehmen?

Genth: Die Rolle der Verwaltung muss aktiver werden. So ist beispielweise die sachgerechte Steuerung des Einzelhandels meist eine Reaktion auf Ansiedlungsinteressen auf der grünen Wiese gewesen. Das hat viele Innenstädte vor unverhältnismäßigem Konkurrenzdruck bewahrt, aber nicht gleichzeitig zu einer Verbesserung des Branchenmixes geführt. Die damit verbundene Erhöhung der Attraktivität der Innenstädte muss aber Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung werden. Das ist nicht trivial, da den Kommunen die entsprechenden Immobilien nicht gehören. Also bedarf es neuer Austauschformate mit den Immobilienbesitzern. Attraktive Innenstädte brauchen aktive Mitarbeit und Mitdenken. Das große Ganze muss im Mittelpunkt stehen.